Es ist eine Ironie der Geschichte. Just in dem Moment, in dem SPÖ-Chef Andreas Babler einen Schritt auf Betriebe und die Industrie zugeht, nachdem ihm vorgehalten wurde, zu wirtschaftsfeindlich zu agieren, wird ihm erst recht Staatsdirigismus unterstellt. Der SPÖ-Politiker hatte vergangene Woche die Idee eines 20 Milliarden Euro schweren Transformationsfonds ventiliert. Mit dem Geld soll die Dekarbonisierung der Industrie gefördert werden, dadurch sollen Jobs und Wertschöpfung in Österreich gesichert bleiben, so Babler.

Da wolle einer Unternehmen bevormunden, lautete prompt der Einwand von Kritikern, der SPÖ-Chef wolle den Staat über die Wirtschaft stellen, mehr Staat statt Privat. Babler ist mitschuldig daran, dass diese Kritik verfangen kann. Seine Pläne zum Transformationsfonds hat er in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin vorgestellt. Dabei hat Babler in der Rede vor dem Thinktank so oft vom "starken Staat" gesprochen und davon, das Primat der Politik wiederherzustellen, dass dabei fast unterging, dass ihm vorschwebt, 20 Milliarden Euro Steuergeld zur Förderung der heimischen Industriebetriebe zu verteilen. Das ist nicht Staat statt Privat. Das ist ein Batzen Steuergeld, der im Namen der Industriepolitik zu Unternehmen wandern soll. Dort, unter Industriellen, hat man ihn verstanden, zumindest in Ansätzen. Man kenne bis auf Überschriften keine Details, freue sich aber, dass sich die Sozialdemokratie Gedanken zur Sicherung des Standorts mache, sagt ein Industrievertreter.

Monteurin am Fließband – die Automobilproduktion ist im Wandel begriffen.
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Bablers Vorstoß passt auch deshalb in kein ideologisches Staat-versus-Privat-Schema, weil es den Transformationsfonds schon gibt. Er heißt nicht so, und bisher sind in dem Topf auch keine 20 Milliarden Euro. Allerdings hat die türkis-grüne Regierung Ende 2022 eine "Transformationsoffensive" auf den Weg gebracht. Bis zu 5,7 Milliarden Euro stehen bis 2030 bereit, 600 Millionen davon kommen vom Wirtschaftsministerium, der Rest aus dem Klimaressort von Leonore Gewessler (Grüne). Knapp drei Milliarden stehen zur Verfügung, um die Dekarbonisierung der Industrie voranzubringen. Geld gibt es auch für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Infrastruktur dafür. Aus den Reihen der Industrie kommen einige Dutzend große Betriebe für diese Förderungen infrage, vor allem aus der Stahl- und Eisenindustrie, der Glasverarbeitung und der Zementproduktion, wie der Ökonom Klaus Friesenbichler vom Forschungsinstitut Wifo sagt.

Reiche Länder intervenieren eifrig

Neu an der Offensive war neben der Dimension vor allem, dass die Regierung für Subventionen einen längeren Horizont vorgeben wollte. Nun sind viele Fragen offen, was klimapolitisch erreicht werden kann mit dem vielen Geld. Zudem müssen die Gelder erst einmal abgerufen werden. Auch wenn der staatliche Zuschuss bis zu 80 Prozent betragen kann, müssen Private selbst ebenfalls investieren. Im vergangenen Jahr wurden zum Auftakt der Offensive 158 Millionen Euro an Förderungen via Klimaministerium zugesagt. Da ist es noch ein weiter Weg zu den angepeilten Milliardenwerten. Geld gibt es unter anderem für Projekte der Voestalpine oder die Leube Zement GmbH.

Österreichs Politik ist selbst eingebettet in eine größere Entwicklung. Die Ökonomen Réka Juhász (University of British Columbia), Nathan J. Lane (Oxford) und Dani Rodrik (Harvard) haben in einem 2023 veröffentlichten Paper gezeigt, dass staatliche Industriepolitik auf dem Vormarsch ist. Die Definition und Messung fällt Ökonomen nicht leicht, unter Industriepolitik fallen alle staatlichen Interventionen zugunsten von Betrieben, die strategischen Zielen dienen. Besonders 2021 und 2022 ist die Zahl der industriepolitischen Maßnahmen in die Höhe geschossen.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (links) und SPÖ-Chef Andreas Babler.
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Die Pandemie hat die Verletzlichkeit von Lieferketten offengelegt. Das war ein Grund. Aber auch die zunehmende Rivalität zwischen den großen Machtblöcken, allen voran USA und China, spielt eine Rolle. Der Krieg in der Ukraine und das Bestreben, in Energiefragen von Russland unabhängiger zu werden, sowieso, und natürlich auch die Klimatransformation. Vor allem die USA investieren kräftig in Batteriewerke und Mikrochipproduktion. Die EU versucht nachzuziehen. Neu ist, dass es vor allem reiche Industrieländer sind, die plötzlich deutlich mehr Geld ausgeben.

Bisher eher Ausnahme bei diesen Programmen ist, dass sich Staaten im Rahmen solcher Offensiven an Unternehmen beteiligen. Babler plädiert genau dafür. Damit soll die öffentliche Hand an möglichen Gewinnen von geförderten Unternehmen teilhaben. Das ist im österreichischen Förderregime tatsächlich nicht vorgesehen. Über die beste Form der Transformationsförderung wird international kontrovers diskutiert, mit Retro-Sozialismus hat das wenig zu tun.

Die Zahl industriepolitischer Maßnahmen steigt weltweit.
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So gibt es tatsächlich den Ruf nach mehr öffentlichen Beteiligungen im Rahmen der neuen Industriepolitik. Das kalifornische Berggruen Institute, ein Thinktank eines gleichnamigen Multimilliardärs, kritisiert in einem jüngst veröffentlichten Bericht vehement, dass die USA vier Billionen Dollar für Industriepolitik ausgeben, aber selbst keine Staatsbeteiligungen übernehmen, um von den Investitionen später zu profitieren. Der Einwand dagegen: Der Staat sei kein guter Unternehmer. Das betonen auch heimische Industrielle: Neue Initiativen für Staatsbeteiligungen hält man für nicht notwendig, es gebe schon bestehende Instrumente, die ausgebaut gehörten, sagt einer. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr spricht sich für einen pragmatischen Zugang aus: "Der Staat ist kein guter Unternehmer. Aber wenn es um Minderheitsbeteiligungen bei bestimmten Investitionen geht, warum nicht?", so der Ökonom. Im Klimaministerium ist man skeptisch: Beteiligungen auszuarbeiten sei langwierig, und Modelle zu erarbeiten mache die Umsetzung der Transformation nur "komplexer".

Nüchtern betrachtet ist Bablers Vorschlag weder neu noch besonders provokant. Er passt in den neuen industriepolitischen Zeitgeist, wobei über die konkrete Ausgestaltung gestritten werden kann. Offen ist, wie 20 Milliarden Euro zu finanzieren wären. Babler spricht eher nebulös davon, dass klimaschädliche Subventionen zu streichen sind. Das würde Milliarden einbringen, würde unter anderem Autofahren weiter verteuern. Ob das der SPÖ-Chef will? Freilich: Gelingt einmal die Abkoppelung von Öl und Gas, erspart sich Österreich im Gegenzug Milliarden an fossilen Importen. (András Szigetvari, 26.3.2024)