Ein Teppich mit vielen kleinen Speisen
Jedes Fastenbrechen ist ein besinnlicher Festakt.
Tobias Burger

Ramadan ist wie Weihnachten für Musliminnen und Muslime, mit dem Unterschied, dass die Bescherung erst nach 29 Tagen kommt“, sagt die Wiener Studentin Saime Osmanoğlu. In anderen Worten: Es ist eine Periode, die Musliminnen und Muslime mit Freude empfangen. Es ist eine Zeit der Besinnlichkeit, der Familienfeste, ja, auch der Vergebung und Milde. Heuer hat der Ramadan am Abend des 10. März begonnen und endet 30 Tage später.

Eine Großzahl der Musliminnen und Muslime plant den Ramadan schon weit im Voraus: Wen laden sie zum gemeinsamen Fastenbrechen ein, welche Ziele will man in dem Monat erreichen, und worüber möchte man reflektieren?

Osmanoğlu hat sich dafür einen speziellen Ramadan-Planer zugelegt. Wurden früher einfache Notizblöcke verwendet, kommen seit etwa zwei oder drei Jahren im deutschsprachigen Raum immer öfter diese besonderen Planer zum Einsatz, die auf Instagram und Tiktok beworben werden.

Digitale Ramadan-Planer werden auf Social Media beworben

In ihrem Planer hat Osmanoğlu bereits im Februar definiert, was sie im Fastenmonat umsetzen möchte. Auf der To-do-Liste der Studentin stehen das Lesen des Korans, inklusive vertiefender Reflexion – in Klammern hat sie vorsichtshalber dazugeschrieben: "so weit ich komme", um sich keinen zu großen Druck anzutun, alle über 6000 Verse zu lesen –, mehr zu spenden, weniger zu konsumieren und ein Social-Media-Entzug. "Ich verliere leider unheimlich viel Zeit auf Instagram. Ich will in diesen vier Wochen davon wegkommen und den Tag besser nutzen", sagt Osmanoğlu.

Auch Hanna Abou Jamal ist auf Digital Detox. Die Gastronomiemitarbeiterin denkt zusätzlich darüber nach, wie sie eine bessere Tochter, Schwester, Freundin, Kollegin und ein besseres Mitglied der Gesellschaft werden kann. Faruk Smailović hingegen will an seiner Geduld arbeiten. "Ich fahre weniger Auto, um meine Nerven zu schonen. Sonst schimpfe ich immer so viel", sagt der ehemalige Lagermitarbeiter.

Mentale Gymnastik

Wenn man mit fastenden Musliminnen und Muslimen redet, wird man oft Geschichten wie jene von Osmanoğlu, Smailović oder Abou Jamal hören, und es wird auffallen, dass sie das Fasten an sich nicht erwähnen. Das liegt daran, dass der Verzicht von Essen, Trinken oder sogar Rauchen von der Morgendämmerung um circa fünf Uhr in der Früh bis zum Sonnenuntergang gegen 18 Uhr für sie nicht im Vordergrund steht. Für sie geht es mehr um mentale Stärkung. Was nicht heißt, dass sie nicht mit dem Fasten hadern. "Ich sehne mich immer wieder nach einer guten Tasse Cappuccino. Der Hunger ist mir egal, aber Kaffee ...", sagt Osmanoğlu.

In diesem bewussten Verzicht auf Nahrung liegt auch die große Lektion des Ramadan. Man übt seinen Körper darin, nicht jedem Impuls zu folgen und auch mit weniger auszukommen. Man könnte auch sagen, man übt sich in Selbstbeherrschung. Wenn man nicht regelmäßig über Essen und Trinken nachdenken muss, kann man sich auf andere Aufgaben fokussieren.

Junge muslimische Frau mit Cappuccino
Der Verzicht auf Kaffee fällt oft schwerer als der auf Essen.
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Einer im "Journal of Economic Behavior & Organization" veröffentlichten Studie zufolge wirkt sich das Fasten positiv auf die schulischen Leistungen aus. Für die Studie wurden Pisa-Ergebnisse aus sechs westeuropäischen Ländern von 2003 bis 2018 ausgewertet. Dabei kam heraus, dass muslimische Schulkinder während der Fastenzeit eine deutlich bessere Leistung hingelegt haben.

Eine Lehrerin mit migrantischem, aber nicht muslimischem Hintergrund erzählt, dass sie im Lehrendenzimmer trotzdem nur Ramadan-Bashing hört. Das Argument, das man nicht nur vom Lehrpersonal zu hören bekommt, wonach man aufgrund von Nahrungsentzug schlechter fokussiert ist, hat natürlich irgendwo Hand und Fuß. Jeder, der schon länger hungrig war, weiß, dass man abgelenkt ist und manchmal auch schlechter gelaunt. Aber hier kommt bei Musliminnen und Muslimen die mentale Gymnastik ins Spiel: Man übt Körper und Gehirn darin, den Hunger und den Durst auszublenden oder sie zu überspielen. So wie wenn man am Abend kaum aufhören kann zu gähnen, aber immer noch eine Serie binge-watchen möchte. Also beschließt man einfach wach zu bleiben, obwohl der Körper schlafen will. "Je öfter man gefastet hat, desto leichter fällt diese Übung", sagt Smailović.

Nicht für jeden einfach

Natürlich sehen das nicht alle Musliminnen und Muslime so. Für manche ist der Ramadan mit Anstrengung verbunden. "Ich freue mich zwar auf den Monat, aber ich freue mich auch, wenn er wieder vorbei ist", sagt Lana Biberović. Ihr Job als Altenpflegerin und die Kindererziehung rauben ihr viel Kraft, und das Fasten bringt sie dann ans Limit. "Ich habe aber immer durchgehalten", fügt sie gleich hinzu. "Ich mag den Ramadan auch wirklich sehr, nur ist er leider für mich eine echte Belastungsprobe", so Biberović.

Für Mehmet Tamer ist der Ramadan auch alles andere als einfach. Er arbeitet am Bau und braucht dafür viele Kalorien. "Als der Fastenmonat noch im Sommer war, hatte ich Schwierigkeiten durchzuhalten und habe manchmal zwischendurch Snacks verspeist", gibt er zu. Das habe ihm sein Imam auch so empfohlen. Die Tage, wo er gesnackt hat, hat er dann im Winter nachgefastet. "Jetzt dauern die Tage nicht so lange, und die Temperaturen sind niedrig. Heuer schaffe ich es ganz, insha Allah", sagt er. So Gott will.

Maroni 
Der Ramadan im Winter verkürzt die tägliche Fastenzeit um etliche Stunden.
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Zur Erinnerung: Der islamische Kalender ist ein Mondkalender und dadurch um zehn Tage kürzer als der gregorianische Sonnenkalender. In Relation zueinander "verschieben" sich die muslimischen Monate um eben diese zehn Tage, und der neunte Monat Ramadan beginnt dadurch in unterschiedlichen Jahreszeiten. Die Erleichterung, die mit einem winterlichen Ramadan einhergeht – 13 statt 18 Stunden –, löst bei Musliminnen und Muslimen durchaus auch Freude aus. "So oder so ist es schwer für mich, aber ich faste trotzdem", so Biberović.

An und für sich sind alle zurechnungsfähigen Musliminnen und Muslime, die das Pubertätsalter erreicht haben, zum Fasten verpflichtet. Ausnahmen gibt es für ältere Menschen, für Schwangere und stillende Mütter, für Frauen, die ihre Periode haben, sowie für kranke Personen – sie können das Fasten zu einem späteren Zeitpunkt nachholen oder stattdessen für Bedürftige spenden.

Darüber, was unter Krankheit zu verstehen ist, sind neuerdings Debatten entfacht. Lange verstand man darunter chronische Erkrankungen, wie Diabetes, doch immer mehr Stimmen fragen sich, wie das zum Beispiel mit Depressionen, die auch chronisch sind, aussieht. Könnten depressive Musliminnen und Muslime das Fasten auch nachholen? Der islamische Psychologe Amin Loucif gehört zur immer größer werdenden Gruppe, die Ja dazu sagen. Für Patientinnen und Patienten, die ­regelmäßig Medikamente einnehmen müssen, gilt das sowieso.

Bewusst fasten, bewusst essen

Es gibt natürlich auch Musliminnen und Muslime, die gar nicht oder nur tageweise fasten. Die Entscheidung, ob und wann, liegt bei jedem Einzelnen, und es hängt auch nicht immer – wie man vermuten würde – am Grad der Religiosität, den man ohnehin nicht messen kann. Samiira Wali ist in einer praktizierenden Familie aufgewachsen und ist auch gläubig, dennoch begeht sie heuer, im Alter von 38, zum ersten Mal den Ramadan. "Um ganz ehrlich zu sein: Ich hatte bisher einfach Angst davor", sagt Wali. Probeweise fastet die Zahnarztassistentin vereinzelte Tage. "Es ist schon sehr anstrengend", sagt sie. Es gehe ihr vor allem das Nikotin ab.

Muslime beim Fastenbrechen
Gerichte schmecken im Ramadan anders, weil der Koch oder die Köchin nicht kosten kann.
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Ihre Familie sei da sehr unterstützend. Den Ramadan über lassen sie sie nicht alleine essen, auch an Tagen, wenn sie nicht fastet. Für Wali sind die gemeinschaftlichen Essen, bei denen Verwandte und Freunde zusammenkommen, etwas Besonderes. Nur eines ist ihr schon aufgefallen: "Mamas Gerichte schmecken im Ramadan anders", sagt sie und meint es nicht unbedingt positiv. Sie koche die gleichen Gerichte wie immer, aber diese schmecken eine Spur fader. "Sie kann beim Kochen ja nicht zwischendurch einen Löffel in den Mund stecken. Deshalb weiß sie nicht immer, ob sie genug Gewürze verwendet hat", erklärt Wali. Die Mutter, die im Nebenzimmer sitzt, bessert sie aus: "Ich würze weniger, damit der Körper nicht nach mehr Wasser lechzt."

Und das ist ein wichtiger Punkt. Denn das Fasten ist im Grunde gesundheitlich unbedenklich, wenn man die Zeit, in der man essen und trinken kann, richtig nutzt. Wenn man sich täglich mit fettigen, scharfen, überwürzten Gerichten vollstopft, wird es nicht nur den Cholesterinspiegel stören. Proteine, Vitamine und Wasser gewinnen in dem Monat einmal mehr an Relevanz. Auch das muss bewusst geschehen. Der Ramadan fordert Körper und Geist heraus. Aber wie für jede andere Tätigkeit gilt auch hier: Übung macht den Meister. Sofern man das will, natürlich. (RONDO, Muhamed Beganovic, 12.3.2024)