Das unglamouröse Glamour-Girl Beth Ditto veröffentlicht mit der Band Gossip nach zwölf Jahren Pause ein neues Album.
Das unglamouröse Glamour-Girl Beth Ditto veröffentlicht mit der Band Gossip nach zwölf Jahren Pause ein neues Album.
Sony Music

Berührungsängste kennt sie nicht. Als Beth Ditto vor Jahren Gast bei der TV-Show Wetten, dass..? war, setzte sie sich nach der Darbietung eines Songs auf Hansi Hinterseer drauf und verhalf dem Blondie so zu einigen Sekunden Coolness, weil er die Sängerin brav umarmte. Bärig. Im Vorjahr trat sie dann in der Helene Fischer Weihnachtsshow auf – nicht gerade das angestammte Terrain Dittos, aber sie kommt halt herum und eigentlich vom Punk. Zum Glück für Hansi und Helene ist Vollkontakt dort eine Auflage, und die erfüllt die mittlerweile 43-Jährige alleweil.

Auf ihr angestammtes Terrain kehrt sie jetzt zurück. Beth Ditto veröffentlicht am Freitag nach zwölf Jahren Pause ein neues Album mit Gossip namens Real Power. Mit ihrer Power wurde die als Mary Beth Patterson geborene Sängerin in den Nullerjahren ein Star. Ditto stammt aus einem Scherbenviertel in Arkansas, stolperte als Teenager über Acts wie Nirvana und beschloss, dorthin zu ziehen, wo diese Musik herkam, in den US-Bundesstaat Washington, und frönte dort fortan mit Gleichgesinnten ihren Neigungen.

2001 erschien das erste Gossip-Album auf dem regionalen Label Kill Rock Stars, das eine der Keimzellen der Riot-Grrrl-Bewegung war. Dort war Ditto gut aufgehoben – und sie erwies sich als Naturtalent.

Das Versprechen des Punk

Lesbisch und fett, wie sie sich selbst beschreibt, erfüllte sie das Versprechen des Punk, nach dem man tun kann, was man gerne tut, und wurde mit Nathan Howdeshell und Hannah Blilie vom Insidertipp zum Hit, als das Trio 2006 das Album Standing in the Way of Control veröffentlichte. Es schoss in den britischen Indie-Charts auf Platz eins – und sicherte der Band quer und queer durch Europa eine Fangemeinde, die größer ist als jene in den USA. Das könnte sich nun ändern.

Denn selbst wenn Ditto sich nicht als Pionierin sieht, wurden viele der Themen gesellschaftlich aufgegriffen, für die sie früher schon stand und kämpfte. Dennoch sieht sie sich nicht als Vorreiterin einer Body-Positivity oder einer queeren Agenda. Wo sie aufgewachsen ist, sahen viele so aus, so what?

Gossip - Real Power
GossipVEVO

Statt im Netz einen auf Kulturkampf zu machen, habe sie einfach in ihrer Szene immer schon selbstbestimmt gelebt, ohne das ständig zu predigen. Man ahnt es bereits: Ditto ist keine Freundin der "sozialen" Medien. Was sie nicht davon abhält, für ihre Überzeugungen einzutreten: Standing in the Way of Control war eine Reaktion auf einen Vorschlag des damaligen US-Präsidenten George W. Bush, der den Bund der Ehe nur zwischen Mann und Frau festlegen sollte.

Die Musik dazu war eine angesagte Mischung aus Rock und Disco-Charakteristika, die im prosperierenden Post-Punk-Revival gerne Dance-Rock genannt wurde. Vor allem die Live-Auftritte mit einer entfesselten Ditto sorgten für Gesprächsstoff, und Ditto wurde bald auch außerhalb der Musikszene als originelles Individuum wahrgenommen: in der Mode, später als Schauspielerin. Zur Mode kam sie früh und aus der Not geboren. Als Jugendliche konnte sich ihre Familie keine Markenklamotten für sie leisten, also stellte Ditto diese Sachen selbst her – in ihrer Größe war das meiste ohnehin nicht erhältlich.

Tanz- und Club-tauglich

Und in den letzten Jahren stand sie in dem Gus-Van-Sant-Film Don't Worry, He Won't Get Far on Foot oder in der TV-Serie Monarch vor der Kamera. Sie veröffentlichte das Soloalbum Fake Sugar oder stapfte für Modedesigner über den Laufsteg. Ihre Band lag derweil auf Eis. Sie heiratete ihre Jugendfreundin – und ließ sich wieder von ihr scheiden. Und nun hat dieses glamouröse Unglamour-Girl Gossip wiederbelebt und Real Power in die Welt gesetzt.

Produziert hat das Album Rick Rubin, die Arbeit daran hat noch vor Corona begonnen. Gossip erfinden sich darauf nicht neu; immer noch dient ein Tanz- und Club-tauglicher Mix als Fundament, allein die rockigen Elemente wurden zurückgenommen, was der Musik etwas die Zähne zieht.

Gossip - Crazy Again
GossipVEVO

Zwar wird ein Song wie Give It Up For Love keine Party stoppen, er wird sie aber auch nicht in den Irrsinn treiben. Dafür ist alles ein bisschen zu brav und glatt, das Widerspenstige, das Ditto ins Wesen geschrieben ist, dominiert nicht mehr wie früher. Dazu kommen Lieder wie Turn the Card, die von jeder Britney Spears der Welt stammen könnten.

Dafür überzeugen Gossip mit einem Titel wie Tell Me Something, der einen Soul-Touch besitzt und – zart abgebremst – mehr Tiefe hat als alle anderen zehn. Es ist der Song, der den Albumtitel am ehesten erfüllt, in dem sich Dittos Talent am überzeugendsten zeigt. Der Rest ist Hausmarke: nie schlecht, aber selten richtig gut. (Karl Fluch, 22.3.2024)