Lakecia Benjamin
Lakecia Benjamin präsentiert "Phoenix" im Konzerthaus Wien.
Andrea Humer

"Wir sind hier wegen Liebe, Frieden und Schnitzel!", scherzt Lakecia Benjamin jubelnd und legt nach: „Wie heißt noch diese wunderbare Mehlspeise?", fragt sie das Publikum im Wiener Konzerthaus. Die Sachertorte muss kulinarisch nachhaltige Wirkung entfaltet haben. Nach dem Publikumsplausch geht es jedoch ernst und komplex weiter.

Benjamin hat zwar etwas von einer Animatorin. Wenn sie allerdings mit "My Favorite Things" loslegt, jenem Musical-Schlager, der in der Version von John Coltrane zum Jazzklassiker wurde, zeigt sie Fähigkeiten, die nur in der ersten, strengen Jazzliga existieren. Mit rasenden Arpeggi zelebriert sie diese Tontrauben, die bei Innovator Coltrane als "sheets of sound" das harmonische Feld nervös weiteten.

Kein Selbstzweck

Ihr Stil, mit einem strahlenden Ton zelebriert, hat daneben den rasanten Hard Bop ebenso im Repertoire wie die knappe Pointiertheit des Funk- und Soul-Saxofonisten Maceo Parker. Virtuose Leichtigkeit wird aber – abseits von Selbstzweck – per Selbstentäußerung in sinnvolle Intensität transformiert.

Dass Lakecia Benjamin einst Funk und Soul praktizierte, hört man. Ebenso sind da aber Blues (mit einem unbegleiteten Solo), Gospel und Balladen wie "Amazing Grace", bei der sie ihre sanft-melancholische Seite zeigt.

Rasantes Parlando

In Summe ein Potpourri der Stile, das von den glänzenden Mitmusikern entsprechend kompetent mitgestaltet wird: Pianist Oscar Perez, Bassist Elias Bailey und Schlagzeuger E. J. Strickland produzieren jenen Rahmen, in dem Benjamin rappend auch auf ihr neuestes Album "Phoenix" verweist. Der Opener "Amerikkan Skin" beginnt mit dem bedrohlichen Sirenensound eines Polizeiwagens und bringt Texte der Aktivistin Angela Davis. Benjamin rezitiert sie im Konzerthaus im rasenden Parlando, das ebenso souverän wirkt wie ihr Altsaxofonspiel.

Gibt die Figur, die sie komponiert hat, also Ogressa: Cecile McLorin Salvant
Konzerthaus/Andrea Humer

Einige Tage zuvor war auch qualitätsvolles im Konzerthaus zu hören. Was zu erleben war? Die neue Jazzgeneration begnügt sich oft mit der Reproduktion des Great American Songbook. Nicht US-Sängerin Cécile McLorin Salvant. Sie ist im Konzerthaus umgeben von einem üppigen Kammerensemble, das sie durch ein konzertant umgesetztes Musiktheater begleitet.

Bei Ogresse ist McLorin Salvant für Musik und Text verantwortlich. Dereinst soll das an der New Yorker Met uraufgeführte Musikmärchen über eine mysteriöse Frauengestalt, um die herum Themen wie Leben, Liebe und Tod abgehandelt werden, gar zum Animationsfilm werden.

Raffinierte vokale Kompetenz

Die Grammy-Gewinnerin erweckt die Titelfigur mit raffinierter vokaler Kompetenz. In einem selbstentworfenen Kleid und einem goldig schimmernden Lorbeerkranz ist McLorin Salvant eine präzise Ausdrucksvirtuosin. Sie wechselt mühelos vom ironisch-kindlichen Tonfall zu tiefen Vokalregionen, um soulig zu klingen. In ihrer subtilen Gestaltung bleibt aber auch Raum für expressive Exaltation oder winzige Regungen im Balladenbereich.

Wie bei ihren Liederabenden geht es nicht um unverbindlichen Singsang, vielmehr um das Hineinschlüpfen in Charaktere, aus denen heraus der vokale Ausdruck gleichsam herauswächst. Das Kammerensemble hilft: Es kombiniert durch Banjo unterstützte gospelartige Passagen, klassische Kammermusik, Country, klein besetzten Jazzmainstream und Big-Band-Blöcke.

Auch etwas Barock

Die originelle Eklektik taucht zum Finale hin sogar in eine stilisierte, streicherlastige Barockwelt, die von Henry Purcell stammen könnte. In diesen bunten Orchestergarten pflanzt McLorin Salvant delikate Songblüten. Tonal angelegt, zeigen sie eine ganz eigene Handschrift. (Ljubiša Tošić, 21.3.2024)