Adrianne Lenker sagt: Analog ist besser. Ihr neues Werk entstand, ohne dass sie auf einen Bildschirm geschaut hätte.
Adrianne Lenker sagt: Analog ist besser. Ihr neues Werk entstand, ohne dass sie auf einen Bildschirm geschaut hätte.
Buck Meek

John Denver hatte leicht reden. Von wegen "Country roads / take me home / to the place / I belong". Das war ein Heile-Welt-Schlager für Bleifüße auf dem Weg heim zur Mutti. Was aber, wenn der "place I belong" noch nicht gefunden wurde? Adrianne Lenker ist eine, die diesen Platz noch sucht. Dabei trägt sie ihre Vergangenheit wie einen Rucksack voller Steine mit sich.

Lenker ist 32 und steht im Hauptberuf der Band Big Thief vor. Das ist eine US-amerikanische Folkrock-Band, was auf ihrem Label auffällt wie ein rotumrandeter Eiterpickel auf der Nasenspitze. Das Label ist britisch und heißt 4AD und ist für seine Präsenz im Countryrock eher nicht so bekannt, sieht man von der Formation Tarnation ab, die seinerzeit eine Art David-Lynch-dreht-einen-Spaghetti-Western-Musik gespielt hat.

Adrianne Lenker hat nun ein neues Soloalbum aufgenommen, ihr fünftes, und es wird am Freitag veröffentlicht. Es trägt den hoffnungsfrohen Titel "Bright Future". Lenker hat in der Musik früh ein Ventil gefunden. Sie war noch keine zehn Jahre alt, als sie ihre ersten Songs schrieb, und gerade 15, als ihr erstes Album veröffentlicht wurde. Schon damals trug sie eher schwer.

Barack Obama ist ein Fan

Lenker wurde in eine religiöse, noch sehr junge Familie hineingeboren und erlebte die Sinnsuche ihrer Eltern in diversen Fundi-Sekten – inklusive Entsagungen und anschließender reumütiger Wiedereingemeindungen. Genug Stoff, um einen ordentlichen Schaden aufgeladen zu bekommen. Mit Big Thief schuf sie sich einen Ausweg.

Die Band debütierte auf dem Label von Conor Oberst von der Band Bright Eyes, der Big Thief protegierte – bevor das Quartett zu 4AD wechselte und mit seinem Folkrock nicht nur Barack Obama als Fan gewinnen konnte. Mittlerweile kann die Band sogar eine Hand voller Grammy-Nominierungen vorweisen – was auch immer das wert ist.

Adrianne Lenker

Mit ihrem Bandkollegen Buck Meek war Lenker verheiratet, seit 2018 sind sie geschieden – was eine Probe für das Bandgefüge war, die die beiden aber bestanden haben. Ihre nächste Beziehung hatte Lenker mit einer Frau, was ihre Konfusion nicht schmälerte und in Themen mündete, die auf "Bright Future" auftauchen.

Die intimen Lieder Lenkers schlagen sich in einer ebensolchen Produktion nieder. Schon die Vorgänger "Songs" und "Instrumentals" waren ebenfalls in einem sehr hermetischen Rahmen während Covid und ohne digitales Zutun entstanden. "Bright Future" ist nun ebenfalls ohne Bits und Bytes empfangen worden.

Das Werk wurde in der Einschicht von Massachusetts eingespielt, in einem Studio im Wald, abseits von Bildschirmen und Smartphone-Empfang. Für Lenker war das gewissermaßen ein Schritt in die Vergangenheit, in der sie als Kind mit ihren Eltern Zeit bei den Amish verbracht hatte.

Lieber weniger spielen

Zwar eröffnet sie mit einem Lied voller Selbstzweifel, dabei klingt sie aber sehr bei sich. Das Klavier molliert, die Streicher verliert sie im Verlauf des Songs, der wird weniger statt mehr. Das countryfizierte "Sadness as a Gift" ist stärker instrumentiert, die Umgebung scheint aber dahingehend Einfluss zu nehmen, dass nie jemand zu viel spielt, lieber weniger.

Adrianne Lenker

Die Umgebung wird so fast ein unsichtbares, aber spürbares Bandmitglied und macht sich als ruhige, nächtlich Atmosphäre bemerkbar. Zugleich ist "Sadness as a Gift" der Versuch einer Umdeutung der Umstände. Traurigkeit als Geschenk, als Chance, daraus wenigstens einnehmende Musik zu machen, sie so ein Stück weit zu überwinden. Ein Titel wie "No Machine" ist gewissermaßen ein Manifest bezüglich der Art, wie das Album produziert wurde.

Die Ästhetik, die entsteht, muss man sich als Zuhörer erst erarbeiten, diese Musik ist keine für zwischendurch. Sie bietet dafür das Erlebnis, gewissermaßen in der ersten Reihe beim Entstehungsprozess dabei zu sein. Sie fühlt sich so nah an, als säße man neben Michelle Shocked, als diese am Lagerfeuer einst ihre "Texas Campfire Tapes" aufnahm.

Das "Schlagzeug" sind oft nicht mehr als irgendwo dagegengetrommelte Sticks, das Album ist eine Reaktion auf das moderne Leben, auf das Lenker mit Rückzug reagiert. Eine Strategie, die ebenfalls schon kommerzialisiert wurde. Lenkers Rückzug verlangt dafür aber nur den Gegenwert für ihr Album und nicht gleich tausende Euro für solch ein allumfassendes All-exclusive-Erlebnis. Aber ihr Rückzug ist natürlich auch nur temporär: Die Bühne wartet. (Karl Fluch, 20.3.2024)