Ein Paar mit verschränkten Armen nebeneinander auf einer Couch.
Männer verweigern oft Gespräche über Familienarbeit, und Frauen sprechen eine besser Aufteilung oft erst an, wenn sie bereits überlastet sind, sagt Patricia Cammarata.
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STANDARD: Sie schreiben, wer sich die Familienarbeit fair aufteilen will, muss auch gegen ein ganzes System arbeiten. Es ist also eine Anstrengung auf privater und auch noch auf gesellschaftlicher Ebene?

Cammarata: Ja, es ist tatsächlich ein Kraftakt. Ein Teil des Problems ist, dass wir über diese Anstrengungen nicht offen sprechen und letztendlich erst davon erfahren, wenn wir schon mittendrin stecken. Doch in der akuten Situation hat man wenig Möglichkeiten zu agieren.

Wenn diese Anstrengungen transparent werden würden, bevor sie eintreten, dann könnte man früher mit Partnern, mit den Familien darüber sprechen, Netzwerke bilden oder bei Freundinnen oder Arbeitgeber:innen Unterstützung einfordern. In Branchen, in denen Fachkräftemangel herrscht, müssen sich die Arbeitgeber:innen doch überlegen, wie sie attraktiv bleiben für eine qualifizierte Kraft, die Mutter oder Vater wird.

Doch Gleichstellung bedeutet noch immer, alle Frauen in die Erwerbsarbeit zu drängen, ohne die Frage zu stellen, wie das eigentlich alles funktionieren soll. Man geht davon aus, dass man alles privat regeln kann. Aber mit welchen Ressourcen?

STANDARD: Also Paare sollten über ihre Arbeitsteilung sprechen, bevor sie Kinder bekommen oder planen?

Cammarata: Absolut. Es gibt Studien dazu, dass Paare an zentralen Wendepunkten in ihrem Leben gerade nicht miteinander sprechen, sondern sehr optimistisch in die Zukunft gehen und dann einfach dahinschlittern. Doch dann orientieren sie sich stark an traditionellen Rollen, sie gehen einfach die ausgetretenen Wege und stellen später fest: So wollten wir das gar nicht.

Natürlich kann man sich dafür entscheiden, dass die Frau den Großteil der Elternzeit macht, aber man muss wissen, was das für die berufliche Entwicklung bedeutet. Wenn man dieses Modell über Geld argumentiert, vergrößert sich der Gender-Pay-Gap in der Familie: Der Mann kann weiter seine Karriere ausbauen, und es bleibt auch in den folgenden Jahren selbstverständlich, dass Frauen die Kinderbetreuung übernehmen, weil er ja mehr verdient. So schafft man sich Realitäten, aus denen man schwer wieder rauskommt.

STANDARD: Warum schlittern Frauen da immer noch rein?

Cammarata: Mit 28 fühlt man sich womöglich noch gleichberechtigt, hat viel Energie – und unterschätzt, was einen Berufstätigkeit und Kinder kosten können. Hinzu kommt, dass mit Mitte dreißig Männer und Frauen oft an verschiedenen Punkten sind: Frauen müssen sich jetzt mit ihrer Fruchtbarkeit beschäftigen oder haben schon kleine Kinder. Und viele Männer haben gerade in dieser Zeit einen starken Fokus auf ihre Karriere.

Patricia Cammarata,
Patricia Cammarata, "Musterbruch. Überraschende Lösungen für wirkliche Gleichberechtigung." € 21 ,- / 255 Seiten. Beltz Verlag, Weinheim, 2024
Beltz Verlag

Ich sehe oft Männer, die mit Mitte vierzig Vater geworden sind. Sie haben schon eine Karriere oder sind über den Punkt hinaus sind, dass sie noch Hoffnung haben, befördert zu werden. Sie können sich oft bewusster mit dem Thema Kind auseinandersetzen. Doch mit Mitte dreißig gibt es bei Frauen und Männern aufgrund ihrer Sozialisation oft völlig entgegengesetzte Schwerpunkte.

STANDARD: Sie wollen Handlungsspielräume aufzeigen. Welche sind besonders wichtig – oder gehen unter?

Cammarata: Wenn ich Vorträge oder Lesungen halte, schaue ich meist auf 100 Frauen und vielleicht drei Männer. Dann kommt oft die Frage: Was sollen wir dagegen machen? Ich bin so müde, mich zu fragen: Wie kann man Männer ohne intrinsische Motivation dazu bringen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?

Die Lösung wäre, nach rechts und nach links zu schauen. Da sitzen die Frauen, die die gleichen Dinge im Leben wollen. Wir müssen verlernen, was wir im Patriarchat gelernt haben: dass es nur eine geben kann, dass Frauen grundsätzlich in Konkurrenz stünden, dass man sich ständig gegenseitig bewertet.

Wir müssen gar nicht super befreundet sein, um das hinzukriegen. Wenn es stressig für eine Gruppe Frauen ist, ihre Kinder um vier abzuholen, kann man sich mit den anderen die Tage aufzuteilen. Die Frauen, die es anders haben wollen, können sich verbünden und Lösungen finden, von denen sie alle profitieren. Wir müssen viel mehr an einem Strang ziehen und alles viel pragmatischer angehen.

STANDARD: Oft heißt es unter dem Begriff "Maternal Gatekeeping", dass Frauen bei der Kinderbetreuung immer alles besser wüssten, den Vater dauernd kritisierten – und ihn so aus der Familienarbeit scheuchen würden. Was sagen Sie dazu?

Cammarata: Ich halte das für einen medialen Kampfbegriff, mit dem man sich gut echauffieren kann. Aber das ist nichts, was uns in unserem realen Leben von der Gleichberechtigung abhält.

Es gibt bestimmt Frauen, die bewusst Macht im Privaten ausüben wollen, indem sie bestimmte Gatekeeper-Eigenschaften haben. Doch diese übertriebene Darstellung hängt damit zusammen, dass man Sorgearbeit nicht wertschätzt. Denn die könne man doch irgendwie machen, und die Ansprüche, die Frauen hätten, seien übertrieben. Das alles als unrealistischen Perfektionismus hinzustellen ist ein praktischer Hebel, um sich aus der Verantwortung zu nehmen.

Die Autorin Patricia Cammarata.
Patricia Cammarata befasste sich schon in ihrem Buch "Raus aus der Mental Load-Falle" mit dem Gelingen von fairerer Arbeitsteilung in der Familie.
Sophie Weise-Meissner

Aber welche angeblich perfektionistischen Ansprüche sind das denn? Dass die Kinder pünktlich abgeholt werden, dass das Kind zur Logopädie muss und die Übungen regelmäßig macht, dass Geburtstagsgeschenke pünktlich gekauft werden und dem entsprechen, was die Kinder gerade schön finden? Das hat alles nichts mit Perfektionismus zu tun. Oder dass der Fiebersaft immer an einem bestimmten Platz ist? Wenn man die Erfahrung hat, dass es einen großen Unterschied macht, ob es nachts nur ein Handgriff ist und zehn Minuten später wieder alle schlafen können oder ob man lange rumsuchen muss. Das Argument von Maternal Gatekeeping entwertet oft die Erfahrung, die viele Frauen haben, nachdem sie monate- oder jahrelang für die Kinder die Hauptverantwortung hatten.

STANDARD: Was sind denn sonst Begründungen, warum es mit der fairen Verteilung der Familienarbeit nicht funktioniert?

STANDARD: Ein großes Problem für viele ist, dass Männer oft nicht bereit sind, darüber zu reden. Viele Frauen vermitteln mir da eine große Verzweiflung. Die Frauen sind oft schon sehr überfordert, wenn sie das ansprechen. So ist ein konstruktives Gespräch aber schwer. Es ist richtig, ab einem gewissen Punkt wütend und verzweifelt zu sein, aber eine gute Diskussion ist schwierig, wenn der Partner schon mit dem Rücken zur Wand steht.

Was ich sehr interessant finde: Je glücklicher Männer in ihren Beziehungen sind, desto eher sind sie bereit, sich fürsorglich zu zeigen. Wenn also die Beziehungsqualität schlecht ist, dann sind Männer gar nicht bereit, zu verhandeln. Viele Paartherapeut:innen haben mir bestätigt, dass Frauen verhandelt wollen und die Männer zumachen. Man muss also erst die Beziehung kitten, für einen Fluss sorgen – dann erst sind Männer bereit, über alle weiteren Themen zu sprechen. Das ist für Frauen superstressig. Es geht ihnen ohnehin schon nicht gut, und nun sind sie auch noch für Beziehungsarbeit zuständig. Aber man könnte es auch pragmatisch sehen: Wenn das der Weg ist, dann muss man den halt gehen und sich erst um die Beziehung kümmern und dann um die Aufgabenverteilung.

STANDARD: Aber der Grund für Beziehungsprobleme ist oft eine unfaire Arbeitsteilung. Es muss sehr schwierig sein, wegen der Beziehungsarbeit genau das hintanzustellen, um auf diesem Weg den Partner doch noch zu einer fairen Arbeitsteilung zu bewegen.

Cammarata: Ja, und dann kommen womöglich noch Paartherapeut:innen dazu, die nicht vorgebildet sind und den Frauen sagen: Machen Sie sich doch mal locker.

Aber dieser Zusammenhang war für mich wirklich ein Augenöffner. Ich konnte mir zum Beispiel nie erklären, warum so viele Alleinerziehende keinen Kindesunterhalt bekommen. 50 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland bekommen keinen Cent vom biologischen Vater. Und die Hälfte derer, die Kindesunterhalt zahlen, zahlen nicht den vollen Satz, den das Amt ausgerechnet hat. Mit dieser Erklärung des Zusammenhangs von Beziehungsqualität und Fürsorglichkeit leuchtet das ein. Denn wenn die Beziehung ganz weg ist, ist auch die Fürsorgebereitschaft durch Geld bei Männern weg.

STANDARD: Aber das bedeutet, dass sehr viele Männer von sich aus keinerlei Motivation haben, sich um ihre eigenen Kinder zu kümmern, sondern Fürsorge als Belohnung für ihre Partnerinnen sehen, wenn die Beziehung gut ist?

Cammarata: So kann man das jedenfalls lesen. Aber das erklärt wirklich vieles. Ein Väterreport zeigte, dass es nur einem Drittel der Väter wichtig ist, dass ihre Partnerinnen die gleichen Entwicklungschancen und Rechte haben. Dem Rest nicht. Ein Drittel sagt, es ist doch alles super so, warum soll ich etwas ändern? Und das andere Drittel sagt, solange die Gleichberechtigung ihrer Partnerinnen sie nichts kostet, könne das schon sein. Auch andere Studien zeigen, dass nur knapp ein Drittel aller Männer ernsthaft daran interessiert ist, dass ihre Partnerinnen gleichberechtigt leben können. Das ist ein deprimierendes Bild.

STANDARD: Ist das gemeint, wenn Sie schreiben, "Männer stützen das System durch Passivität"?

Cammarata: Ja, das findet man in vielen alltäglichen Situationen. Wenn es irgendwo Ungerechtigkeiten gibt, dann stabilisiert man dieses System, indem man das nicht kritisiert oder sich sehr passiv verhält.

Deshalb wäre es in vielen Situationen wichtig, dass man sich als Mann positioniert. Etwa wenn Verwandte zu Besuch kommen und meinen, dass es hier unordentlich sei. Dann könnte der Mann sagen, dass das der Standard ist, für den man sich gemeinsam entschieden hat und dass für sie Ordnung nicht so wichtig ist. Dass man außerdem letzte Woche mit Putzdienst dran gewesen, aber nicht dazu gekommen ist. Das hat eine andere Wirkung, als wenn immer nur Frauen darauf reagieren, weil automatisch davon ausgegangen wird, dass sie für den Haushalt sorgen.

Es gäbe viele Situationen, in denen Männer sich positionieren müssten – dann würde sich auch sehr viel mehr bewegen. (Beate Hausbichler, 20.3.2024)