Thomas Hitzlsperger gibt Grund zum Optimismus: "Ich habe zu keiner Zeit erlebt, dass Leute mich ausgrenzen."
IMAGO/Ulrich Wagner

Weltweit gibt es rund zehn männliche Fußballprofis, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen. Das Thema scheint unter den Teppich gekehrt zu werden – wieso, das beleuchtet Manfred Oldenburg in seiner Dokumentation Das letzte Tabu, die am Donnerstag um 22.10 Uhr auf ORF 1 als Free-TV-Premiere gezeigt wird. Zuvor sprach der ehemalige deutsche Nationalspieler Thomas Hitzlsperger mit dem STANDARD. Er hatte seine Homosexualität 2014 öffentlich gemacht und zieht zehn Jahre später Bilanz.

STANDARD: Der ehemalige deutsche Profi Marcus Urban bezeichnete in seinem Buch "Versteckspieler" Homosexualität als "letztes Tabu" im Fußball. Das war 2008. Warum ist seither nichts weitergegangen?

Hitzlsperger: Ich denke, es hat sich schon einiges getan. Vereine und Verbände positionieren sich klar für Vielfalt und gegen Diskriminierung. Es gibt die Symbolik, es gibt die Regenbogenfahnen in den Stadien. Auch die Art und Weise, wie sich die Leute äußern, hat sich deutlich zum Besseren verändert. Allerdings ist es noch immer so, dass sich Spieler zu ihrer Homosexualität nicht bekennen. Das ist so geblieben.

STANDARD: Ist die Symbolik doch nur Imagepflege und nicht gelebte Solidarität? Das wurde zuletzt Rapid Wien vorgeworfen.

Hitzlsperger: Die Causa Rapid hat uns gezeigt, dass unbedachte Äußerungen im Alltag nach wie vor passieren. Aber wir müssen uns die Reaktionen und die Sanktionen ansehen. Und die waren heftig. Teamchef Ralf Rangnick hat klar Stellung bezogen. Wir können nicht erwarten, dass plötzlich jeder die Problematik begreift. Wir werden immer wieder homophobe Äußerungen hören. Die entscheidende Frage ist aber eine andere: Wie gehen wir als Öffentlichkeit mit solchen Vorfällen um? Und das hätte vor zehn Jahren anders ausgesehen.

STANDARD: Wie erklären Sie sich, dass Homophobie auf Spieler- und Funktionärsebene trotz all der Kampagnen weiter existieren kann?

Hitzlsperger: Es wurde in der Emotion etwas weitergeplappert, was leider immer noch im Alltag gesagt wird. Es gab die Reaktionen. Und jetzt müssen alle, die da mitgesungen haben, verstehen, dass es verletzend ist und sich nicht gehört. Man darf auf den Lerneffekt hoffen.

STANDARD: In Ihrem Buch "Mutproben" schreiben Sie auch über Ihr Coming-out vor zehn Jahren. Welche Gedanken und Ängste haben diesen Schritt damals begleitet?

Hitzlsperger: Ich habe an mein eigenes Leben gedacht. Wie es mit mir nach dem Schritt an die Öffentlichkeit weitergehen wird. Ich hatte befürchtet, dass es im Fußball keinen Platz mehr für mich geben würde. Weil ich halt einer von denen bin, über die getuschelt wurde. Aber das ist alles nicht eingetreten. Ich habe ganz normal weitergearbeitet. Ich habe zu keiner Zeit erlebt, dass Leute mich ausgrenzen. Die Gesellschaft ist in der Mehrheit nicht so rückständig, wie man es manchmal glauben könnte.

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STANDARD: Ist die Angst vor den Reaktionen vielleicht generell zu groß?

Hitzlsperger: Das ist zumindest meine Erkenntnis. Aber ich will es auch nicht kleinreden. Ich war selbst an dem Punkt, wo ich mich nicht getraut habe, darüber zu sprechen. Wo ich dachte, dass Homosexualität in der Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Dann bin ich doch diesen Weg gegangen, und was ist passiert? Gar nichts! Ich bekam Zuspruch.

STANDARD: Also wie mutig muss man eigentlich sein, um sich als Profi zur Homosexualität zu bekennen?

Hitzlsperger: Das hängt dann doch von den persönlichen Umständen und Rahmenbedingungen ab. Es geht nicht nur um Fußball. Wenn ich mich heute als Profi in Saudi-Arabien outen möchte, ist das weitaus komplizierter als in Deutschland oder Österreich. Da muss man schon differenzieren. Ich habe nach meiner Karriere beschlossen, es auszusprechen, weil ich in Deutschland durch das Gesetz geschützt bin. Dieses Glück haben nicht alle.

STANDARD: Trotzdem haben wir es als Gesellschaft noch nicht geschafft, homosexuellen Spielern die Angst vor einem Coming-out zu nehmen.

Hitzlsperger: Das liegt aber auch an den Spielern, die sich bisher nicht getraut haben. Ich habe jahrelang meine Geschichte erzählt, jetzt würde ich gerne die von anderen hören. Warum trauen sie sich nicht an die Öffentlichkeit? Wir können nicht immer nur sagen, der Fußball ist homophob. Das wissen wir doch gar nicht. Wir wissen nichts von den möglichen Reaktionen. Wir tappen im Dunklen. Wir wissen nur, dass Homosexualität nicht sichtbar ist. Sie ist tabuisiert.

STANDARD: Wie viele Spieler müssten sich bekennen, damit das Thema vom Tisch ist?

Hitzlsperger: Das wird immer ein Thema bleiben. Fußballer erzählen aus ihrem persönlichen Leben. Die Freundin, die Frau, die Kinder, die Trennung. Fußball ist auch Showgeschäft. Und wenn sich einer outet, wird er einer von ganz wenigen sein. Das erzeugt Aufmerksamkeit. Man kann nur hoffen, dass weniger Diskriminierung im Alltag stattfindet. Die Frage ist nicht, ob wir darüber reden, sondern wie.

Thomas Hitzlsperger (Zweiter von links unten) vor dem Finale der Fußball-EM 2008 in Wien.
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STANDARD: Sie werden eher mit Ihrem Outing als mit Ihren Erfolgen in Verbindung gebracht. Nervt das?

Hitzlsperger: Stimmt das? Gefühlt werde ich öfters auf meine Zeit beim VfB Stuttgart angesprochen.

STANDARD: Das war nur eine Mutmaßung.

Hitzlsperger: Es wäre auch egal. Ich habe es selbst zum Thema gemacht. Das ist mir ein Anliegen. Ich möchte einen Beitrag leisten, um Vorurteile abzubauen.

STANDARD: Wird sich das deutsche Nationalteam nach den Diskussionen um die One-Love-Schleife in Katar bei der Heim-EM im Sommer vor politischen Aussagen hüten?

Hitzlsperger: Davon gehe ich aus. Nach der WM in Katar war klar, dass es jetzt nur noch um Fußball geht. Das haben die Verantwortlichen so entschieden. Die deutsche Nationalmannschaft hat genug mit sich selbst zu tun. Das ist zu akzeptieren. Hoffentlich spielen sie ein gutes Turnier. (Philip Bauer, 14.3.2024)