Die Regierung in Paris war die erste in Europa, die nach dem Anschlag in Moskau die höchste Terrorwarnstufe ausrief. Die Gefahr einer Attacke durch Islamisten ist beträchtlich. Frankreich wird nicht das einzige Land auf dem Kontinent bleiben, in dem die Sicherheitsbehörden in derartige Alarmbereitschaft versetzt werden.

Nicht zufällig sagte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser der "Süddeutschen Zeitung": "Die Gefahren haben eine neue Qualität erreicht." Sie führte nicht nur die IS-Drohungen zu Weihnachten gegen den Kölner Dom oder jüngste Verhaftungen von verdächtigen Islamisten in Gera an, die einen Anschlag in Schweden geplant haben sollen: Faeser sieht auch die hybride Bedrohung durch Russland, den Krieg Wladimir Putins in der Ukraine und das Erstarken der Rechtsextremen als akute Gefahren.

Trauer nach dem Terroranschlag in Russland.
Trauer nach dem Terroranschlag in Russland – doch die Gefährdungslage gilt für ganz Europa.
Foto: Imago / Sergey Bobylev

Die Kombination aus all dem macht die Sicherheitslage in Europa düster, ein komplexes Bedrohungsbild. Paris und Berlin sind extranervös, weil sie im Sommer die Fußball-EM und die Olympischen Spiele ausrichten.

Das Massaker in der russischen Hauptstadt rief schlagartig in Erinnerung, was Behörden jahrelang nicht gern laut aussprachen: Die Bedrohung durch Radikale und Islamisten war seit den großen Anschlägen in Paris und Brüssel 2015/16 nie ganz weg. Sie loderte nur auf kleinerer Flamme. Der IS und seine Ableger ordneten sich inzwischen neu. IS, Al-Kaida bis hin zu den Taliban bleiben ein globales Phänomen. Was in Moskau passierte, kann jederzeit in ganz Europa geschehen.

Gewiss, noch ist nicht eindeutig geklärt, wer die Attentäter in der Crocus City Hall waren, wer sie beauftragt hat, ob tatsächlich der IS-K dahintersteckt, wie aus für diesen typischen Bekennerschreiben hervorgeht. Westliche Geheimdienste halten das für fast sicher. Die USA hatten bereits vor Wochen konkret gewarnt. Das Muster der Tat erinnert an das Attentat auf das Theater Bataclan in Paris.

Putin hat keine Beweise

Russlands Präsident Putin schreibt die Täterschaft der Regierung in Kiew und dem Westen zu, ohne Beweis. Er hat Grund abzulenken, hat er doch die US-Warnungen verhöhnt. Nun könnte er versuchen, seinen Krieg gegen die Ukraine zu eskalieren, indem er den Anschlag als Verschwörung des Westens darstellt.

Umso mehr sind nun die EU-Staaten als Gemeinschaft gefordert. Im Juni finden EU-Wahlen statt. Es wäre überraschend, wenn das Thema europäische Sicherheit keine zentrale Rolle spielen würde. Die liberalen Demokratien in Europa haben viele Feinde, die Islamisten sind nur ein Teil davon. Es wäre hoch an der Zeit, diese Problematik politisch gemeinsam anzugehen, konkrete Lösungen für die Zukunft zu skizzieren. Worauf warten?

Dabei sind Parteien und Regierungen, Bürgerinnen und Bürger angesprochen. Europa braucht eine echte Sicherheitsunion statt nationaler Kleinstaaterei – so wie man vor 30 Jahren aus der EG einen Binnenmarkt und eine Wirtschafts- und Währungsunion gemacht hat. Sie wurde genau geplant und stufenweise eingeführt, mit dem Euro als gemeinsames Geld.

Heute geht es um Terrorbekämpfung, gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen, Schaffung eines europäischen Geheimdienstes, einer europäischen Armee. Das muss das zentrale EU-Projekt für die nächsten zehn Jahre sein. Sonst läuft das gemeinsame Europa noch Gefahr, von seinen Feinden aufgerieben zu werden. (Thomas Mayer, 25.3.2024)