Was wäre passiert, wäre Alexej Nawalny nach dem Nowitschok-Anschlag 2020 nicht nach Russland zurückgekehrt? Womöglich wäre er noch am Leben, vielleicht aber hätte ihn auch das gleiche Schicksal ereilt wie viele andere Putin-Gegner, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten ins vermeintlich sichere Ausland begeben haben – und danach zum Opfer russischer Mordkommandos wurden.

Leonid Wolkow, einst prominenter Mitstreiter Alexej Nawalnys, wurde Ziel eines Angriffes.
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Dass der Aufenthalt im Exil nicht zwingend schützt, bekam nun einer zu spüren, der als enger Weggefährte Nawalnys gilt: Leonid Wolkow, einst Stabschef des Oppositionellen im Präsidentschaftswahlkampf 2018, für den Nawalny später allerdings disqualifiziert wurde. Wolkow, gegen den in Russland mehrere staatlich orchestrierte Verfahren laufen und der nach einer Verurteilung auch gesucht wird, lebt seit Jahren im litauischen Exil.

Angriff mit Tränengas und Hammer

Dort, in der Hauptstadt Vilnius, wurde er Dienstagabend zunächst mit Tränengas und dann mit einem Hammer attackiert. Er überlebte mit einem gebrochenen Arm und mehreren leichteren Verletzungen. Nach dem Täter wird gefahndet.

Die Tat spielte sich in einer ruhigen Gegend am Rande von Vilnius ab. Dass der Angreifer sein Opfer zufällig auswählte, gilt nicht als wahrscheinlich.
AFP/PETRAS MALUKAS

Dass er eine Zielscheibe des russischen Staatsapparats ist, muss dem 1980 in Swerdlowsk Geborenen allerdings schon lang klar gewesen sein. Nach einer vergleichsweise behüteten Kindheit als Sohn eines Mathematik-Professors und einer Informatik-Lektorin studierte er selbst Physik und Mathematik in Jekaterinburg. Außerdem engagierte er sich seit den mittleren 2000er-Jahren in der prowestlichen Mitte-rechts-Partei "Volksfreiheit".

Später Fehler

Nach einigen Jahren im Stadtparlament von Jekaterinburg verbrachte er einige Monate in Luxemburg – seinem Blog aus dieser Zeit ist Begeisterung für die dort gepflegte Mehrsprachigkeit zu entnehmen und Interesse für die kleineren Details der Verwaltung, etwa für Anreize zur Mülltrennung.

Lang hielt es ihn dort allerdings nicht. Nach wenigen Monaten kehrte der verheiratete Familienvater zurück, um die Bürgermeisterkampagne Nawalnys 2013 zu leiten. Endgültig kehrte er dem Land den Rücken, als 2019 Ermittlungen gegen ihn eingeleitet wurden. Nawalnys Stiftung gegen Korruption aber blieb er treu – bis 2023, als er einen Brief unterzeichnete, in dem Ausnahmen von EU-Sanktionen für mehrere russische Oligarchen gefordert wurden. Ein Fehler, wie er, nach erstem Abstreiten, später zugab. Dass ein Rücktritt allein seine Gegner nicht besänftigt, musste Wolkow nun schmerzhaft erfahren. (Manuel Escher, 13.3.2023)