Die Zeitenwende, von der zuvor schon die Rede gewesen war, stellte Michael Gehbauer anschaulich dar. Früher, sagte der Geschäftsführer der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA), habe man in genossenschaftlichen Kreisen meist über Grundrisse, Architektur oder Fassaden diskutiert. "Heute unterhalten wir uns nur noch über Energiesysteme."

Am 14. März fand das 78. STANDARD-Wohnsymposium statt.

Warum das so ist, das musste auf dem jüngsten, bereits 78. Symposium über die "Zukunft des Wohnens" des STANDARD und des Fachmagazins Wohnen Plus nicht erörtert werden. Dass fossile Heizsysteme nicht nur vier Wände, sondern einen ganzen Planeten aufheizen, ist seit Jahrzehnten bestens bekannt. Und spätestens seit Beginn des Ukraine-Krieges und dem sprunghaften Anstieg der Preise für fossile Energieträger ist "Raus aus Öl und Gas" die Devise in hunderttausenden Haushalten in Österreich. "Wer heizt uns ein? Neue Energiekonzepte für den Wohnbau", so lautete denn auch das Motto des Symposiums, das am 14. März im Wiener Wuk stattfand.

Peter Holzer, Gesellschafter und Senior Researcher am Institute of Building Research & Innovation, gab zu Beginn des Nachmittags einen Problemaufriss. Der lautete zunächst lapidar: "Es wird heißer." In Wien war es in den letzten Jahren im Sommer schon um drei Grad heißer als zwischen 1960 und 1990, also den Sommern seiner Kindheit und Jugend, sagte Holzer. Und auch im Winter gebe es heute de facto "zwei Wintermonate weniger", denn der Jänner sei jetzt wie früher der Februar, und der Dezember sei jetzt wie früher der November.

"Die Wärmepumpe ist es"

Die nordatlantische Meeresströmung gehe viel schneller in die Knie als prognostiziert. "Laut neuesten Studien dauert es vielleicht noch 30 Jahre, bis die Strömung am Ende ist." Dann wird es vorbei sein mit dem gleichmäßigen Westwind, dann wehe der Wind vorrangig aus nördlicher und südlicher Richtung. Und dafür müsse man schon jetzt "vorsorglich ganz robuste Häuser bauen". Und natürlich energieautarke; oder am besten sogar Plus-Energie-Häuser, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen.

Technisch sei heutzutage alles machbar, meinte der Experte: Wärmepumpen, Abwasserwärmetauscher, Anergienetze, Erdsonden, das sei alles schon Realität. "Aus technischen Gründen ist ‚Raus aus Gas‘ immer machbar." Wohnrechtlich und sozialpolitisch könne es aber durchaus Schwierigkeiten geben, räumte er ein.

Was die Heizungen betrifft, so ist Holzers Antwort nach 25 Jahren Beschäftigung mit Wärmepumpen klar: "Die Wärmepumpe ist es." Gemeint war damit: Die Wärmepumpen sind der Schlüssel zur Lösung der meisten Herausforderungen. Es gebe sie mittlerweile in zunehmender Qualität und Typologie und in ausreichender Zahl kostengünstig am Markt.

"Es fällt mir neben der Fernwärme nichts Besseres ein", sagte Holzer. Die Fernwärme brauche man aber im Neubau nun einmal gar nicht mehr, höchstens noch für die Dekarbonisierung des Bestandes.

Peter Holzer: "Technisch ist heute alles machbar."
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Wärmepumpen würden jedoch auch in vielen alten Zinshäusern mit gegliederten Fassaden bereits funktionieren, sagte Holzer. Denn 55 Grad an Vorlauftemperatur würden ausreichen – auch dank in der Vergangenheit "brutal überdimensionierter" Heizkörper. "Ich rate allen Hausbesitzern, im Winter die Gastherme mal auf 55 Grad herunterzudrehen und zu warten, ob es warm wird oder nicht." Wenn nicht, könnte man immer noch größere Heizkörper installieren, "und natürlich sollten nicht gegliederte Fassaden gedämmt werden". Aber grundsätzlich würde das funktionieren, und die Fördergrenze sei bei der "Raus aus Öl und Gas"-Förderung des Bundes nun auch angepasst worden, von maximal 40 auf maximal 55 Grad Vorlauftemperatur. "Sehr sinnvoll" nannte Holzer diesen Schritt.

Erdwärme statt grünes Gas

Eine Erdwärmepumpe liefere immer noch drei- bis 3,5-mal so viel Wärme wie Strom eingesetzt wird, rechnete der Experte vor. Ganz im Gegensatz etwa zum grünen Gas, bei dem man weniger Energie herausbekomme, als man einsetze. "Aus einer Kilowattstunde Sonnenstrom bekommt man 0,5 Kilowattstunden grünes Gas. Wenn ich den Strom in eine Wärmepumpe stecke, krieg ich 300 Prozent Energie."

Außerdem sei grünes Gas viel zu schade, weil "zu teuer und zu wertvoll, um damit lauwarmes Wasser für Wohnungen herzustellen". Das grüne Gas benötige die Industrie viel dringender, oder beispielsweise auch Gaskraftwerke, um damit Spitzen im Stromverbrauch abzudecken."

Überhaupt, der Stromverbrauch. Wenn künftig nur noch E-Autos durch die Gegend fahren sollen und auch Millionen von Wärmepumpen mit Strom betrieben werden wollen, werde es wohl doppelt so viel Strom brauchen, wie wir heute zur Verfügung haben, sagte Holzer. Würde es gelingen, sämtliche zur Verfügung stehenden Effizienzpotenziale zu heben, wären es wohl immer noch um zwei Drittel mehr.

"Das ist machbar", machte der Experte den rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Wohnsymposiums Mut. Es brauche aber viel mehr Speicher und einen massiven Netzausbau. "Abstimmungen über Windräder gehen sich dann nicht mehr aus", spielte Holzer auf jüngste Begebenheiten im Waldviertel an, wo in fünf Gemeinden Abstimmungen über den Bau von Windkraftanlagen stattfanden. In zwei wurden sie knapp abgelehnt, in drei Gemeinden gab es Zustimmung.

Vom Waldviertel hüpfte Holzer gedanklich nach Tirol: In Innsbruck werde nämlich gerade eine sehr interessante Wärmepumpenvariante bei einem Sanierungsprojekt der Alpenländischen Gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft ausprobiert. Dabei leitet eine Wärmepumpe am Dach Heizungswasser mit nur 15 Grad in die Stiegenhäuser, "da hat man keine Wärmeverluste", erklärte Holzer. In den Wohnungen werden dann anstelle der Gasthermen Kleinstwärmepumpen installiert, die das Wasser auf 55 Grad hochheizen.

Wuk-Hausherr Vincent Abbrederis begrüßte die Runde.
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"Sehr bewährt" habe sich aber auch die Lösung, die die Sozialbau AG in Wien seit einiger Zeit umsetzt: Häuser, in denen sich noch Gas-Kombithermen befinden, werden in einem ersten Schritt zentralisiert, das heißt, eine Energiezentrale wird installiert, wobei die stillgelegten Kamine zum Verlegen der nötigen Leitungen genutzt werden. In den Wohnungen werden die Gasthermen durch Elektroboiler für die Warmwasserbereitung ausgetauscht. Erst in einem zweiten Schritt erfolgt dann sukzessive die Dekarbonisierung, entweder durch Anschluss an das Fernwärmenetz oder eine Wärmepumpe.

Von Moderator Eric Frey gefragt, ob eine Sanierung immer besser sei als ein Ersatz-Neubau, antwortete Holzer: "Ja, fast immer." In Einzelfällen könne es natürlich vorkommen, dass mehrere ungünstige Faktoren zusammenkommen. "Wenn mir jemand sagt, das Haus ist energietechnisch gar nicht in den Griff zu kriegen, nicht barrierefrei, hat nur 2,30 Meter Raumhöhe und außerdem den weißen Hausschwamm: Okay, gewonnen." Meistens seien es aber wohnrechtliche bzw. markttechnische Gründe, deretwegen Häuser abgebrochen und durch neue ersetzt werden. "Auch von guten Bauträgern höre ich des Öfteren: ‚Wenn ich das wegschiebe, kann ich mich mit den Mieten am Markt bewegen.‘ Das ist in Wahrheit aber eine gesellschaftliche Bankrotterklärung."

Heizbedarf enorm gestiegen

Sparsamer mit den Ressourcen umzugehen sei eine Überlebensfrage. Holzer rechnete vor: In den letzten 50 Jahren wuchs die österreichische Bevölkerung um 21 Prozent, die Anzahl der Haushalte aber um 57 Prozent. Die Anzahl der Wohneinheiten legte sogar um 85 Prozent zu. "Und die Wohnfläche pro Kopf hat sich in diesem Zeitraum verdoppelt. Somit haben wir jetzt das 2,4-Fache des damaligen beheizten Flächenbestands."

Dass Sanierungen teuer sind, sei klar. Für eine 60 Quadratmeter große Wohnung werde die Dekarbonisierung zwischen zwölf und 30.000 Euro kosten. "Das ist viel Geld", doch Förderungen seien großzügigst vorhanden, "es ist ein beeindruckendes Förderniveau ausgebrochen in dieser Republik". Lieber wäre es Holzer gewesen, man hätte "einen Gesellschaftsvertrag geschnürt" und es hätte in irgendeiner Form eine Verpflichtung zum Umstieg gegeben. Diese kam bekanntlich nicht, weil die ÖVP im Vorjahr das eigentlich schon fertig ausverhandelte Paket namens Erneuerbare-Wärme-Gesetz nochmal aufschnürte. Die Pflicht zum Ausstieg aus Öl und Gas bis 2040 fiel raus, stattdessen wurden die Förderungen kräftig erhöht.

Was solls, meinte Holzer: "Wir müssen es schlicht und ergreifend machen. Wenn jetzt nix passiert, will ich mir die Zukunft meiner Kinder nicht vorstellen müssen. Wirklich nicht."

Denn die Zeitenwende, sie sei nun einmal da, sagte Karin Kieslinger, Geschäftsführerin des gemeinnützigen Bauträgers EGW Heimstätte, in der anschließenden Podiumsdiskussion. Die Zukunft liege im Bestand, "dem müssen wir uns mehr widmen als in der Vergangenheit". Denn dort müsse der Energieeinsatz in erster Linie runter – der Neubau sei weniger das Problem. Das erfordere aber viel Kommunikation, "auch intern", da seien Strategien gefragt. Grundsätzlich müsse man aber das Positive sehen: Ein wärmegedämmtes, energieeffizientes Haus, bei dem die Energiekosten entsprechend niedrig sind, "das ist ja was Gutes".

Heizen mit Nudelwasser

WBV-GPA-Chef Gehbauer berichtete von Pionierprojekten seines Unternehmens: Etwa in der Lavatergasse im 22. Bezirk, wo man die wien-weit erste Mieterstromanlage gemeinsam mit Wien Energie umgesetzt hat. "Es gab einen Mietervertreter, der alle Mieterinnen und Mieter gefragt hat, ca. 90 Wohneinheiten. Zwei Drittel waren dabei", sagte Gehbauer. Zuvor musste aber noch die Umrüstung auf Smart Meter abgewartet werden.

Zuletzt sorgte auch das WBV-GPA-Projekt Wientalterrassen in der Käthe-Dorsch-Gasse im 14. Bezirk für Aufsehen und auch für Preise. Beim Energiekonzept setzte man hier neben Tiefensonden, Wärmepumpen und Photovoltaik auch auf Warmwasserrückgewinnung. Das "Nudelwasser" der Bewohnerinnen und Bewohner trage damit zur Energiegewinnung bei, erklärte Gehbauer.

Bei der EGW Heimstätte hat man auch schon allerlei Erfahrungen gemacht. Kieslinger fasste sie so zusammen: "Die Häuser werden komplexer." Gemeinschaftlichen Photovoltaikanlagen habe man auch bereits umgesetzt, doch diese würden nicht überall Sinn ergeben: "Bei höheren Häusern mit relativ kleinen Dachflächen wird die Verrechnung wahnsinnig aufwendig. Bei jedem Mieterwechsel muss ich den einen Mieter austragen und den anderen eintragen, da haben wir uns schon die Frage gestellt: Ist es das wert?" Da sei es unter Umständen besser, den Strom dann wieder nur für die allgemeinen Teile des Hauses zu verwenden und dabei auf Stromspeicher zu setzen.

Das Podium, von links: Franziska Leeb (Moderation), Michael Gehbauer, Petra Schöfmann, Christoph Treberspurg, Karin Kieslinger, Adolf Melcher.

Dass Stromabrechnungen "sehr kompliziert" sein können, gab Adolf Melcher, Geschäftsführer der Kelag Energie & Wärme, bereitwillig zu. Denn es könne ja heutzutage auch quasi jede Bewohnerin und jeder Bewohner einen anderen Netzbetreiber haben, "da wird es tatsächlich sehr kompliziert". Melcher wies aber auch darauf hin, dass unsere Stromnetze "nicht darauf konzipiert wurden, was wir heute damit machen". Der Verbrauch sei sehr hoch, und die Einspeisungen aus Wind- und Sonnenkraftwerken sehr volatil, darauf müsse man reagieren. "Die Stromnetze müssen ertüchtigt werden."

Ob man vielleicht nicht eher doch die technischen Standards der Gebäude wieder etwas herunterfahren sollte, diese Frage kam aus dem Publikum. Doch sowohl Gehbauer als auch Kieslinger verneinten sie im Wesentlichen. Denn die Effizienz spreche Bände. "Früher haben wir unsere Gebäude mit Hochtemperatur versorgt. Aber heute können wir mit Niedertemperatur ganze Gebäude beheizen. Da nehme ich diese technologischen Fragestellungen schon gerne in Kauf", sagte Gehbauer. Und Kieslinger verglich Heizsysteme mit Handys. "Die sind wahnsinnig komplex im Hintergrund, aber für uns Anwender ist es total easy." Klar dürfe man die Bewohner nicht überfordern, "für die muss es einfach sein". Aber die Technik im Hintergrund dürfe durchaus ein wenig komplexer sein. Gleichwohl sollte man auf die "Basisthemen" nicht vergessen, meinte die EGW-Chefin. Dazu zählte sie auch das Kühlen, das zweifellos immer wichtiger werde: "Ein guter Grundriss mit einer guten Durchlüftung, guter außen liegender Sonnenschutz."

"Projekte als Bausteine"

Klingt alles wunderbar – aber bleibt dabei eventuell die Architektur auf der Strecke? Diese Frage stellte Diskussionsleiterin Franziska Leeb (Wohnen Plus) dem Architekten auf dem Podium, Christoph Treberspurg, Geschäftsführer von Treberspurg und Partner Architekten. Er holte zunächst geschichtlich ein wenig aus und verwies auf die "Vier Elemente der Baukunst", veröffentlicht 1851 von Gottfried Semper: "Das wichtigste Element war für ihn der Herd, also das Feuer, um das sich die Menschen versammelt haben. Und drum herum entstand dann die Architektur."

Treberspurgs Büro hat unter anderem den "Campo Breitenlee" geplant, ein Plus-Energie-Quartier, das beim Energiesystem auf Tiefenbohrungen, Wärmepumpen, Photovoltaik und Bauteilaktivierung setzt, Letztere mit einer wetterabhängigen Steuerung, denn Bauteilaktivierung sei grundsätzlich ein "träges System".

Rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen zum Wohnsymposium ins Wuk, das man zuvor besichtigen konnte.
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Neubauten müssten zu 100 Prozent erneuerbar sein und "Richtung Plusenergie gehen", sagte der Architekt. Dabei müsse man von Projekt zu Projekt lernen, "Projekte als Bausteine sehen". Apropos Bausteine: Auch architektonisch könne man mit gebäudeintegrierten Photovoltaikelementen schon Akzente setzen.

Stadt Wien sucht Projekte

Genau das will auch die Stadt Wien. "100 Projekte Raus aus Gas" sucht sie gerade, um diese Vorzeigebeispiele auf einer eigenen Website zu versammeln, damit sie anderen sanierungswilligen Hausbesitzern Ansporn und Information sind. Petra Schöfmann, Teamleiterin Energieberatung bei UIV Urban Innovation Vienna, der Klima- und Innovationsagentur der Stadt Wien, berichtete auf dem Wohnsymposium vom Fortschritt. 39 Projekte habe man, ein 40. komme demnächst hinzu. Bis 2025 will man es geschafft haben, jedoch: "Ich hatte gedacht, dass es schneller gehen wird", sagte Schöfmann. Die "großen" Eigentümer würden praktisch noch komplett fehlen, die meisten Projekte stammen von Zinshausbesitzern, und es gebe auch erst ein einziges Projekt einer Wohnungseigentumsgemeinschaft. "Da suchen wir nach Beispielen, bitte melden!".

Die "Schwierigkeit" dabei: Es werden Projekte gesucht, "die keine Möglichkeit haben, sich an die Fernwärme anzuschließen", so steht es auf der Website. Momentan habe man nur Projekte von Eigentümerinnen und Eigentümern, "die das wirklich wollen, die sich gesagt haben: ‚Ich mache das jetzt‘", sagte Schöfmann. Doch eine Zielgruppe müssten natürlich auch Hausverwaltungen sein; diese könnten schon vorpreschen und um die nötigen Mehrheiten in der Eigentümergemeinschaft werben. "Auch da gibt‘s Vorreiter", doch viele Hausverwaltungen würden lieber darauf warten, dass ihre Auftraggeber von sich aus den Bedarf anmelden.

Könnte also sein, dass Gehbauer recht behält: "Wir Gemeinnützigen schaffen es am ehesten, bis 2040 klimaneutral zu sein." Allerdings hätten wir es als Gesellschaft dann eben nicht geschafft. (Martin Putschögl, 21.3.2024)