Er deckte Stimmenkauf und Menschenhändlerringe in Albanien auf: Elton Qyno ist ein erfahrener albanischer Journalist. Als er am 12. Dezember des Vorjahres von der Korruptions-Sonderstaatsanwaltschaft SPAK zur Vernehmung zitiert wurde, nahm er vorsichtshalber seine beiden Mobiltelefone nicht mit. Denn in Südosteuropa kommt es immer wieder vor, dass Journalisten von Behörden dazu aufgefordert werden, ihre Informationen preiszugeben – und so wird der Quellenschutz verletzt. Qyno wurde bei der SPAK zwei Stunden lang befragt und immer wieder aufgefordert, seine Quelle bekanntzugeben. "Ich habe mich geweigert", erzählt er dem STANDARD. "Daraufhin forderte der Staatsanwalt die Beschlagnahme meines Handys."

 Aufdeckungsjournalist Elton Qyno
Im Visier der albanischen Justiz: Aufdeckungsjournalist Elton Qyno.
privat

Qyno wurde in der Folge gegen seinen Willen sieben Stunden lang festgehalten. Der Staatsanwalt ordnete währenddessen eine Hausdurchsuchung sowohl im Büro als auch in der Privatwohnung des Journalisten an. "Innerhalb von nur 55 Minuten stimmte die Richterin dem Antrag zu", so Qyno. Sein Computer und sein Arbeitsmaterial wurden beschlagnahmt. Aber nicht nur das: CDs, auf denen Bilder von Familienfesten gespeichert waren, sogar CDs mit griechischer und albanischer Musik wurden von den Beamten mitgenommen. Und das iPhone eines Zehnjährigen.

Qyno musste sich zudem einer Leibesvisitation unterziehen. Sein Autoschlüssel wurde ihm weggenommen. Aus dem Auto wurde ein USB-Stick entwendet, obwohl es dafür laut Qyno keinen Gerichtsbeschluss gab. Schließlich spürten die Beamten mit einem sogenannten IMSI-Catcher Qynos Mobiltelefone auf. "All diese illegalen und absurden Aktionen, die darauf abzielten, meine Quellen preiszugeben, wurden seltsamerweise und leider von den drei Ebenen der Justiz in Albanien legitimiert", so Qyno zum STANDARD. "Jetzt warten wir auf die Klärung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs."

Junge Behörde

Die SPAK ist eine relativ junge Institution. Seit Albanien 2016 mit Unterstützung durch die EU und die USA eine umfassende Reform der Justiz begann, wurden auch neue Strukturen wie eben die SPAL, bestehend aus der Sonderstaatsanwaltschaft und dem Nationalen Untersuchungsbüro, und die Gerichte für Korruptionsbekämpfung und organisierte Kriminalität geschaffen.

Sämtliche Staatsanwälte und Richter müssen sich außerdem seit Jahren einer Überprüfung stellen. Ihre Vermögen werden untersucht. Wenn es Hinweise gibt, dass sie Bestechungsgelder entgegengenommen haben, werden sie entlassen. Aber auch ihre Professionalität wird unter die Lupe genommen.

Etwa 60 Prozent der albanischen Richter und Staatsanwälte mussten bereits ihren Dienst quittieren, weil Fehlverhalten oder Korruption aufgedeckt wurden. Das hat zwischendurch – und teilweise noch immer – zu einem erheblichen Mangel an Staatsanwälten und Richtern geführt. Bis zum Ende dieses Jahres sollen alle etwa 800 Richter und Staatsanwälte überprüft worden sein. Bis 2026 können sie noch gegen die Ergebnisse in Berufung gehen.

Transparenz?

Es ist ein einmaliges Unterfangen in Europa und wurde von der EU-Kommission und den USA unterstützt und auch gelobt. Die EU-Mission Euralius, aber auch die österreichische Entwicklungszusammenarbeit Austria Development Agency (ADA) waren mit dem Projekt betraut. Laut der EU-Finanztransparenz-Website hat die ADA zwischen 2020 und 2023 für das Monitoring der Richter und Staatsanwälte sechs Millionen Euro an EU-Vorbeitrittshilfen erhalten.

Bei manchen erwies sich der Überprüfungsprozess selbst allerdings mangelhaft. Als etwa Richter Artur Malaj überprüft wurde, fand die zuständige Kommission nichts Anstößiges und bestätigte ihn im Amt, obwohl bekannt war, dass er über seinen früheren Sekretär eine Villa an der Küste besaß und Geld von einer Person bekommen hatte, die in Menschenhandel involviert war. Erst das internationale Expertengremium, das die Überprüfung nochmals überprüfte, konnte Malaj dafür zur Verantwortung ziehen, dass er mindestens 45.000 Euro auf seinem Konto nicht "erklären" konnte.

Aber es gibt auch den umgekehrten Fall. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied 2022, dass die Entlassung der Staatsanwältin Antoneta Sevdari durch die Kommission unverhältnismäßig gewesen sei. Sevdari konnte nämlich lediglich nicht nachweisen, dass ihr Mann für einen kleinen Teil ihres gemeinsamen Einkommens Steuern gezahlt habe. Das Gericht sprach Sevdari eine Entschädigung in Höhe von rund 24.600 Euro zu. Und ihr Fall kommt noch einmal vor die Kommission.

Mangel an Vertrauen

Die Kommission ist im Endspurt. 2018 traf sie 92 Entscheidungen, im Jahr 2023 stieg die Zahl bereits auf 119 und im Jahr 2022 auf 128. Die langfristigen Auswirkungen sind noch nicht abzusehen. Nino Strati vom Zentrum für das Studium von Demokratie und Regierungsführung in Tirana erklärt, dass Vertrauen der Öffentlichkeit in das Justizsystem trotz der massenhaften Überprüfung im Laufe der letzten fünf Jahre "nur begrenzt zugenommen" habe.

Er spricht von einer "Übergangsphase". "Es ist plausibel, dass es noch weitere fünf Jahre dauern wird, bis sich das Justizsystem stabilisiert und die Richter ihre Arbeit fortsetzen können – ohne äußeren Zwängen, insbesondere solchen, die von politischen Einflüssen ausgehen, nachzugeben", sagt er dem STANDARD.

Tatsächlich trauen laut dem "Balkan-Barometer" 34 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Albaniens der Justiz überhaupt nicht, weitere 40 Prozent tendieren dazu, misstrauisch zu sein. Der Grund: Jahrzehntelang war es ziemlich normal, dass man sich Entscheidungen "kaufen" konnte. Die NGO World Justice Project platziert Albanien auf Platz 91 von 142 Staaten. Innerhalb der Region wird nur noch Serbien schlechter bewertet, wenn es um Gewaltenteilung, Korruptionsbekämpfung und ein transparentes Regierungssystem geht.

Schlechte Beurteilungen

Auch auf anderer Ebene scheint die Korruptionsbekämpfung in Albanien verbesserungswürdig. Die Staatengruppe gegen Korruption (Greco) kommt in ihrem Bericht aus dem Jahr 2023 zu dem Schluss, dass Albanien "nur fünf der 24 Empfehlungen zufriedenstellend umgesetzt" habe, sechs Empfehlungen wurden demnach gar nicht umgesetzt. Und laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wurde der Staat Albanien in 71 Fällen verurteilt, weil er gegen die Menschenrechtskonvention verstieß. "Fast die Hälfte dieser Verfehlungen betreffen den Artikel 6, bei dem es um das Recht auf ein faires Verfahren geht", so der Gerichtshof.

In Albanien – wie in keinem anderen Land in Südosteuropa – werden politische Auseinandersetzungen wie Kriege geführt. Anzeigen gegen die Gegner und einseitige mediale Berichterstattung werden dabei als Waffen eingesetzt. Diese Unkultur macht es oft schwer, durch das Gewirr an Informationen hindurchzusehen. Strati verweist darauf, dass Albanien ein Land sei, "in dem es keine klare Tradition eines Systems der Gewaltenteilung gibt". Rechtsexperten fordern, dass die Wahl des Justizrats und des Verfassungsgerichtshofs nicht mehr durch Politiker erfolgen soll.

Strati denkt, dass insgesamt der öffentliche Druck, gegen Korruption vorzugehen, in einem positiven Sinne gestiegen sei. "Ich glaube jedoch, dass es immer noch Richter und Staatsanwälte sowie Mitglieder von Überprüfungskommissionen gibt, die ihre Mentalität nicht geändert und die Werte der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit nicht verankert haben", sagt er dem STANDARD.

Ganz sicherlich gibt es noch immer Politiker in Albanien, die ihren Job als Möglichkeit, an Geld zu kommen, missverstehen. Der ehemalige stellvertretende Premier, Ex-Wirtschaftsminister, Ex-Finanzminister und Infrastrukturminister Arben Ahmetaj wird seit dem Vorjahr wegen Geldwäsche und Fälschung von Vermögenserklärungen gesucht. Ahmetaj machte sich aus dem Staub. Mittlerweile hat er einen Vertrag im Wert von 150.000 US-Dollar mit dem US-Lobbyunternehmen Prism Group unterzeichnet, um die US-Regierung von seiner Unschuld zu überzeugen. Zurzeit soll sich Ahmetaj albanischen Medien zufolge im schweizerischen Lugano befinden. (Adelheid Wölfl, 30.3.2024)