An der Schwelle zum 20. Jahrhundert waren Zoologen im Normalfall ziemlich gute Zeichner. In Ermangelung von Fotografien mussten sie nämlich ihren neuen Erkenntnissen mittels Illustrationen Glaubwürdigkeit verleihen. Prägendes Vorbild war dabei Ernst Haeckel, dessen Zeichnungen in seinen "Kunstformen der Natur" sogar den Jugendstil beeinflussten und Gegenstand etlicher biologiehistorischer Kontroversen wurden.

Einer der künstlerisch besonders begabten Zoologen in Wien war Hans Przibram, der Gründer der Biologischen Versuchsanstalt, der sogar in der Sezession ausstellte. Aber auch Konrad Lorenz wusste einige Jahrzehnte später noch seine Kollegen zeichnerisch vom Kindchenschema oder der Verhausschweinung des Menschen zu überzeugen. Umgekehrt bedienten sich Künstler wie Gustav Klimt für ihre Ornamente mitunter bei der Biologie.

Tafel 37: Der Maikäfer samt Engerling und Mandiblen (erstellt 1925).
Paul Pfurtscheller

Als Biologe weniger bekannt, aber als Künstler mindestens ebenso begabt wie Hans Przibram war Paul Pfurtscheller (1855–1927), ein promovierter Zoologe, der als Gymnasiallehrer – unter anderem des "Krötenküssers" Paul Kammerer – am damalige Franz-Joseph-Gymnasium (heute: Stubenbastei) arbeitete. Weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannt wurde Pfurtscheller durch seine insgesamt 39 Wandtafeln für den Naturgeschichteunterricht, die er zwischen 1902 und 1927 anfertigte und die wegen ihrer außerordentlichen Qualität nicht nur in Schulen, sondern auch in zoologischen Universitätsinstituten Verwendung fanden.

Tafel 31: Die Stubenfliege, erstellt 1923 (S verweist auf die Stigmen, die Öffnungen des Atemsystems).
Paul Pfurtscheller

In ungewöhnlichen Perspektiven, extrem detailreich und farblich akkurat brachte Pfurtscheller Amphibien ebenso zu Papier wie Insekten, Milben, Ratten oder Haie. Hergestellt wurde das didaktisch wertvolle und ästhetisch bis heute beeindruckende Bestiarium in Form von Lithografien (in bis zu 15 Farben und der Größe von etwa 130 cm × 140 cm) zuerst in der Wiener Buchdruckerei und Kunstanstalt Friedrich Sperl im dritten Bezirk, dann in Stuttgart. Die Herausgabe der spätere Tafeln besorgte der Verlag Martinus Nijhoff in Den Haag, was auf die internationale Anerkennung Pfurtschellers verweist.

Paul Pfurtscheller
Tafel 15: Eine (weibliche) Ratte samt innerer Organe, Gebärmutter (unten) und Eierstöcken (oben), hergestellt 1915.
Paul Pfurtscheller

Seit einigen Jahre haben es sich der Biologe und Gymnasiallehrer Kurt Albert Chytil und der Fotograf Werner Anselm Buhre zur verdienstvollen Aufgabe gemacht, Pfurtschellers Leben und Werk zu erforschen und seine didaktisch wie auch ästhetisch beeindruckenden Kunstwerke wieder zugänglich zu machen. Seit kurzem liegen diese aufwendigen Recherchen in einem opulent gestalteten und in jeder Hinsicht detailreichen Bildband vor: instruktive Biologiegeschichte als visueller Hochgenuss.

Wer sich vor Ankauf des Bandes noch ein ausführlicheres Bild davon machen will, kann das auf der schön gestalteten Homepage (samt Video) tun, die Chytil und Buhre den Wandtafeln von Pfurtscheller widmeten. Und für all jene, die sich nicht allein mit dem prächtigen Bildband zufrieden geben mögen, gibt es auch Spezialeditionen mit dem Nachdruck aller 39 Wandtafeln. (tasch, 26.3.2024)