Während der Vernehmung vor Gericht hat der Vorsitzende mich daran erinnert, dass 'Reue für die begangene Tat' ein mildernder Umstand ist", sagte Wladimir Kara-Mursa in seinem Schlusswort, bevor er im April 2023 unter anderem wegen "Hochverrats" zu 25 Jahren Straflager verurteilt wurde. "Verbrecher sollten begangene Straftaten bereuen. Aber ich bin im Gefängnis wegen meiner politischen Ansichten. Wegen der Auftritte gegen den Krieg in der Ukraine. Wegen des langjährigen Kampfes gegen Putins Diktatur. Und ich bereue nichts von alledem – ich bin stolz darauf."

Oppositioneller Kara-Mursa in Russland in Haft.
Wladimir Kara-Mursa sitzt derzeit im Gefängnis.
AP

25 Jahre, es ist die höchste Haftstrafe, die bislang in Russland gegen einen Oppositionellen verhängt wurde. Kara-Mursa habe "falsche Informationen" über die russische Armee verbreitet und Verbindungen zu einer "unerwünschten Organisation" unterhalten, so der Vorwurf der Justiz. Kara-Mursas Geschichte weist viele Parallelen zur Geschichte des verstorbenen Alexej Nawalny auf. Auch Kara-Mursa wurde in ein Straflager nach Sibirien verbracht. Wie Nawalny kam auch Kara-Mursa in Isolationshaft, nach Angaben seiner Anwältin für vier Monate. Im Jänner dieses Jahres sei er im Straflager wegen eines "böswilligen Verstoßes" erneut vorgeladen worden. Angeblich habe er eines Morgens den Befehl "Aufstehen!" ignoriert.

Mehrere Anschläge

Politisch hatte sich Kara-Mursa jahrelang für westliche Sanktionen gegen den Kreml eingesetzt. Er stand sowohl Nawalny als auch dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow nahe. Nemzow wurde im Februar 2015 auf einer Brücke in Moskau, nur wenige Meter vom Kreml entfernt, mit vier Schüssen in den Rücken ermordet. Die Drahtzieher sind bis heute unbekannt. Im Mai 2015 gab es auch auf Kara-Mursa einen Anschlag. Er wurde mit Anzeichen einer schweren Vergiftung ins Krankenhaus eingeliefert und ins künstliche Koma versetzt. 2017 gab es einen erneuten Giftanschlag auf den Politiker.

Unterdessen sitzen viele weitere prominente Oppositionelle und Menschenrechtler in Russland im Gefängnis. Jüngst wurde Oleg Orlow von der mittlerweile verbotenen Organisation Memorial zu zweieinhalb Jahren Straflager verurteilt. Das Vergehen des 70-Jährigen: Kritik am Krieg gegen die Ukraine. Achteinhalb Jahre Gefängnis lautete das Urteil gegen den Politiker Ilja Jaschin. Er hatte die Ermordung von Zivilisten in der ukrainischen Stadt Butscha angeprangert. Xenia Fadejewa, ehemalige Abgeordnete und Verbündete Nawalnys, musste Ende 2023 eine neunjährige Haftstrafe antreten. Die Behörden werfen der 31-Jährigen vor, eine "extremistische Organisation" gegründet zu haben. Mit derselben Begründung wurde auch Lilia Tschanyschewa, Mitarbeiterin von Nawalny, im Juni 2023 zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Gerade hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die Strafe auf zehn Jahre Straflager zu erhöhen.

Nach Nawalnys Tod hatte Wladimir Kara-Mursa die russische Opposition, überwiegend im Exil, aufgefordert, nicht nachzulassen. "Wenn wir uns der Düsternis und Verzweiflung hingeben, ist das genau das, was sie wollen." Den Kampf für Demokratie nach Nawalnys Tod aufzugeben sei keine Option. "Wir haben kein Recht dazu", appellierte Kara-Mursa an die Menschen in Russland. Er äußerte die Hoffnung, "Russland zu einem normalen, freien, europäischen und demokratischen Land zu machen". Damals, im April 2023, sagte Kara-Mursa in seinem Schlusswort vor Gericht: "Sogar heute, sogar in dieser Dunkelheit, die uns umgibt, sogar in diesem Käfig, liebe ich mein Land und glaube an seine Menschen. Ich glaube, dass wir diesen Weg meistern können." (Jo Angerer aus Moskau, 15.3.2024)