Banksys neuestes Werk: Blätterwerk für einen Baum in London.
Banksys neuestes Werk: Blätterwerk für einen Baum in London.
EPA/NEIL HALL

Von Anrainern wieder einmal gänzlich unbemerkt war der berühmteste britische Street-Art-Künstler in den letzten Stunden des St. Patrick's Day in der Nacht auf Montag im Norden Londons zu Werke geschritten. Auf der bröckelnden Mauer eines Gebäudes im Stadtteil Islington hinterließ Banksy ein Wandbild, das dem kürzlich stark gestutzten Baum davor aus einer bestimmten Perspektive visuell ein üppiges Blätterkleid verleiht.

Darunter ist eine Frau zu sehen, die ihr Werk begutachtet, in der Hand ein Drucksprühgerät, wie es sonst beim Auftragen von Pflanzenschutz zum Einsatz kommt. Das leuchtende Grün entspricht dem Vernehmen nach exakt jener Farbe, die in Islington für die Straßenschilder verwendet wird.

Kommentar zur Krise

Den ersten morgendlichen Medienberichten folgte einige Stunden später Banksys Bestätigung seiner Urheberschaft, wie üblich über seinen Instagram-Account und seine Website, wo Aufnahmen vor und nach seiner "Bearbeitung" publiziert wurden. Kein Wort jedoch über die Botschaft des Wandbildes, die traditionell mehrdeutig sein kann und immer Aktualität hat. Der starke Rückschnitt des Baums erzwingt ein Wachstum an den unteren Ästen, ein gezielter Eingriff des Menschen also, damit sich die Natur erholen kann. Vielleicht will Banksy damit aber auch die Praxis des Greenwashings als irreführende Strategie in den Fokus rücken, mit der Unternehmen zunehmend vermitteln wollen, wie "grün" ihre Praktiken sind.

Ein Kommentar zur ökologischen Krise, der nicht nur in der Hornsey Road für Gesprächsstoff sorgt, wo die Stadtverwaltung mittlerweile einen Sicherheitszaun montieren ließ, nachdem ein "Vandale" in der Nacht auf Mittwoch teils weiße Farbe über Banksys Werk gespritzt hatte. Ein Frevel auch für den Stadtrat von Islington, der das Kunstwerk als neue Attraktion willkommen hieß.

Wandgemälde "geborgen"

Abzuwarten bleibt allerdings, wie der Hauseigentümer reagiert. Ein solcher hatte in einem ähnlichen Fall das Wandbild mit schwarzer Farbe übermalen lassen, da ihm die Belagerung durch Schaulustige zu viel geworden war. 2006 begab sich das, als Banksy auf die Außenwand eines Bürogebäudes in Shoreditch im Osten Londons eine Formation von drei Apache-Kampfhubschraubern mit rosa Schleifen sprayte.

Ein Jahr später wechselte die Immobilie den Besitzer. Der neue Eigentümer war ahnungslos, bis er "seine" Hauswand mit den Holywell Row Happy Choppers in einem Bildband über Banksy entdeckte. Prompt beauftragte er einen an sich auf Gemälde Alter Meister spezialisierten Restaurator mit der Bergung. Mit einer eigens entwickelten Reinigungslösung wurde die schwarze Farbe abgenommen und der drei Zentimeter dicke Wandputz vorsichtig in acht Abschnitten entfernt.

Anschließend wurden die Elemente konserviert und wieder zu einem Wandbild zusammengefügt, das diese Woche in Newcastle versteigert werden sollte. Im Vorfeld hatte das Auktionshaus Anderson & Garland die Erwartungen mit 500.000 bis 700.000 Pfund beziffert. Allerdings hielt sich das Interesse angesichts des hohen Schätzwertes in Grenzen, die Gebote erreichten das Limit von 420.000 Pfund nicht. Für weniger scheint sich der Verkäufer von "seinem" Banksy vorerst nicht trennen zu wollen. Nun laufen Verhandlungen mit Interessenten hinter den Kulissen.

Anti-Establishment-Kunst

Was Banksy davon hält, dass seine Anti-Establishment-Kunst theoretisch solche enormen Preise erzielt, kann man ahnen. "Ich liebe die Art und Weise, wie der Kapitalismus einen Platz findet – sogar für seine Feinde. Es ist definitiv eine Boomzeit in der Unzufriedenheitsindustrie", ließ er zwischendurch wissen. Er selbst bietet auf seiner Website hochauflösende Bilder seiner Arbeiten zum kostenlosen Download.

Rätselraten herrscht weiterhin über die wahre Identität des mutmaßlich 1974 in Bristol Geborenen. Die Anonymität ist ebenso Teil seiner Marke wie seine Kunst. Noch, möchte man anmerken. Denn über einige jüngere Rechtsstreitigkeiten mit einer Grußkartenfirma, bei denen es um Markenrechte und Verleumdung geht, wurde ein gewisser Robin Gunningham als Beklagter aktenkundig. Banksy bestreitet, dass es sich dabei um seinen richtigen Namen handelt. Die Gegenseite hat in der Klageschrift zuletzt angemerkt, eine Demaskierung des Künstlers bei Gericht beantragen zu können. Mit unbequemen Folgen für Banksy, der mutmaßlich auch rückwirkend wegen Vandalismus und Zerstörung von Eigentum strafrechtlich belangt würde. (Olga Kronsteiner, 23.3.2024)