Als vor drei Jahren ein Mob tausender fanatischer Anhänger Donald Trumps das Kapitol in Washington stürmte, war das Entsetzen groß. In den Demokratien der Welt stellte man sich die bange Frage: Wie kann es passieren, dass Extremisten mit brutaler Gewalt Büros der Abgeordneten stürmen, sie jagen, bis zu den Türen des Plenarsaales vordringen, des Herzstücks der parlamentarischen Demokratie?

Was bedeutet es für Verfassung und Freiheit, wenn sie ungeniert alle Regeln brechen, Demokratie und unabhängige Medien offen infrage stellen, diese sogar systematisch diffamieren und bekämpfen? Mit den Folgen und Zweifeln kämpfen die USA noch heute.

In Europa gab es damals viele Stimmen, die sagten, "so etwas" sei in der Europäischen Union undenkbar, Parlamente seien sichere Orte. Vordergründig stimmt das auch. Angriffe gegen die EU als solche, gegen liberale Demokratie und Rechtsstaat, wurden hier selten, aber doch mit parlamentarischen Mitteln geführt, mit Mehrheiten: in Ungarn, bis vor kurzem in Polen. Oder sie erfolgten "nur" rhetorisch, von außen, insbesondere von den EU-weit erstarkenden Rechtspopulisten, darunter die FPÖ.

Tabubruch in Straßburg

Vor zwei Wochen forderte Ungarns Premierminister Viktor Orbán die Abschaffung der Direktwahlen der Abgeordneten des EU-Parlaments. Seine Absichten sind klar. Er will die Union, wie sie ist, nationalistisch zerschlagen.

Diese Woche gab es in Straßburg einen gewaltfreien Vorfall, einen Tabubruch, der demokratisch gesinnte EU-Bürgerinnen und -Bürger hellhörig machen muss. Es kam zu einer gefährlichen Vermischung der üblichen verbalen Attacken gegen die EU von außen mit einer offenen Agitation nationalistischer Radikaler im Inneren des Parlamentsgebäudes – und zu einigen Regelbrüchen.

Die FPÖ verschaffte, angeführt von Delegationschef Harald Vilimsky, 17 Vertretern "freier Medien" Zutritt ins Innerste des Parlamentsgebäudes.
APA/MAX SLOVENCIK

Im Zentrum des Geschehens: die FPÖ, die neben AfD, Lega und Marine Le Pens Rassemblement National der extrem rechten ID-Fraktion angehört. Angeführt vom blauen Delegationschef Harald Vilimsky, verschaffte sie 17 Vertretern "freier Medien" aus Österreich Zutritt ins Innerste des Hauses. Teils amtsbekannte Leute, die den Identitären nahestehen, bekamen einen "großen" Auftritt. Offiziell angemeldet und als Journalisten mit Tageszulassung deklariert, konnten sie bis vor die Türen des Plenarsaales gelangen, überall filmen, dokumentieren, Räumlichkeiten und Abläufe studieren.

Propagandamaterial

Das Hauptziel der Aktion war von der sichtlich überrumpelten Parlamentsverwaltung bald identifiziert. Es sollte in den Kulissen des EU-Parlaments Material für Propaganda produziert werden: Vilimsky, der etwa gegen die Union als "Kriegstreiberin" im Ukrainekrieg wettert; oder Attacken gegen akkreditierte Medienvertreter als "Systemjournalisten" (ein Nazibegriff), die als "links-linke Warmongers" (Kriegstreiber) diffamiert werden. Auf einschlägigen rechten Plattformen wird das Material bereits herumgereicht.

Wie konnte das passieren? Ist das noch Medienfreiheit? Oder eine gewaltlose, aber symbolisch umso wirksamere Attacke gegen die EU nach dem Motto: Seht her, wenn wir wollen, kommen wir bis vor den Plenarsaal!

Damit darf sich jetzt das EP-Präsidium unter Präsidentin Roberta Metsola befassen. Der Fall wird auf höchster Ebene untersucht. Wie der Europawahlkampf in Österreich von FPÖ-Seite laufen wird, scheint jetzt schon klar: brutal. (Thomas Mayer, 14.3.2024)