Angesichts der enormen Probleme, die durch die kurzfristige Schließung des "AUVA Traumazentrums Standort Brigittenau (Lorenz Böhler)" (so die vollständige offizielle Bezeichnung) für dort arbeitende und behandelte Personen entstanden und zu bewältigen sind, mag der folgende Hinweis eher ein Problemchen oder besser: eine historische Fußnote sein. Aber da in der heftigen öffentlichen Diskussion um die aktuelle Lage und die Zukunft des Spitals nur mehr vom "Lorenz Böhler" die Rede ist, dem früheren Namen des Krankenhauses, seien einige eher belastete Aspekte dieses fraglos hervorragenden Unfallchirurgen in Erinnerung gerufen.

Lorenz Böhler
Der Unfallchirurg Lorenz Böhler um 1955 bei der Arbeit. Nach Kriegsende wurde er zunächst als "illegaler Nazi" geführt, ehe ihm eine schnelle "Rehabilitierung" gelang.
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Lorenz Böhler war nämlich nicht nur Mitglied der NSDAP, sondern vermutlich auch ein "Illegaler", sprich: Er dürfte seine Parteimitgliedschaft vermutlich bereits vor dem "Anschluss" im März 1938 erworben haben. "Auch aus diesem Grund wäre es an der Zeit, diese Spitalsbezeichnung zu überdenken", sagt der Medizinhistoriker Herwig Czech von der Med-Uni Wien. Und womöglich lässt sich ja bis zum Neuaufsperren des Spitals ein etwas unkomplizierterer Name ohne die Nennung Böhlers finden sowie eine andere Vulgo-Bezeichnung.

Verdienste versus NS-Vergangenheit

Von den außerordentlichen medizinischen Verdiensten des "Vaters der modernen Unfallchirurgie" soll hier nicht die Rede sein – die bleiben trotz politischer Fehltritte selbstverständlich und sind immer mit in Betracht zu ziehen. Aber es gibt eben auch für Böhler die Zeit von 1938 bis 1945, die für den gebürtigen Vorarlberger biografisch nach wie vor nicht lückenlos aufgearbeitet ist.

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Das gilt auch für Böhlers NSDAP-Mitgliedschaft, für die in den einschlägigen Karteien und Archiven in Berlin und Wien unterschiedliche Eintrittsdaten vermerkt sind, wie Recherchen der Wiener Medizinhistorikerin Birgit Nemec (Charité Berlin) ergaben. Sie hält das in den Gauakten mehrfach vermerkte Datum 12./13. Februar 1938 für wahrscheinlicher als den 25. Mai 1938, der alternativ Erwähnung findet. Damit wäre Böhler – siehe oben – ein "Illegaler" gewesen, wofür auch die Zuerkennung des 1. Mai 1938 als symbolisches Beitrittsdatum sowie Bühlers Mitgliedsnummer spricht, wie Herwig Czech ergänzt. Nach Kriegsende wurde Böhler jedenfalls als solcher geführt. In dieser Zeit verlor der Mediziner auch für kurze Zeit seine Habilitation, also seine Lehrbefugnis.

Sein berufliches Handeln während der NS-Zeit scheint laut Nemec zwar "primär durch karrierepolitische Desiderate und in einem geringeren Maße politisch-ideologisch motiviert gewesen zu sein". In einer politischen Bewertung aus der NS-Zeit ist allerdings auch zu lesen, dass Böhler "seit jeher als national und vor allem antisemitisch gesinnt" gegolten habe. Und so wie sein nach 1945 ebenfalls früh pardonierter und viel geehrter Chirurgenkollege Leopold Schönbauer war auch Böhler ein förderndes Mitglied der SS, laut Dienstzettel seit 18. Juni 1939. (Damit war er freilich noch kein reguläres SS-Mitglied.)

Unterzeichner eines perfiden Briefs

Im Sommer 1939 war Böhler dann Unterzeichner eines perfiden Briefs, mit dem die größte rassistisch motivierte Vertreibungswelle, die es je an einer medizinischen Fakultät gab (rund 150 vertriebene Dozenten, Dozentinnen und Professoren jüdischer Herkunft bis 23. April 1938), schöngeredet wurde. Zweck des Schreibens war es, gegen die Verlegung der Wiener American Medical Association nach London zu protestieren, weshalb es auch auf Englisch verfasst wurde.

In dem Brief, der neben Böhler von zwölf weiteren Angehörigen der "gesäuberten" Fakultät der Universität Wien unterzeichnet wurde, heißt es unter anderem: "that we the undersigned know of not one case of persecution of a professor for his racial or religious adherence. (…) It could rather be said that by the removal of certain influences a trend of charlatanism, which was beginning to damage the reputation of the Vienna medical clinics in the eyes of serious medical men, was eliminated" ("dass wir, die Unterzeichnenden, von keinem Fall der Verfolgung eines Professors wegen seiner rassischen oder religiösen Zugehörigkeit wissen. (…) Man könnte eher sagen, dass durch die Beseitigung bestimmter Einflüsse ein Trend des Scharlatanismus beseitigt wurde, der den Ruf der Wiener Kliniken in den Augen seriöser Mediziner zu schädigen begann").

Hohe Ehrungen auch noch am Ende der NS-Zeit – etwa jene mit dem Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes durch Gauleiter Baldur von Schirach am 30. Jänner 1945, dem zwölften Jahrestag der nationalistischen "Machtergreifung" in Deutschland – tragen eher auch nicht zur Entlastung Böhlers bei.

Lorenz Böhler
Zeitgenössischer Bericht über die hohe Ehrung Böhlers durch Gauleiter von Schirach.
Anno / ÖNB

Schnelle Rehabilitierung nach 1945

Nach 1945 war für Böhler die Zeit der "Sühne" und des Wartens auf politische und wissenschaftliche Rehabilitierung besonders kurz. Bereits Ende 1946 wurde bei Böhler die Bezeichnung "illegal" entfernt. Das am 6. Februar 1947 beschlossene "Nationalsozialistengesetz" sah im Paragraf 27 eine Regelung vor, die es ermöglichte, Nationalsozialisten in Ausnahmefällen aus den Registrierungsakten zu streichen. Solche Ausnahmen, für die sich der damalige Bundespräsident Karl Renner (SPÖ) starkgemacht hatte, wurden insbesondere bei unentbehrlichen Medizinern wie Schönbauer oder Böhler gemacht, deren steilen Nachkriegskarrieren damit nichts mehr im Weg stand. Böhler, dem Ende 1947 wieder die Lehrbefugnis erteilt wurde, konnte damit praktisch durchgehend von 1925 bis 1963 das Unfallkrankenhaus leiten.

Abermals folgten höchste Auszeichnungen, 1959 etwa das exklusive Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst. Zwei Jahre zuvor wäre Böhler beinahe auch noch in der Politik gelandet: Er war als Bundespräsidentschaftskandidat der damals neu gegründeten FPÖ im Gespräch und hatte bereits zugesagt. Doch die einigte sich letztlich mit der ÖVP auf den Chirurgenkollegen Wolfgang Denk als gemeinsamen Kandidaten. (Der FPÖ-Führung wurde daraufhin von noch weiter rechts der Vorwurf gemacht, sich an die ÖVP verkauft zu haben und Böhler deshalb nicht weiter unterstützt zu haben, weil er als zu national gelte.)

1972 wurde dann das neu gebaute Unfallkrankenhaus nach dem großen Unfallchirurgen (und eben auch: ehemaligen Nazi) benannt, der ein Jahr später starb. Ob der Name Lorenz Böhler auch noch gut 50 Jahre später als Teil der offiziellen Bezeichnung und als Vulgo-Bezeichnung für dieses Spital taugt, sollte – als immaterieller Teil der Renovierung – überlegt werden. (Klaus Taschwer, 14.3.2024)