Es ist äußerst reizvoll und spannend, als Slow Traveller mit der Kamera in der eigenen Heimat unterwegs zu sein. Es kann auch einfach ein Flanieren sein, ein Begriff, der im heutigen Sprachgebrauch kaum noch verwendet wird. Sich als Flaneur treiben zu lassen und die Dinge um sich herum zu betrachten (und mit dabei ist natürlich eine Kamera). Als Spaziergänger habe ich in der Regel immer ein konkretes Ziel vor Augen, als Spaziergänger mache ich einen Rundgang und habe einen fixen Anfangs- und Endpunkt. Wenn ich als "Slow Traveller" mit der Kamera in meiner näheren Umgebung flaniere, ist es ein augenscheinlich zielloses Umherbummeln. Das verbindet mich mit einem Flaneur, der im 19. Jahrhundert in äußerst gemächlichem Tempo durch die Passagen und Straßen von Paris unterwegs war. Natürlich bietet sich das grundsätzlich in einer Stadt an, aber warum nicht auch einmal diese Ziellosigkeit auf eine ländliche Umgebung, auf einen Randbezirk oder vielleicht nur auf einen Park übertragen?
Reisen vor der Haustür
In meinem Umfeld habe ich schon manchmal eine Gegend erkundet, mit "anderen Augen" durchstreift, die ich wegen des täglichen und schnellen Durchfahrens lange Zeit vernachlässigt habe. Wenn man der Pandemie, die uns in den letzten Jahren belastet hat, etwas Positives abgewinnen möchte, dann ist es die Tatsache, dass uns mangels Alternativen die Möglichkeit des Reisens vor der Haustüre aufgezeigt worden ist. Gar nicht weit weg von zu Hause lässt sich manchmal eine Welt entdecken, die man nicht immer vermutet. Als Wanderer unterwegs zu sein, offeriert ein Stück Freiheit, man lüftet seinen Kopf durch und macht damit Platz für frische Gedanken. Wandern muss aber nicht immer bedeuten, neue Berge zu erklimmen oder über fremde Almen zu marschieren. Eine bekannte Gegend bewusst zu durchwandern, eröffnet Fotografinnen und Fotografen neue Perspektiven auf vermeintlich Altbekanntes.
Fotomotive entdecken
Ungeplant durch bekanntes Gebiet spazieren. Oft hat man sich ja an der eigenen Umgebung schon "sattgesehen", aber die Suche nach speziellen Elementen, nach Details in der Natur lassen das gewohnte Umfeld in einem anderen Licht aussehen. Gewohnte Pfade verlassen, also einmal eine andere Straße fahren, einen anderen Weg gehen, kann neue Blickwinkel hervorbringen. Je nach Jahres- und Tageszeiten gibt unsere Umgebung ein vielfältiges Aussehen ab, unsere tägliche Routine lässt das Erkennen dieser Veränderungen ja oft gar nicht zu.
Als Landschaftsfotograf strebt man oft nach "epischen" Bildern. Kein Wunder, dass Island und Norwegen in den letzten Jahren zu beliebten Reiseziele für Fotografinnen und Fotografen geworden sind, bieten sie doch eine ideale Kulisse für solche Aufnahmen. Leider ist es vielen von uns nicht möglich, ständig zu reisen oder solche Ziele überhaupt zu besuchen. Ein weiterer Faktor ist, dass oft zu wenig Zeit für ein "bewusstes" Fotografieren bleibt. Also gilt es besondere Motive in der Nähe ausfindig zu machen. Mit der Kamera und offenen Sinnen unterwegs zu sein bedeutet, dass man in fast jeder Region eine Vielzahl an Möglichkeiten entdecken kann, die es wert sind auf Film oder Speicherkarte festzuhalten.
Aufmerksamkeit auf das, was vor uns liegt
Ungewöhnliche Orte in der näheren Umgebung zu finden, ist nicht immer einfach. Genau diese Herausforderung macht die Fotografie so interessant. Es geht darum, unsere Aufmerksamkeit auf Orte in unserer Umgebung zu lenken, die unserem Anspruch, interessante Bilder zu machen, gerecht werden. Ein gutes Beispiel für mich ist hierfür immer ein Waldspaziergang. Auch wenn man glaubt, eine Strecke schon gut zu kennen und ihr nichts mehr Neues abgewinnen zu können, bietet ein Weg durch einen Wald zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten, oft auch wetterbedingt eine Fülle an unterschiedlichen Möglichkeiten für großartige Fotos. Für mich ist es immer ein kleines Erfolgserlebnis, wenn ich an Orten, die ich bereits kenne, ein spannendes Motiv entdecke. Scheinbar bin ich bis dahin achtlos vorbeigelaufen oder es hat das Licht, der Zeitpunkt oder vielleicht auch meine Stimmung nicht gepasst. So kann so ein Ort zu einem Platz werden, der einem Vergleich mit weit entfernten ikonischen Orten vielleicht nicht standhält, für mich aber in diesem Moment etwas Besonderes geworden ist.
Fotoprojekt "Minimal Scenery"
Bei Touren, die ich nicht weit weg von meinem Heimatort unternommen habe, ist mein Fotoprojekt "Minimal Scenery" entstanden. Es sind Aufnahmen, aber auch manchmal "urbane oder dörfliche Bildausschnitte", die von einer einfachen und klaren Komposition geprägt sind, wo das "Mehr im Weniger" im Vordergrund steht. Mit diesem Projekt möchte ich Bilder machen, in denen ein Motiv im Vordergrund steht. Unnötiges beziehungsweise Elemente, die vom Motiv ablenken, werden bereits im Sucher meiner Kamera ausgespart. Auch wenn das alles in der Nachbearbeitung heutzutage sehr einfach geht, möchte ich "einfache" Fotos bereits bei der Aufnahme gestalten. Das Projekt "Minimal Scenery" unterteilt sich in Farbaufnahmen und Bildern, die in schwarz-weiß gehalten sind.
Nahezu alle Bilder dieser Serie sind überwiegend in meiner näheren Umgebung, in der Ost- und Südoststeiermark entstanden. Es ist eine Landschaft, die vielleicht ein wenig im Schatten anderer bekannter steirischer Regionen wie der Südsteiermark oder dem steirischen Salzkammergut steht. Es ist keine Landschaft, die mit ihren Sehenswürdigkeiten "prahlt", es ist eine Landschaft der "leisen Töne", eine Landschaft, die ihre Schönheit nicht "herausschreit". Es ist ein Teil der Steiermark, dessen Vielfalt sich beim genussvollen Durchstreifen langsam erschließt.
Reduktion auf wenige Elemente
Die Reduktion auf wenige Elemente in einer Landschaft kann viel über eine Region oder einen Ort aussagen. Schneelandschaften – insbesondere in schwarz/weiß – bieten für minimalistische Aufnahmen augenscheinlich mehr Möglichkeiten, als die anderen Jahreszeiten. Aber gerade das macht die fotografische Suche herausfordernd und kurzweilig. Den Charakter einer Region in einer Bilderserie, die sich auf wenige Landschaftselemente konzentriert, widerzuspiegeln, ist ein spannendes fotografisches Projekt. Was definiere ich als wesentlich? Welche Perspektive nehme ich auf mein Motiv ein, so dass es für sich steht und störende, also für mich unnötige Elemente von meiner Bildaussage ablenken?
Mein Vorhaben, eine Region fotografisch zu erkunden und dort Landschaftsaufnahmen zu machen, die sich durch eine gewisse "Einfachheit" auszeichnen, ist für mich noch lange nicht abgeschlossen. Eine spannende und herausfordernde fotografische Reise, die mich auch in einen wunderbaren Flow beim Fotografieren bringt.
Mit der Kamera in der Umgebung zu reisen, hat den Vorteil, dass man das immer kurzfristig ohne Vorplanung machen kann. Auch wenn nur einmal wenig Zeit vorhanden ist, lohnt sich ein Aufbruch für eine kleine Entdeckungstour und nahezu jeder Fotoapparat oder ein Smartphone mit einer einigermaßen guten Kamera kann dafür verwendet werden.
Ich würde mich auf Rückmeldungen aus der Community freuen, wer ebenfalls als "fotografischer Flaneur" bereits unterwegs ist und sich der Suche nach dem "Mehr im Weniger" verschrieben hat oder es vielleicht werden möchte. (Bernd Grosseck, 12.4.2024)