Korhan Yurtsevers
Korhan Yurtsevers "Kara Kafa" ("Schwarzkopf") aus dem Jahr 1979 feierte erst 2023 in Deutschland Premiere.
Korhan Yurtsever

Der Landstrich Prekmurje in Slowenien liegt mitten in Europa – und doch ziemlich in der Einöde. Im Süden bildet die Mur eine Grenze, östlich ist gleich Ungarn, und an der anderen Grenze lag früher einmal die Freiheit – Österreich, der Westen, der stabile Schilling als Währung und eine Wirtschaft, die nach Arbeitskräften suchte.

Der Film Let mrtve ptice (Der Flug des toten Vogels) von Živojin Pavlović aus dem Jahr 1973 erzählt davon, was die Auswanderung nach Österreich und Deutschland damals in Prekmurje bewirkte. In der Gegend herrscht gerade sowieso schon Not, weil die Maul-und-Klauen-Seuche umgeht, aber das landwirtschaftliche Leben stiftet auch Zusammenhalt. Man hilft sich gegenseitig bei der Ernte und mit Maschinen. Allerdings fehlen jetzt oft die Männer, die Frauen sind auf sich allein gestellt. Als einer der letzten entschließt sich der angesehene Tjas, auch wegzugehen. Er kann nicht länger ignorieren, was ihm erfolgreiche Rückkehrer wie sein Bruder Ferenc deutlich machen. Der kommt mit einem Straßenkreuzer über die staubigen Straßen von Prekmurje zurück aus der Gastarbeit.

Let mrtve ptice
KLASIK

Der Flug des toten Vogels beginnt mit dem dramatischen Dies Irae aus Verdis Requiem, entwickelt sich dann aber, wiewohl in Farbe, zu einem Beispiel eines späten Neorealismus. Einmal mehr sieht man hier eine Landschaft mit einfachen Menschen unter dem Druck einer beginnenden, von außen kommenden Modernisierung. Jugoslawien war damals blockfrei, umgeben von Kommunismus und freier Marktwirtschaft. In Prekmurje lebten die Menschen anno 1973 fast noch so, wie sie über Hunderte von Jahren gelebt hatten.

Anfänge der Arbeitsmigration

Bei der Diagonale kann man dieses herausragende Beispiel des mitteleuropäischen Kinos im historischen Spezial "Die erste Schicht" sehen. Traditionell zeigt das Festival des österreichischen Films auch filmgeschichtliche Programme. In diesem Jahr widmet sich der größere der beiden Schwerpunkte (neben "3 x Mädchen in Uniform", von Synema präsentiert) den Anfängen der Arbeitsmigration in Österreich und Deutschland: den Gastarbeitern, wie man sie zuerst nannte. Nach zwanzig Jahren Wirtschaftswunder fehlte, wie auch jetzt wieder, Personal. Jugoslawien, Italien, Griechenland, die Türkei kamen als Niedriglohnländer in den Blick. Für die Menschen dort waren auch schlecht bezahlte Jobs in Hartwährungsländern eine Möglichkeit, sich etwas aufzubauen.

In dem Kurzfilm Halo München (1968) von Krsto Papić kann man sehen, wie sich der neue Austausch auf die Dalmatinska Zagora (das Hinterland Dalmatiens) auswirkt. In der Schule lernen die Kinder mit Sätzen wie "Ich hüte die Schafe" die Grammatik. Frauen packen die Konsumgüter, die Heimkehrer auspacken, auf Esel. Manche führen zum ersten Mal ein Telefongespräch und plagen sich mit dem verwickelten Kabel ab.

Halo, München / Hallo Munich (1968)
Mario Gaborović

Von Beginn an entstanden im Zuge der Arbeitsmigration auch Filme. Und schon seit einiger Zeit gibt es Bestrebungen, diese Zeugnisse, die es so gut wie nie in den nationalen Kanon geschafft haben, stärker zu berücksichtigen. Heute werden Arbeiten, in denen sich die Erfahrungen von Gastarbeitern (überwiegend, aber keineswegs nur Männern) zeigten, gesucht: In Berlin gibt es eine Gruppe, die unter dem Titel "Fiktionsbescheinigung" (ein Begriff aus der einschlägigen Bürokratie) eine Revision der Filmgeschichte anstrebt, wie auch das Sínema Transtopia, das sich dezidiert einer minderheitsgesellschaftlichen Perspektive auf das Kino widmet.

Voraussetzung: Schnelle Anpassung

Die Diagonale schließt mit "Die erste Schicht" daran an, zu Gast bei einem dem Spezial gewidmeten Gesprächspanel ist denn auch Can Sungo, der künstlerische Leiter von Sínema Transtopia. Welches Leben die Menschen damals zurückließen, kann man oft auch nur erahnen, etwa aus der Bemerkung einer jungen Frau, die in einem der "Sonderzüge" in dem gleichnamigen Film sitzt (Specijalni vlakovi, Regie führte ebenfalls Krsto Papić): Sie möchte alles vor ihrem 18. Geburtstag nur vergessen, sagt sie, und ihr gequälter Blick verrät, dass das alles andere als kokett gesagt ist. In diesem Film sind auch Stimmen aus den Ankunftsländern zu hören, die einiges von den Missverständnissen erkennen lassen, von denen die Anwerbung begleitet war: Schnelle Anpassung wurde vorausgesetzt.

In Österreich reagierte der damals progressive ORF auch auf die neuen Umstände. Das Fernsehspiel Wo sein Wäsche? (1975) von Dieter Berner und Käthe Kratz (Buch) schildert mit bissiger Ironie die Odyssee einer Hausbesorgerin, die für ihren Neugeborenen Goran ein "Wäschepaket", eine Sozialleistung der Stadt Wien, abholen will. "Koran?", fragt jemand an einer der vielen Behördenstellen zurück, die zu absolvieren sind. In Wo sein Wäsche? inszeniert Österreich sich als Ankunftsland. Die Diagonale ergänzt mit "Die erste Schicht" nun lange übersehene Herkünfte. (Bert Rebhandl, 3.4.2024)