James Joyce (1882–1941) zimmerte trotz abnehmender Sehkraft rund 16 Jahre lang am womöglich schwierigsten Roman der Hochmoderne: "Finnegans Wake" soll nun endlich von Ulrich Blumenbach kongenial ins Deutsche übertragen werden.
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Jener Roman, der alle bisher geschriebenen Bücher übertreffen sollte, gewann nur zögerlich Kontur. Der Ertrag eines gewöhnlichen Schreibtags konnte, wie James Joyce seinen Freunden mitteilte, fünf Wörter umfassen. Diese hatten es dafür in sich: "Kruzitronen, mach nicht so ein Geföhns!" So herzerweiternd vieldeutig klingt es, wenn Übersetzer Ulrich Blumenbach Joyce ins Deutsche überträgt.

Die grundsätzliche Schwierigkeit steckt in der babylonischen Sprachverwirrung. Sie wurde von Irlands wichtigstem Beiträger zur literarischen Moderne planmäßig angezettelt. Praktisch jedes Wort platzt bei ihm vor lauter Inhalt. Joyce schraubt, klopft und zimmert x verschiedene Wörter zu jeweils einem einzigen zusammen.

Der irische Weltliterat begann 1923 mit den Arbeiten zu jenem "Work in Progress", das kurz vor seiner Fertigstellung, also 1939, den Titel Finnegans Wake erhielt. Findige Köpfe haben in dem Text Klangspuren und Zeichenreste von mindestens 40 verschiedenen Sprachen ausfindig gemacht.

Die Vielfalt der Nuancen erschließt sich der achtsamen Leserin erst nach mehrmaliger Lektüre. Die Koffer- oder Schachtelwörter, die Joyce benützt, enthalten eine Vielzahl von Anspielungen und Lautähnlichkeiten. Die Wirkung solcher Sinnverdichtungen reizt nicht allein zum Lachen, sie geht gelegentlich über den Menschenverstand.

Der Boden der Tatsachen bleibt, wie jetzt Übersetzungsproben in der aktuellen Ausgabe des Schreibhefts famos belegen, abschüssig. Man dämmert beim Lesen hinüber in Landschaften des blühenden Unsinns, in denen einzig die Gesetze des Traums regieren. Die Prozessordnung gleicht einer unausgesetzten Vertagung dessen, was "eigentlich" gesagt werden soll.

Kein gewöhnlicher Tag

Ein Buch der Bücher sollte es werden, keine Beschreibung eines gewöhnlichen "Bloomsday" wie im berühmteren Ulysses. Die ganze Menschheitsgeschichte sei in Finnegans Wake enthalten. Die Familiensaga von Humphrey Chimpden Earwicker, einem Kneipenwirt, von dessen Frau Anna Livia Plurabelle und den Kindern, voran Tochter Isabel („Issy“). Die besinnt sich auf der Ebene der Traumlogik einer Vielzahl zotiger Erlebnisse: "Fellt der Glaube an die Brunsterblichkeit bei mir auf fruchtbaren Body?"

Joyces Kollege Arno Schmidt, als dichtender Gedankenspieler selbst kein Kind von Traurigkeit, nannte Finnegans Wake, dieses Buch ohne bestimmbaren Inhalt, einen einzigen monströsen "Unterleibswitz". Die in der Zwischenkriegszeit publizierten Auszüge verleiteten geschworene Joyce-Fans dazu, sich mit dem Schreibfinger an die Stirn zu tippen. Bruder Stanislaus meinte, die Folgen zunehmender Gehirnerweichung bei James feststellen zu müssen.

Ezra Pound wünschte dem Kollegen sarkastisch "einen guten Erfolg". Joyce treibe mit seinen Überblendungsspielen einen Aufwand, der dann am Platz sei, wenn es gelte, "ein neues Allheilmittel gegen Tripper" zu finden. Doch bei genauerem Hinschauen hört man das Gemurmel von Flüssen, das Flüstern von Wäscherinnen, die sich allmählich in Baum und Fels verwandeln.

Joyces Opus summum ist eigentlich unübersetzbar. Vor gut 30 Jahren versuchte sich der Siegener Übersetzer Dieter H. Stündel an einer Nachdichtung des Gesamttextes: "Finnegans Wehg – Kainnäh ÜbelSätzZung des Werkeß fun Schämes Scheuß" (1993). Nun erhielt Ulrich Blumenbach 2018 vom Suhrkamp-Verlag den Auftrag, das Werk in seinen sämtlichen Stilregistern ins Deutsche zu übertragen – bis 2027.

Tücken des Objekts

Im Schreibheft veröffentlicht der Gelehrte nun vier Zwischenresultate. Und erteilt bereitwillig Auskunft über die Tücken des Objekts.

Blumenbach möchte "zur Sinnfektion anstiften". Er empfiehlt, sich durch Abweichungen von der gewöhnlichen Orthografie nicht Bange machen zu lassen. Der späte Joyce kann zum Suchtmittel werden. Der Umgang mit ihm und seiner Sprache lehrt das Vergnügen an verschwimmenden Grenzen, er macht den Irrglauben zunichte, dass Umrisse von Körper und Sprache ein für alle Mal feststünden. Man kann das "joycelich" finden. Scheußlich ist es keineswegs. (Ronald Pohl, 26.3.2024)