Beyoné und ihr neues Album
Beyoncé auf dem Cover ihres Monumentalwerks "Cowboy Carter". Der Hut bleibt oben.
AP

Seit Freitag, dem 29. März des Jahres 2024, null Uhr, liegt mit Cowboy Carter das sehnsüchtig erwartete, im Vorfeld heftig diskutierte Album des Jahres vor. Und mit 27 Stücken bei 80 Minuten Spielzeit hat US-Superstar Beyoncé als derzeit einzige ernstzunehmende Konkurrentin von Taylor Swift ja auch gar nicht erst versucht zu kleckern. Eat as much as you can! Pop to go. Immerhin schlägt Beyoncé damit die Marketing-Weltmeisterin und ehemalige Country-Sängerin Swift um gut drei Wochen. Swifts Album The Tortured Poets Department (in etwa: Kompetenzzentrum für gequälte Dichter) erscheint erst am 19. April.

Eine zart didaktische Nachhilfestunde

Cowboy Carter wurde im Vorfeld auch dank der beiden vorab veröffentlichten Songs Texas Hold 'Em und 16 Carriages als Country-Album angekündigt. Es soll nach Renaissance von 2022 den zweiten Teil einer Trilogie darstellen. Fungierte Renaissance als eine tiefe Verbeugung vor der Geschichte schwarzer Clubmusiken (und ziemlich viel trashigem Eurodance der 1990er-Jahre), so sollte nun also die, freundlich gesagt, konservativen weißen US-Südstaaten-Kreisen und diversen hiesigen "Cowboy-und-Indianer"-Klubs zugeordnete Countrymusik im Zentrum der zart didaktisch gedachten Nachhilfereihe stehen. Als gebürtige Texanerin sieht man Beyoncé schon seit dem Beginn ihrer Karriere immer wieder in durchgestylten Country-'n'-Western-Outfits oder als Besucherin von Rodeos. Ihre Modemarke Ivy Park präsentierte bereits 2021 eine eigene "Rodeo"-Kollektion.

BeyoncéVEVO

Die Mär von der originär "weiß" gelesenen Countrymusik ist natürlich falsch. Sie verdankt sich zu einem Gutteil diversen europäischen Volksmusiken ebenso wie der Musik der nach Nordamerika verschleppten afrikanischen Sklaven und Wurzeln im Blues. So lässt sich das vor allem in der Country-Spielart Bluegrass dominierende Banjo, das im Song Texas Hold 'Em von der schwarzen Musikerin Rhiannon Giddens gespielt wird, auf westafrikanische Saiteninstrumente rückführen. Immerhin gingen unantastbare Country-Gründerväter wie Hank Williams bei Afroamerikanern wie Leadbelly und Songs wie Good Night Irene oder dem später von Nirvana bekannt gemachten Where Did You Sleep Last Night? (In the Pines) in die Schule.

Rassistische Trennung

Ganz abgesehen davon setzt sich ein wesentlicher Teil des Publikums, das in den USA Country hört, aus der schwarzen Bevölkerung zusammen. Allerdings erfolgte früh im 20. Jahrhundert mit dem Beginn der Tonträgerindustrie eine rassistische Trennung in einen weißen Countrymarkt und schwarze "Race Music". Stars wie die Soul-Sänger und -Sängerinnen Ray Charles, Solomon Burke oder Al Green und Tina Turner, die allesamt Country interpretierten, konnten daran ebenso wenig ändern wie die deklarierten afroamerikanischen Country-Acts Charley Pride oder Linda Martell.

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Die heute 82-jährige Linda Martell war Ende der 1960er-Jahre die erste schwarze Künstlerin, die im Heiligtum der Countrymusik, in der Grand Ole Opry in Nashville, Tennessee, auftreten durfte. Sie konnte sogar einige kleinere Charterfolge aufweisen. Sie wird von Beyoncé auf Cowboy Carter nun – ausgerechnet im derben Hip-Hop-Track Spaghettii – ebenso vor den Vorhang geholt wie auch die noch lebenden Säulenheiligen des Genres Dolly Parton und Willie Nelson kurze Wortbeiträge (und Willie einen Joint) liefern. Das doppelte ii in den Songtiteln (II Most Wanted, Levii's Jeans, Ameriican Requiem ...) verweist auf den zweiten Akt der Trilogie. Teil drei verhandelt hoffentlich nicht den afroamerikanischen Beitrag zur Hardcore-Punk- und Metalgeschichte. Doch, doch: Bad Brains, Living Colour, Death, 24-7 Spyz und so weiter.

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Bei 80 Minuten Spielzeit, die wohl hauptsächlich darauf beruhen, dass sich das eine Beyoncé schlicht und einfach leisten kann, müssen die Songergebnisse natürlich eine unterschiedliche Qualität aufweisen. Es handelt sich bei Cowboy Carter auch nicht um ein reines Country-Album. Neben einer Coverversion der Beatles-Komposition Blackbiird, das Paul McCartney 1968 auf dem White Album veröffentlichte und die brutale Rassentrennung im US-Süden verhandelt, ist auch Dolly Partons gute alte Jolene zu hören. Allerdings deutet Beyoncé das flehentliche Bitten einer Frau an eine Kontrahentin, ihr doch nicht den Mann wegzunehmen, 2024 sehr selbstbewusst um. Schluss mit traurig und verzweifelt.

Blutflecken auf dem Kostüm

Auch der Song Daughter, in dem am Lagerfeuer die akustischen Gitarren bizarrerweise durch eine Sopranstimme nicht aus der Grand Ole Opry, sondern aus der Staatsoper ergänzt werden, überzeugt. Es handelt sich um einen ziemlich blutigen Rachesong zum Thema häusliche Gewalt. Blutflecken auf dem Couture-Kostüm! Heimlich unter der Hand kann man erwähnen, dass Beyoncé eine tolle Sängerin abseits des üblichen R'n'B-Bling-Blings sein könnte. Riiverdance dürfte eine der ersten Kreuzungen aus Kuhbuben- und Housemusik sein, wobei der schwedische Eurotrash-Überhit Cotton Eye Joe von Rednex aus dem Jahr 1994 als Elefant im Raum steht.

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Beim Stück Ya Ya wird es schließlich ganz wild. Das Bassmotiv aus These Boots Are Made for Walking von Nancy Sinatra trifft auf die Good Vibrations der Beach Boys. Pompöser Sixties-Pop wird also ebenso abgedeckt wie mit Flamenco auf das hispanische Marktsegment Rücksicht genommen wird. Die Powerballade II Most Wanted ist im Duett mit Miley Cyrus für die jungen Hörerinnen gedacht. In der Midtempo-Glückseligkeit Levii's Jeans gurrt sich Beyoncé gemeinsam mit Weißbrot-Rapper Post Malone anzüglich durch eine heiße Sexting-Sache. Allerdings ist der Lausejunge nicht treu. Er wird auch Taylor Swift auf ihrem Album im April anbaggern. (Christian Schachinger, 29.3.2024)