Ariana Grande hat für ihr neues Album den Fließbandproduzenten Max Martin engagiert, das hört man.
Ariana Grande hat für ihr neues Album den Fließbandproduzenten Max Martin engagiert, das hört man.
KatiaTemkin

Lou Reed hat nicht gut ausgesehen, gute Güte. 1980 veröffentlichte er ein Album mit dem Titel Growing Up in Public, und schon das Cover zeigte, dass das Aufwachsen in der Öffentlichkeit ihm einen hohen Preis abverlangt. Reed war damals Ende 30, sein Blick gut 20 Jahre älter. Und das war, lange bevor öffentliches Erwachsenwerden Dimensionen erreicht hat, in denen jede Tagesverfassung via asoziale Medien zugänglich gemacht wurde. Fake natürlich, denn es geht ums Image, nicht um die Wahrheit.

Ariana Grande ist so ein in der Öffentlichkeit groß gewordener Star. Über Musicals und Serien im Kinderfernsehen wurde die 1993 in Florida geborene Sängerin an ein Leben herangeführt, in dem sie seit 2013 behaupten kann, beruflich Popstar zu sein. Damals erschien ihr Album Truly Yours – und dem sind sechs weitere gefolgt, mit denen die heute 30-Jährige zu einem im Mainstream gefestigten Star wurde. Nun ist ihr neues Album Eternal Sunshine erschienen. Fast schon eine Art Nebenbeiprodukt zwischen Verpflichtungen in Film, Werbung oder der obligatorischen eigenen Kosmetikmarke für die Fans.

Selbst abseits dieser Geschäftszweige ist Grande bekannt geworden, nachdem sich im Mai 2017 ein Selbstmordattentäter in Manchester im Foyer einer Veranstaltungshalle vor einem ihrer Konzerte in die Luft sprengte und 22 Menschen tötete und über hundert verletzte. Zwei Wochen später gab sie mit anderen Musikerinnen und Musikern ein von 50.000 Menschen besuchtes Benefizkonzert in Manchester, das der Opfer gedachte: One Love Manchester.

Ariana Grande - we can't be friends (wait for your love) (official music video)
ArianaGrandeVevo

Verlust und erzwungene Abschiede kennt sie auch persönlich. Kurz nach ihrer Trennung von dem Rapper Mac Miller starb dieser 2018 an einer Überdosis. Später ist ihre zwei Jahre dauernde Ehe mit einem Immobilienmakler geschieden worden, was Grande zu Songs wie Thank U, Next inspiriert hat.

Verlust und die Folklore rund um zu Ende gehende Beziehungen sind mittlerweile ihr Dauerthema, ihre Alben so etwas wie Trennscheiben. Doch mit der Zeit verändert sich ihre Perspektive, zeigt sich eine Emanzipation, die bei ehemaligen Kinderstars nicht unüblich ist. Die erst lernen müssen, nicht nur zu funktionieren, sondern selbst zu entscheiden, was ihnen guttut.

Max-Martin-Alarm

Das ist selten ein radikaler Prozess, alte Fans wollen nicht gleich vor den Kopf gestoßen werden. Aber wenn jetzt im Titellied von Eternal Sunshine eine Zeile wie "I don’t care what people say" auftaucht, verdeutlicht es – wenig originell getextet – ein neues Selbstwertgefühl. Und Grande als Identifikationsfläche ihres Publikums lebt diesem vor, in welche Richtung es für sie geht und was das mit ihr macht. Das ist gut, so soll es sein. Leider herrscht zugleich schwerer Max-Martin-Alarm.

Ariana Grande - yes, and? (official music video)
ArianaGrandeVevo

Der schwedische Fließbandproduzent für Mainstream-Pop hat bei Eternal Sunshine seine Finger wieder bis zu den Schultern drinnen. Martin ist ein opportunistischer Dienstleister zwischen Angebot und Nachfrage. Das bedeutet meist eine Mischung aus Hochglanzpop mit Wurzeln in den 1980ern, versetzt mit Insignien der Jetztzeit, die trendig wirken sollen, meistens aber schon einen Bart haben.

Für Grande bedient er sich bei Vorlagen wie Madonna, gleichzeitig baut er auf ein immer wieder auftauchendes Zischen und Zischeln aus dem Trap-Bereich. Allerdings nicht so penetrant eingesetzt wie im einschlägigen Hip-Hop, sondern auf jene Art, die die Auflage der "Durchhörbarkeit" im Formatradio willig erfüllt.

Neues Boyfriend-Material

Weil Mainstream-Pop selbst im ärgsten Trennungsschmerz noch in die Disco muss, sind Titel wie Bye oder Don’t Wanna Break Up Again zwar mit Schmoll-Attitüde unterlegt, aber doch Workout-tauglich. Es muss ja weitergehen, mit dem Leben, dem Body, den Challenges und der Suche nach neuem Boyfriend-Material.

Die Selbstsicht, die da mit Emotionen von der Stange entsteht, ist eine zwischen Zweifeln ("How can I tell if I’m in the right relationship?"), Schmerz ("I Wish I Hated You") und Trotz ("Why do you care so much whose dick I ride?").

Dazu discontert es aus Max Martins Schablonenkoffer. Besonderen Charakter kann man Grandes Stimme leider nicht attestieren, es ist ein anpassungsfähiges Stimmchen in der Tradition einer Kylie Minogue. In dieser Mischung liegt letztlich ein ewiger Widerspruch. Da ist einerseits der Aufruf zu Emanzipation und gesundem Eigensinn. Doch begleitet wird diese inflationär behauptete "Selbstermächtigung" von einer Musik, deren Charakter sich in der Erfüllung der Form erschöpft, die angepasster und austauschbarer nicht sein könnte. Am Ende wird einem wieder einmal ein Tiefkühlgericht als À-la-carte-Menü aufgetischt – Mahlzeit. (Karl Fluch, 11.3.2024)