Fragment eines Eiskerns mit Luftblasen
Im Eis der Antarktis ist die Klimageschichte der Vergangenheit verzeichnet.
Thomas Bauska

Wir leben in einer Zeit, in der Fachleute tausende und Millionen Jahre alte Informationen über die damaligen Lebensbedingungen auf der Erde sammeln können. Verborgen und eingesperrt in uraltem Eis in der Arktis und Antarktis sind Luftblasen: Sie verraten, wie sich die Luft zusammensetzte. Der Anteil an Kohlenstoffdioxid, kurz CO2, in der Atmosphäre ist heute laut dem derzeitigen Wissensstand so hoch wie seit Millionen Jahren nicht mehr.

Lag die Konzentration um 1910 noch bei etwa 300 parts per million (Teilchen pro eine Million Teilchen, ppm), wurden hundert Jahre später, 2015, am Vulkan Mauna Loa auf Hawaii bereits die 400 ppm überschritten – ein rasanter Anstieg, der vor allem von den industriellen Emissionen herrührt. Der gleiche Trend ist weltweit zu sehen und hat nichts mit den Ausdünstungen des Vulkans selbst zu tun. Derzeit sind etwa 419 ppm CO2 in der Luft, Tendenz steigend.

Doch noch immer gibt es viel zu erforschen, für manche Epochen sind die Daten unklar. Da ist etwa ein eigenartiger Rückgang der CO2-Konzentration, der um das Jahr 1600 stattgefunden haben dürfte. Woran das historisch gelegen haben könnte, war ein großes Rätsel. Die Daten zweier antarktischer Bohrungen lieferten zudem kein eindeutiges Ergebnis. Eine ältere Bohrung an einem Eisdom namens "Law Dome" im Osten der Antarktis ließ vermuten, dass im Laufe von etwa 85 Jahren die CO2-Menge relativ schnell und stark zurückging, um rund 10 ppm. Daten eines Bohrkerns aus dem Westantarktischen Eisschild deuten auf einen langsameren Abfall hin, mit 6,7 ppm über fast 120 Jahre.

Kontinuierlicher Rückgang

Ein Projekt des British Antarctic Survey liefert wesentlich genauere Daten vom Skytrain Ice Rise, einer Eiskuppel im Westen des Eiskontinents. Die Bohrung reicht bis in eine Tiefe von 650 Metern. Das Forschungsteam um Erstautorin Amy King analysierte einen Abschnitt der jüngeren Geschichte, um einen Blick auf das Klima ab der Mitte des 15. Jahrhunderts zu werfen. Die Ergebnisse veröffentlichte die Gruppe im Fachjournal "Nature Communications". Sie zeigen: Zwischen den Jahren 1516 und 1670 dürfte die CO2-Konzentration kontinuierlich um 0,5 ppm pro Jahrzehnt gesunken sein, also um etwa 7,5 ppm im Laufe von knapp 150 Jahren.

Grafik CO2-Konzentrationen Atmosphäre laut Eisbohrkernen, Zeitspanne 1200 bis 1900
Zwischen 1500 und 1700 ging der CO2-Gehalt in der Atmosphäre laut verschiedenen Eiskernmessungen in der Antarktis zurück. In Blau sind die aktuellsten und genausten Messdaten dargestellt, die gelbe Kurve dürfte teils Fehler aufweisen.
King et al., Nature Communications 2024

Damit ging das CO2 in der Atmosphäre damals nur etwa halb so schnell zurück wie ursprünglich angenommen, sagt Eiskernforscherin King. Die Datensätze der ältesten Bohrung aus der Ostantarktis, die einen extremen CO2-Rückgang um 1610 zeigen, könnten überhaupt ein Datenartefakt sein, also ein Fehler. Der Grund dafür sei unklar, schreibt das Team. Womöglich wurde das herausgebohrte Eis nicht optimal gelagert.

Doch was steckte hinter dem sukzessiven Absinken der Treibhausgaskonzentration? Derzeit ist vor allem eine Möglichkeit bekannt, CO2 aus der Atmosphäre zu holen, die noch dazu natürlich ist: Pflanzen wandeln während der Fotosynthese CO2 und Wasser dank Energie aus dem Sonnenlicht in Sauerstoff und Zucker um. Letzteren verwenden sie etwa, um Biomasse aufzubauen.

Als der Mensch die CO2-Konzentration senkte

Es dürften also wesentlich mehr Pflanzen als zuvor CO2 aus der Luft gezogen haben, und zwar 2,6 Gigatonnen pro Jahrzehnt, was durchaus bemerkenswert ist (knapp 37 Gigatonnen CO2 aus fossilen Quellen hat die Menschheit allein 2023 emittiert). Dem Forschungsteam zufolge ist es sogar wahrscheinlich, dass der Mensch damals, lange vor der Industrialisierung, für weniger CO2 in der Atmosphäre verantwortlich war. Denn auf den amerikanischen Kontinenten scheint sich zu dieser Zeit die Landnutzung in großem Stil verändert zu haben, wie Modelle zeigen. Dies hat allerdings einen düsteren Hintergrund.

Runde Platte aus einem Eisbohrkern mit Luftblasen, gehalten von einer behandschuhten Hand
Querschnitt durch einen Eisbohrkern.
British Antarctic Survey

Durch die Kolonialisierung Amerikas durch Europäer kamen bekanntlich neue Infektionskrankheiten auf den Kontinent. Mit diesen Erregern hatte die indigene Bevölkerung bis dahin keine Berührungspunkte, in vielen Fällen scheiterte ihre Immunabwehr dramatisch. Zu den Erkrankungen zählten Pocken, Pest und Masern. Die Europäer, die die Erreger in sich trugen, hatten oftmals keine oder nur schwache Symptome, weil ihre Körper durch jahrhundertelange Selektion besser damit umgehen konnten. Schätzungen zufolge war es ein Viertel bis die Hälfte der indigenen Bevölkerung, die ab 1518 durch diverse Pockenepidemien und andere Infektionskrankheiten getötet wurde. Kriege spielten bei der Verbreitung eine große Rolle.

Den Szenarien zufolge kann dieser Bevölkerungsrückgang erklären, dass mehr und mehr Land brach lag. Das folgende Pflanzenwachstum könnte tatsächlich passende Mengen an CO2 eingespeichert haben. Die Modelle für Landnutzung arbeiten aber mit sehr groben Bevölkerungsschätzungen, sodass weitere Forschungsarbeit nötig wäre um herauszufinden, ob die Korrelation passen kann und ob es einen wirklichen Zusammenhang gab, schreibt das Team. Bekannt ist, dass indigene Bevölkerungsgruppen in Nordamerika und auf anderen Kontinenten beispielsweise Feuer nutzen und nutzten, um die Landschaft zu gestalten. In der Menschheitsgeschichte ist diese Praxis auch in Europa wohl viele Tausende Jahre alt.

Von der Vergangenheit in die Gegenwart

Das makabre Forschungsergebnis ist für Co-Autor Thomas Bauska, der ebenfalls für das British Antarctic Survey in Cambridge arbeitet, höchst ernüchternd: "Das letzte und vielleicht einzige Mal in der Geschichte, dass unsere menschlichen Aktivitäten den CO2-Ausstoß nicht erhöht, sondern verringert haben, ist auf die verheerenden Verluste im Zusammenhang mit der Kolonisierung Amerikas zurückzuführen."

Forschungsteam in einem Zelt in der Antarktis beim Arbeiten mit Eisbohrkernen
Forscherinnen und Forscher bei der Arbeit in der Antarktis.
University of Cambridge / British Antarctic Survey

Für Amy King versteckt sich darin aber wenigstens eine positive Botschaft: "Änderungen des menschlichen Verhaltens können die CO2-Emissionen in der Atmosphäre innerhalb kurzer Zeiträume verringern." Die Ausmaße, in denen der industrielle Emissionsausstoß das Klima auf der Erde binnen kürzester Zeit beeinflusst, ist für die Wissenschafterinnen und Wissenschafter in der Eiskernforschung besonders offensichtlich. (Julia Sica, 9.3.2024)

Die Grafik zeigt die geschätzten CO2-Konzentrationen im Laufe der vergangenen Jahrhunderte (seit etwa 8.000 vor unserer Zeit).