Broncia Koller-Pinell malte ihre Tochter Silvia im Reformkleid und mit Vogelkäfig.
Broncia Koller-Pinell malte ihre Tochter Silvia im Reformkleid und mit Vogelkäfig.
Sammlung Eisenberger, Wien

Als sich die Wiener Kunstszene um die Jahrhundertwende in einem Kaffeehaus trifft, fallen in der Beschreibung der illustren Gesellschaft die Namen Klimt, Wagner oder Hoffmann, manchmal auch Munch und Hodler. Unter ihnen: Broncia Koller-Pinell – eine Frau und nicht selten die Einzige, die in der Männerrunde mitmischt.

Heute, da die Bezeichnung "Wien um 1900" längst zu einer Marke geworden ist, stehen wieder die Männer im Vordergrund, der Name Koller-Pinell ist in den Hintergrund gerückt. "Zu Unrecht", wie Belvedere-Direktorin Stella Rollig findet: Das Untere Belvedere widmet der vielseitigen Malerin und Mäzenin mit "Broncia Koller-Pinell. Eine Künstlerin und ihr Netzwerk" jetzt erstmals eine Personale.

1863 wird sie als Bronisława Pineles in eine einflussreiche jüdische Familie geboren, mit zehn Jahren übersiedelt sie aus dem damaligen Galizien nach Wien. Mit 18 erhält sie privaten Zeichenunterricht, ab 1888 besucht sie die Münchner Damenakademie. Das in jener Periode entstandene Ölgemälde Nachmittag bei der Großmutter stellt sie drei Jahre später auf der Weltausstellung in Chicago aus.

Neuen Strömungen

Aber erst als sie 1890 nach Wien zurückkehrt, soll Koller-Pinells Kunst Fahrt aufnehmen, wie die Ausstellung unter der kuratorischen Leitung von Katharina Lovecky und Alexander Klee beweist: Sie wendet sich neuen Strömungen zu, lässt Elemente des Impressionismus oder des Japonismus in ihre Bilder einfließen. Mit ihrem Mann Hugo Koller bezieht sie unweit der Secession eine Wohnung, die sie von Josef Hoffmann und Kolo Moser ausstatten lässt. Obwohl sie zeitlebens nie dazugehört – Frauen bleibt die Mitgliedschaft bis 1949 untersagt –, pflegt sie enge Kontakte zu den Akteuren der Künstlervereinigung.

Als 1905 einige Künstler aus der Secession austreten und die neue Kunstschaugruppe gründen, tritt Koller-Pinell vor den Vorhang. Sie wird Mitglied und stellt bei der legendären Kunstschau 1908 aus, zur selben Zeit entsteht eines ihrer Hauptwerke, das auch ihre engen Verbindungen zur Wiener Designszene begründet: Ein Porträt ihrer Tochter Silvia zeigt diese im roten Reformkleid, die filigrane Struktur eines Vogelkäfigs weist deutliche Parallelen zum Design der Wiener Werkstätte auf.

Bereits 1904 verlagert die Familie Koller ihren Sitz nach Oberwaltersdorf. Die Zusammenkünfte im Anwesen übertreffen wohl – obwohl sie sie nie als Salon bezeichnen – sogar jene von Alma Mahler-Werfel: Alma selbst, Sigmund Freud oder Egon Schiele sind zu Gast. Letzterer verbringt dort in seinem letzten Lebensjahr mehrere Monate und schafft sein berühmtes Porträt des liberalen und bibliophilen Industriellen Hugo Koller. Mit "Mutti", schreibt Tochter Silvia später, pflegt Schiele ein freundschaftliches Verhältnis, er "blieb zur Jause, schaute die schönen Bücher an und sprach mit uns über Kunst und Menschen".

Intellektuelle Feinheiten

Koller-Pinell malt feinsinnig, ihre Malweise zeichnet sich nicht nur durch hohe künstlerische Qualitäten, sondern auch durch intellektuelle Feinheiten aus, wie die Schau eindrücklich beweist. Die offene und mit fließenden Tüchern drapierte Ausstellungsarchitektur illustriert die hochinteressanten Querverbindungen der Malerin und Sammlerin innerhalb der Kunstszene. Rund 80 Werke der Künstlerin, aber auch solche von Schiele, Koloman Moser oder ihrem Atelierkollegen Heinrich Schröder sind in der Orangerie zu sehen und offenbaren den fruchtbaren Austausch zwischen Koller-Pinell und ihren Kollegen.

1932 reißt ihr Erfolg nach der Auflösung der Kunstschaugruppe abrupt ab, denn während einige ihrer Kollegen der Secession beitreten durften, wurde dies der Malerin verwehrt. „Am Ende verliert sie ihr Netzwerk aus misogynen und antisemitischen Motiven", hält Kuratorin Lovecky fest. Nach ihrem Tod 1934 gerät auch ihr Andenken ins Wanken, aus Geldnöten muss die Tochter nach Kriegsende das Inventar des Hauses verkaufen, 1969 wird das Anwesen veräußert. Wie bei vielen anderen Künstlerinnen sollte Koller-Pinells Wiederentdeckung und neuerliche Anerkennung bis ins 21. Jahrhundert auf sich warten lassen – die Präsentation im Unterem Belvedere zeigt, dass es dafür höchste Zeit war. (Caroline Schluge, 19.3.2024)