Hitlers Begeisterung für den düsteren Symbolismus Arnold Böcklins ist bekannt, sein Faible für zuckrige Barockmalerei weniger: Hier das Bild
Hitlers Begeisterung für den düsteren Symbolismus Arnold Böcklins ist bekannt, sein Faible für zuckrige Barockmalerei weniger: Hier das Bild "Jupiter als Satyr bei Antiope" (1620) von Anthonis van Dyck.
Rheinisches Bildarchiv Köln

Ein schriftlicher Befehl des "Führers", der beim Holocaust fehlt, ist beim Thema Raubkunst der Nachwelt erhalten geblieben: Unter dem Betreff "Beschlagnahme staatsfeindlichen Vermögens" legte Adolf Hitler 1938 in einer geheimen Anweisung an SS-Führer Heinrich Himmler fest, wie mit den von den Nazis in ganz Europa zusammengerafften Kunstgegenständen verfahren werden sollte. Hitler selbst wollte über das Schicksal jedes einzelnen Werks entscheiden – ein Anflug üblicher Selbstüberschätzung, da die Objekte in die Tausende gingen. Doch für die Errichtung des geplanten "Führermuseums" in seiner Heimatstadt Linz und eine Neuaufteilung von Kunstschätzen auf Museen im ganzen Reich war Hitler, dem gescheiterten und gekränkten Künstler, kein Aufwand zu viel.

Das "Führermuseum" wurde, wie viele andere architektonische Vorhaben, die Hitler vorschwebten, nicht umgesetzt. Sein Plan, die Stadt Linz gegenüber der ihm verhassten, durch die Habsburger und auch das Judentum um 1900 geprägten Metropole Wien aufzuwerten, ging mit dem Dritten Reich unter. Heute gibt es in Linz glücklicherweise das gänzlich anders gelagerte Lentos-Kunstmuseum. Und das Dokument, das Hitlers Gier nach Kunst belegt, steht am Beginn der dortigen neuen Sonderausstellung "Die Reise der Bilder".

Arnold Böcklin zählte zu Hitlers Lieblingsmalern:
Arnold Böcklin zählte zu Hitlers Lieblingsmalern: "Schloss am Meer (Mord im Schlossgarten)" (1859).
Foto: Museum Folkwang Essen

Hinter dem etwas verniedlicht klingenden Titel steckt viel kuratorische Arbeit: zunächst eine umfassende Aufarbeitung der komplexen Materie Kunstraub im Kontext der NS-Kulturpolitik und damit auch ein Schlaglicht auf den persönlichen Kunstgeschmack Hitlers. Vor allem aber ist es eine Ausstellung über die Einlagerung tausender Werke während des Zweiten Weltkriegs in den Bergwerksstollen des Salzkammerguts. Die Zusammenarbeit zwischen der Europäische-Kuturhauptstadt-Region und Linz lag aufgrund der vielfachen historischen Verflechtungen auf der Hand, die Ausstellung ist denn auch nur der Auftakt zu einer Trilogie: In Bad Aussee soll ab 28. März ein Licht auf den mit Linz eng verknüpften Kunsthändler Wolfgang Gurlitt, der in der NS-Kulturpolitik eine ambivalente Rolle spielte, geworfen werden. In Lauffen bei Bad Ischl, wo während des Kriegs vor allem Werke aus den Wiener Museen eingelagert wurden, wird ab 27. April eine Schau mit zeitgenössischen Künstlern zum Thema Kunstraub und Restitution allgemein bis hin zu Ukraine und Kolonialismus stattfinden.

Meisterwerke im Hinterstübchen

In der Lentos-Ausstellung bemühen sich die Kuratorinnen Elisabeth Nowak-Thaller und Birgit Schwarz, sich dem komplexen Thema von mehreren Seiten zu nähern. Rund 80 Gemälde und Objekte, die während der NS-Zeit im Salzkammergut gesammelt, gelagert, geborgen und gerettet wurden, sind ausgestellt. Längst nicht alles davon ist Raubkunst, denn mit Fortdauer des Krieges mussten auch rechtmäßig zustande gekommene Museumssammlungen in die Bergstollen evakuiert werden. Dokumentiert ist, wie viel wissenschaftlicher Aufwand betrieben wurde, um die Werke nicht zu beschädigen. Aber auch skurrile Episoden finden sich: etwa dass in einem Bad Ischler Wirtshaus-Hinterstübchen noch Jahre nach dem Krieg Meisterwerke lagerten oder dass der damalige Rektor der Wiener Akademie der bildenden Künste absichtlich Werke als "C-Ware" abwertete, um die Sammlung nicht nach Lauffen evakuieren zu müssen, was ihre partielle Zerstörung im Bombenkrieg zur Folge hatte.

Der trockene Naturalismus des Biedermeier war ein Ideal im NS-Kunstverständnis: Ferdinand Georg Waldmüllers
Der trockene Naturalismus des Biedermeier war ein Ideal im NS-Kunstverständnis: Ferdinand Georg Waldmüllers "Niederösterreichische Bauernhochzeit" (1843).
Foto: Belvedere Wien

Große, bekannte Meisterwerke sollte man sich trotz ausgestellter Namen wie Böcklin, Goya, Munch, Tizian oder Waldmüller nicht erwarten, denn die wirklichen Kapazunder konnte das Lentos als Leihgaben nicht gewinnen. In Frankreich etwa seien die Bestände der ehemaligen Raubkunst überhaupt für Ausfuhren gesperrt, heißt es. Die mehrheitlich mittel- bis kleinformatigen Bilder kommen vor allem aus deutschen, niederländischen und Wiener Museen, vom berühmten "Genter Altar" (Jan van Eyck), den Hitler für die Berliner Gemäldegalerie vorgesehen hatte, findet sich ein Modell im kleineren Maßstab.

Hitler, der Barock-Liebhaber

Eine Rauminstallation der Gegenwartskünstlerin Henrike Naumann, die als zeitgenössischer Kommentar zur Ausstellung gemeint ist, erschließt sich nur mittelprächtig. Zwar leuchtet die Idee ein, das biedermeierliche Möbelambiente aus dem Empfangssalon von Hitlers Residenz auf dem Obersalzberg zu rekonstruieren, die Umsetzung aber verheddert sich in zu vielen Anspielungen. Im Nebenraum thematisiert man bekannte Restitutionsfälle, den Kunsthandel und die Rolle der alliierten Kunstretter, denen mit dem Hollywood-Film "Monuments Men" (2014) ein Denkmal gesetzt wurde.

Was von der Schau vor allem hängenbleibt, sind bestimmte Details zu Hitlers Kunstgeschmack: Wo seine Begeisterung für biedermeierlichen Naturalismus oder Arnold Böcklins düsteren Symbolismus noch ins Bild zu passen scheint, ist das Faible für zuckrig-kitschige Kunst des Barock und Rokoko doch überraschend. Am tiefsten blicken lässt aber, dass Hitler sich den Sammler Adolf Friedrich von Schack zum Vorbild nahm, der vermeintlich verkannte Genies, die an den Kunstakademien nicht gut angeschrieben waren, sammelte. In ihren Reihen verortete sich der an der Wiener Akademie Abgelehnte offenbar selbst ganz oben. (Stefan Weiss, 19.3.2024)