Frauennerfling
Der seltene Frauennerfling: Oben ist ein Weibchen zu sehen, unten ein Männchen mit leichtem Laichausschlag am Kopf.
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Der Frauennerfling ist unscheinbar, hat sein Wasser gern relativ warm und grundelt im Schlamm seiner Gewässer herum. Beheimatet ist er in der Donau. Der seltene Fisch schlägt nun in der deutschsprachigen Medienlandschaft Wellen: In der ORF-Sendung "Niederösterreich heute" wurde er Ende Februar von einem Wirt zu Fischlaibchen verarbeitet (das Video ist nach mehr als einer Woche in der Mediathek nicht mehr abrufbar). Das Publikum reagierte verständlicherweise entrüstet, handelt es sich doch um einen Fisch von der österreichischen roten Liste, der auf keiner Speisekarte stehen sollte.

Der Status des Frauennerflings (Rutilus pigus): stark gefährdet. In Kärnten gilt der silberne Fisch, der meist 20 bis 30 Zentimeter lang und maximal 15 Jahre alt wird, als vom Aussterben bedroht. Auf diese Information stößt man schnell, wenn man seinen Namen googelt. "Ganzjährig geschont!", steht in Großbuchstaben auf der Seite des niederösterreichischen Landesfischereiverbands. Am vergangenen Dienstag entschuldigte sich ORF-Moderatorin Claudia Schubert für das "köstlich kulinarische" Verkochen des Frauennerflings vor laufender Kamera: "Wir hatten diesbezüglich eine andere Information."

Widersprüchliche Angaben

Vielleicht wurde ja bei der Naturschutzorganisation IUCN nachgeschaut, die internationale rote Listen gefährdeter Arten veröffentlicht. Dort wurde Rutilus pigus 2008 als "nicht gefährdet" angeführt. Weil die Spezies außerhalb der Donau noch seltener ist, sollte die Einschätzung zur Gefährdung eigentlich mit jener der Donauländer übereinstimmen, sagt Gewässerökologe Stefan Schmutz von der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. "Aber das ist leider nicht immer der Fall."

Ein Problem sei auch, dass es kaum Zahlen gebe, weshalb man über die Verbreitung nur wenig wisse. Laut dem Experten dürfte sein Bestand aber mit dem des Huchens vergleichbar sein. Im Vorjahr ergab eine Erhebung, dass der Huchen extrem gefährdet ist: In weniger als einem Prozent der Fließgewässerstrecken kommt er in einer natürlichen Dichte vor. Beim Frauennerfling ist das Verbreitungsgebiet grundsätzlich aber noch stärker eingeschränkt.

Zu viele Gräten

Der Frauennerfling oder Pigo kommt neben der Donau und ihren Nebenflüssen auch in manch anderen Fließgewässern und Seen des Alpenraums vor. Wenn man ihn etwa zufällig aus der Donau angelt, ist man verpflichtet, ihn wieder freizulassen, weshalb er normalerweise nicht verarbeitet und gegessen wird, sagt Schmutz. Er kann sich vorstellen, dass der Frauennerfling vereinzelt in einem Schotterteich vorkommen könne, auch wenn dies nicht das typische Habitat sei: "Sie sind ausgenommen von den Fischereigesetzen, dann kann er schon einmal irgendwo legalerweise auf einem Teller landen." Wie die Spezies in die Kochsendung kommen konnte, "entzieht sich meiner Kenntnis".

Daher gilt der Frauennerfling nicht als Speisefisch. "In Österreich gibt es keinen giftigen Fisch", sagt Schmutz, es sei aber auch eine Geschmacksfrage. Zwar gehört die Spezies zu den Karpfenartigen, wie andere Weißfische hat sie aber viele Gräten. Weil das Herausfischen der Skelettreste aus dem zubereiteten Fisch so mühselig ist und noch dazu die Gefahr droht, dass sie im Hals steckenbleiben, ist sie wenig beliebt.

Herkunft des Namens

Der eigenartige Name des Fischs hat nichts damit zu tun, dass er Frauen nerven würde. Es hängt wohl mit seinem Laichmonat, dem Mai, zusammen, schreibt die Salzburger Ökologin Regina Petz-Glechner. Der fruchtbare Mai gilt in der christlichen Tradition als Monat der Jungfrau Maria. Der Zusammenhang bildet sich auch im Namen der Fischunterart aus der Donau ab, Rutilus pigus virgo. So wird die Art auch von einem ähnlichen Fisch, dem früher laichenden Nerfling, unterschieden. Der "Nerfling" entwickelte sich aus "Nörfling", "Örfling" und "Orfe", die Gebrüder Grimm nannten einen karpfenartigen Fisch Cyprinus orfus. Der römische Gelehrte Plinius der Ältere meinte mit "orphus" einen rötlichen Meerfisch, beim Frauennerfling sind zumindest die Flossen an Bauch und After rötlich gefärbt.

Während der Laichzeit bekommt das Männchen einen Laichausschlag. An diesen kleinen weißen Noppen im Kopfbereich sind sie dann besser zu erkennen. Sie entstehen durch hormonelle Umstellungen, erklärt Schmutz – warum, ist aber noch nicht geklärt. Womöglich sind laichbereite Männchen für die Weibchen so besser zu erkennen.

Gift im Wasser

Gefährdet ist diese Spezies vor allem durch die Verschmutzung ihres Habitats, Flussregulierungen und den Ausbau der Wasserkraft. Kraftwerke unterbrechen das Flusskontinuum. Das schadet nicht nur dem Frauennerfling als Mittelstreckenwanderer, der während der Laichzeit in die Zubringerflüsse schwimmt, um dort zehntausende Fischeier abzulegen. Diverse Schadstoffe, von Spritzmittelresten bis hin zu Medikamentenrückständen, gelangen in die Gewässer. Vor allem ihre Wechselwirkungen und die Mehrfachbelastung sind noch wenig erforscht: "Das, was man weiß, deutet darauf hin, dass das die Fische relativ stark beeinflusst."

Auch der Klimawandel spielt eine Rolle, betrifft laut Schmutz aber die Kaltwasserfische stärker als den durchaus wärmeliebenden Frauennerfling. Generell sind Arten, die im Wasser leben, viel stärker von der Biodiversitätskrise betroffen als jene, die an Land leben: Zwischen 50 und 100 Prozent der Artengruppen sind gefährdet, bei heimischen Fischen sind es mehr als zwei Drittel.

Die Situation ließe sich verbessern, indem die restlichen Fließstrecken erhalten und Flüsse revitalisiert würden, sagt der Wissenschafter. Mit Blick auf erneuerbare Energien, die künftig noch wichtiger werden, betont Schmutz: "Wir sollten nicht in die letzten intakten Fließstrecken Wasserkraftwerke hineinbauen und die bestehenden entsprechend ökologisieren." Das heißt, es braucht etwa Aufstiegshilfen für Fische, um ihnen neben Kraftwerken die Wanderung zu ermöglichen, und es muss ausreichend Wasser abgegeben werden. Vorbildliche Ergebnisse habe beispielsweise die zehn Kilometer lange Revitalisierung des Unterlaufs der Traisen gezeigt: Dort entwickelte sich der ökologische Zustand fast wieder zu einer sehr guten Lage zurück. Doch es bräuchte viel mehr solcher Maßnahmen und Bewusstsein für bedrohte Arten, offensichtlich auch beim ORF. Wenn es so weitergeht, existieren bald keine Frauennerflinge mehr – höchstens Frauennervlinge in Form menschlicher Ungustln. (Julia Sica, 8.3.2024)