Im US-Wahlkampf geht es heiß her. Das Repräsentantenhaus hat einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der das Aus des Social Networks Tiktok besiegeln könnte, sofern Mutterfirma Bytedance es nicht an amerikanische Eigner verkauft. Abgeordnete beider Parteien stimmten mit großer Mehrheit zu, wenngleich sich bei den Gegnern interessante "Allianzen" ergaben. Nein-Stimmen gab es etwa sowohl von der prononciert linken Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez aus New York als auch von der Rechts-außen-Republikanerin Marjorie Taylor Greene aus Georgia.

Präsident Joe Biden hat im Vorfeld bereits angekündigt, dass er das Gesetz unterzeichnen wird, falls es auf seinem Tisch landet. Die letzte Hürde dorthin ist nun der Senat. Derzeit ist allerdings unklar, ob es dort auch eine Mehrheit finden wird. Donald Trump, sein Konkurrent bei der anstehenden Wahl im November, sprach sich gegen den Entwurf aus. Ein Aus für Tiktok würde nur Facebook stärken, was er vermeiden wolle. Die Plattform hat in den USA etwa 170 Millionen Nutzerinnen und Nutzer.

Sollte die "Lex Tiktok" erfolgreich den Senat passieren, dürfte Bytedance bald vor der Wahl stehen, Tiktok zu schließen oder zu verkaufen.
Christoph Hardt via www.imago-im

Großkonzern im Fokus

Hintergrund der politischen Auseinandersetzung ist weniger das Netzwerk selber – das von Vertretern beider Parteien fleißig bespielt wird –, sondern sein Eigentümer. Tiktok gehört dem chinesischen Konzern Bytedance. Das 2012 gestartete Unternehmen hat seinen Sitz in Peking, wurde allerdings offiziell auf den Cayman-Inseln gegründet. Neben Tiktok gehören ihm auch noch eine Reihe anderer Plattformen und Firmen, darunter das Videoportal Buzzvideo und der Virtual-Reality-Spezialist Pico. 2022 erzielte man einen Jahresumsatz von 85 Milliarden Dollar. Ehemalige Mitarbeiter haben Indizien dafür geliefert, dass die chinesische Regierung sich stark ins Geschäft einmischt, sie soll auch direkt Anteile und einen Vorstandsposten am chinesischen Teil der Firma halten.

Spionage und Einflussname von und durch Peking befürchtet man in Washington. Die Argumentation ähnelt jener für das nach wie vor aufrechte Tech-Embargo gegen Huawei wegen dessen Nähe zu Pekinger Machtzirkeln. Shou Zi, Chef von Tiktok Singapur, erklärte hingegen 2023 bei einer Befragung im Repräsentantenhaus, dass Bytedance kein Agent des chinesischen Staates sei.

Doch wie gefährlich ist der Konzern nun wirklich? Auf "Ars Technica" hat Shaomin Li, der sich seit 40 Jahren wissenschaftlich mit Chinas Politik und Wirtschaft auseinandersetzt und dazu zuletzt 2022 das Buch "China Inc." veröffentlicht hat, eine Analyse verfasst. Das grobe Fazit: Es ist kompliziert, aber vieles spricht für eine Trennung von Bytedance und Tiktok.

Ein Land, geführt wie ein Konzern

Dass der chinesische Staat große Kontrolle über verschiedenste Bereiche von Leben und Wirtschaft ausübt, ist kein Geheimnis. Diese Machtexpansion stoppte aber teilweise, als man in den 1970er-Jahren begann, sich wirtschaftlich zu öffnen und marktwirtschaftliche Reformen umzusetzen. Unter dem Zwang einer auf dem Boden liegenden Wirtschaft lockerte man den politischen griff auf selbige, um – der neuen Doktrin folgend – die ökonomische Weiterentwicklung zu forcieren. Das bedeutete allerdings keineswegs einen Ausbau politischer Freiheiten, der Einparteienstaat stand nie infrage.

Nach Jahrzehnten, geprägt von fast durchgehendem wirtschaftlichem Aufschwung, ändert sich das nun. Unter Xi Jinping wurde wieder mehr Macht beim Staat versammelt. Gleichzeitig funktioniert der politische Apparat aber immer mehr wie ein riesiger Konzern, dessen Management die Regierung ist. "China Inc." eben.

Loyalität als oberstes Gebot

Die Kommunistische Partei hat mit Parteien, wie man sie aus demokratischen Ländern kennt, wenig gemein. Wer beitreten mag, unterscheibt nicht einfach einen Mitgliedsantrag, sondern muss von zwei bestehenden Mitgliedern eingeführt, dann über einen längerfristigen Zeitraum auf Loyalität getestet werden, um schließlich zu schwören, dass er bereit wäre, für die Ziele der Partei zu sterben. Ein Austritt ist zwar möglich, aber auch nur, wenn es die Partei erlaubt.

Wer in Ungnade fällt, hat mit Folgen im beruflichen und privaten Leben zu rechnen. Und diese können auch Familie und Verwandte treffen . Das gilt nicht nur für einfache Bürger, sondern auch für Firmen. Der Ridesharing-Konzern Didi startete entgegen politischen Empfehlungen an der US-Techbörse Nasdaq. Es folgten Strafmaßnahmen, die das Management schließlich dazu bewogen, das Unternehmen zu delisten, was den Kurs um 80 Prozent crashen ließ.

Wer nicht folgt, wird auf die eine oder andere Weise aussortiert. Auch vor langjährig tätigen Geschäftsleuten mit lange guten Beziehungen zu Peking wird nicht haltgemacht. Die Konsequenz: Das Management erfolgreicher größerer Privatunternehmen in China ist üblicherweise mit Personen besetzt, die aus eigenem Antrieb oder erzwungenermaßen die Partei unterstützen.

Datenaustausch üblich

Hinzu kommen Gesetze, die Firmen dazu verpflichten, umfassend mit den Geheimdiensten zusammenzuarbeiten. Dementsprechend fürchtet man in Washington, dass auf diesem Weg private Daten von amerikanischen Tiktok-Nutzern bei der chinesischen Regierung landen. Tiktok streitet kategorisch ab, solche Informationen nach China weiterzuschicken.

Shaomin Li erinnert allerdings an das Datenleak der chinesischen Hackerfirma I-Soon, das aufzeigt, dass ein Datenaustausch zwischen Firmen und staatlichen Stellen in China gang und gäbe ist. Daher sei er auch nicht davon überzeugt, dass US-Nutzerdaten sicher seien, nur weil sie in den USA, Malaysia und Singapur und nicht in China gespeichert werden. Dafür sei es auch nicht relevant, ob Bytedance direkte Befehle von der Partei erhält oder diese Leute im Aufsichtsrat des Konzerns hat.

Keine Wahlfreiheit

Ungeachtet der formalen Verbindungen zwischen Bytedance und der Partei ist immer ein stillschweigendes Einvernehmen gegeben, dass das Management von Bytedance für zwei Chefs arbeitet. Nämlich für die Investoren und noch mehr für die politischen Aufseher im Dienst der Partei. Kommt es zwischen beiden zum Konflikt, so gewinne diesen automatisch die Partei.

So lange Bytedance also im Besitz von Tiktok ist, werde das Unternehmen das Netzwerk auch als Werkzeug zugunsten der Partei nutzen, so Lis Annahme. Wahlfreiheit besteht keine. Es geht es nicht nur um das geschäftliche Überleben der Firma, sondern letztlich auch um die Sicherheit seiner Mitarbeiter und ihrer Familien. (gpi, 20.3.2024)