Klaus Mühlbauer in seiner Werkstatt, mit einem unfertigen Strohhut auf dem Kopf
Für manche Hüte stirbt ein Teddybär, sagt Klaus Mühlbauer, der hier aber einen künftigen Strohhut trägt.
Foto: Regine Hendrich

In einem unscheinbaren Haus am Wiener Schwedenplatz taucht man in eine Welt von gestern ein. Ein paar Zimmer neben Klaus Mühlbauers Büro sind die Werkstatträume untergebracht und Lagerräume fürs Material und Stoffe. Die Hüte, Kappen und andere Kopfbedeckungen werden hier per Hand gemacht, "so wie vor hundert Jahren", erklärt der Chef.

STANDARD: Welchen Hut würden Sie nie aufsetzen?

Mühlbauer: Hüte von den Mitbewerbern, jedenfalls nicht auf Dauer. Das wäre etwas schwierig in meiner Situation.

STANDARD: Haben Sie immer etwas auf?

Mühlbauer: Viel öfter als andere Menschen, aber nicht immer. Ich versuche, das so unverkrampft zu halten, wie wir es auch von unseren Kunden erwarten. Hut trägt man ohne Zwang, also versuchen wir, unser Produkt so attraktiv wie möglich zu machen, damit man Lust drauf hat.

STANDARD: Sie führen das Unternehmen seit 2001, in vierter Generation, haben Hutmacherei gelernt und Betriebswirtschaft studiert. War es für Sie immer klar, dass Sie ins Geschäft einsteigen?

Mühlbauer: Hätte es diese Möglichkeit in der Familie nicht gegeben, wäre ich wahrscheinlich nicht Hutmacher geworden. Aber wohl in die Modebranche gegangen, weil ich immer sehr modeaffin war. 2000, als ich schon am Sprung zu einem Job in der Modeindustrie in Düsseldorf war, habe ich mich entschieden, doch zu bleiben. Damals hat unser Vater meine Schwester, meine zwei Brüder und mich gefragt, ob jemand übernehmen will, die anderen drei haben abgewunken. Meine Schwester war dann aber bis 2010 dabei.

STANDARD: Sie machen die Hüte hier in Ihrer Werkstätte am Schwedenplatz in der Wiener Innenstadt. Bei der Erzeugung hat sich seit den Zeiten Ihrer Urgroßmutter Julianna nicht viel verändert, oder?

Mühlbauer: Unser Handwerk funktioniert wirklich gleich wie vor hundert Jahren, alles Handarbeit. Das geschieht nicht aus Jux und Tollerei, sondern das schafft schöne Oberflächen, tolle Qualität, tolles Charisma. Aber natürlich hat es wirtschaftlich gesehen auch mit Craziness zu tun: Als ich begonnen habe, haben mich die Leute gefragt, ob ich spinne, dass ich hier die Hutproduktion wiederaufnehme.

STANDARD: Heute haben Sie rund 20 Mitarbeiter. Finden Sie genug Hutmacher und Modistinnen?

Mühlbauer: Ja, überhaupt kein Problem. Wohl auch weil wir einer der ganz wenigen verbliebenen Hutmacher europaweit sind. Wir haben so viele Initiativbewerbungen, dass wir oft gar nicht inserieren müssen, wenn wir jemanden brauchen. Wobei wir auch gelernte Schneiderinnen beschäftigen, die wir aufs Modistengewerbe anlernen. Was bei uns wirklich speziell ist: Bei uns ist alles rund, es gibt keine gerade Naht. Weil der Kopf halt rund ist.

Ein Hut mit einer Plakette und Unterschrift von jenem, der den Hut erzeugt hat
Hüte mit Signatur: Auf Plaketten unterschreiben die Hutmacherinnen und Hutmacher.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Bei Ihnen trägt jeder Hut eine Unterschrift?

Mühlbauer: Ja, die Hutmacherinnen unterschreiben eine Plakette, auf der steht, von wem der Hut handgefertigt wurde. Das setzen wir der Fastfashion entgegen.

STANDARD: In Wien gibt es noch einen zweiten größeren Hutmacher, Frech in Simmering. Wer sind denn Ihre größten Konkurrenten?

Mühlbauer: Alle, die Kopfbedeckungen anbieten. Also auch die großen Ketten.

STANDARD: Ihre größte Herausforderung derzeit?

Mühlbauer: Die Wirtschaftslage, es sind extrem herausfordernde, harte Zeiten. Und da hängt viel an Herrn Putin, der uns schon 2014 mit seinem Einmarsch auf der Krim kräftig reingepfiffen hat. Damals haben wir auf einen Schlag alle russischen Kunden verloren, die wir beliefert haben. Bis dahin hat unser internationales Geschäft für 50 bis 60 Prozent unseres Umsatzes gesorgt, jetzt sind es 30 bis 35 Prozent. Gas-, Energiekrise und Inflation haben auch bei uns für unglaubliche Verwerfungen gesorgt. Nachdem wir schon in der Pandemie Umsätze verloren haben, die nicht mehr zurückgekommen sind.

STANDARD: Ihr größter Exportmarkt ist Japan. Warum steht man dort auf Hüte aus Wien?

Mühlbauer: Auch in Japan haben wir vor zehn Jahren mehr als das Doppelte des heutigen Geschäfts gemacht. Alle, die in der Modebranche etwas Schönes erzeugen, verkaufen am meisten nach Japan, das ist schon lange so. Japaner haben eine hohe Kaufkraft, sind extrem design- und modeaffin und kennen sich gut aus. Sie sehen, wenn etwas gut und schön ist. Ich war 2003 das erste Mal in Japan und wurde dort behandelt wie ein kleiner Popstar.

Hüte und Geräte für die Hutmacherei, im Vordergrund eine Dampfglocke
In der Dampfglocke wird der Filzstumpen erhitzt und weichgemacht, damit man das Material gut weiterverarbeiten kann.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Ihre Urgroßmutter und Ihr Großvater erzeugten Hüte, Ihre Eltern sattelten auf Mode um, Sie wieder auf Hüte. Warum der Schwenk?

Mühlbauer: Meine Eltern haben das Ende des Hutes erlebt und auf den Textilhandel gesetzt, bis sie von den großen Ketten zerrieben wurden. Ich habe wieder auf den Hut gesetzt, denn da haben wir auf dem internationalen Markt eine Chance. Es gibt weltweit nur 30 bis 40 Huterzeuger, die noch so arbeiten wie wir.

STANDARD: Gegen so große Unternehmen wie Borsalino oder Stetson haben Sie eine Chance?

Mühlbauer: Borsalino hatte große wirtschaftliche Probleme, wurde von einem Schweizer Investor übernommen und gehört nicht mehr der Familie. Was bei Mühlbauer noch der Fall ist.

STANDARD: Sie machen zwei Kollektionen im Jahr, aufwendige Kataloge. Haben Sie genug Budget fürs Marketing und für Investitionen?

Mühlbauer: Nein. 2022 war ein exzellentes Jahr, 2023 eine sehr düstere Geschichte: Der Ukrainekrieg hört nicht auf, die Stimmung ist schlecht. Wollte ich investieren, müsste ich mir einen Kredit holen, unsere Puffer sind weg. Jetzt hoffe ich auf einen Aufschwung und auf bessere Stimmung. Und dass Putin zurückgedrängt wird.

STANDARD: Sie verkaufen 20.000 Hüte im Jahr. Auch Brad Pitt, Yoko Ono und Madonna tragen Mühlbauer?

Mühlbauer: Brad Pitt ist ein richtiger Stammkunde, wir sind regelmäßig mit seiner Stylistin in Kontakt. Bei uns war er leider noch nicht.

STANDARD: Was trägt er?

Mühlbauer: Das Letzte war eine weiße Fellmütze. Er ist auch nicht fad, bestellt gleich 20 bis 30 Hüte und verteilt sie im Freundeskreis.

STANDARD: Er kann sich's leisten. Ein Hut kostet bei Ihnen im Schnitt 200 bis 500 Euro.

Mühlbauer: Unser Kapperl bekommt man schon um 75 Euro. Die teuersten Hüte, ein Biberfilzhut oder elegante, extra gefertigte Anlasshüte, kosten 800 bis 900 Euro. Daran arbeiten wir aber auch sieben, acht Stunden, bei einem einfachen Hut sind es 50 bis 55 Minuten.

Eine Reihe mit Hüten, im Hintergrund ist Zubehör zu sehen
Ungefähr 20.000 Hüte werden im Jahr verkauft – viele davon in Japan.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Sie verarbeiten ganz unterschiedliche Materialien: vom Filz aus Biberfell über Stroh und Agavefasern bis hin zu mit Tee gefärbter Jute. Baden Sie da die Jutehüte in Schwarztee?

Mühlbauer: Wir erhitzen Wasser im Kessel, geben Teebeutel rein, English Breakfast, und werfen das Strohgeflecht rein. Das ergibt einen weichen Weißton, der gut zum Gesicht passt. So was macht Spaß. Gutes Material ist uns ein großes Anliegen: Wir wissen, woher unser Material kommt, wer es produziert, und Pelz gibt es bei uns nicht.

STANDARD: Kein Tier muss für Ihre Hüte sterben?

Mühlbauer: Doch, es stirbt schon, etwa für einen Lammfellhut. Aber es stirbt nicht wegen uns, sondern weil es gegessen wird. Da wird dann auch die Haut verarbeitet, ein Teil davon kommt in die Kleidungsindustrie. Immer öfter verwenden wir natürliche Webfelle, dafür haben wir zehn Jahre lang viel Materialrecherche angestellt. Gefunden haben wir etwa dieses gelockte Fell (zeigt eine Mütze): Stoffe, die von Steiff-Teddybären erzeugt werden, dem deutschen Hersteller von Plüschtieren. Der Stoff ist aus 100 Prozent Mohair, da stirbt kein Tier ...

STANDARD: ... nur ein Teddybär.

Mühlbauer: Genau, für diesen Hut stirbt nur ein Teddybär.

STANDARD: Ihr teuerstes Material ist Filz. Warum kostet der so viel?

Mühlbauer: Filze sind in den vergangenen zwei Jahren extrem teuer geworden. Ob aus Wolle, Hasen- oder Biberhaar: Alle Preise sind gestiegen, aber vor allem die für Hasen- und Biberhaar. Von unserem tschechischen Erzeuger, von dem schon mein Großvater den Filz bezogen hat, können wir nicht mehr kaufen, weil er so teuer geworden ist. Deswegen sagen wir: Filz ist der neue Pelz. Heute ist eine Lammfellmütze billiger als ein guter Filzhut.

Eine Hutmacherin, die eine Borte auf einen Hut näht.
Im Schnitt brauchen die Hutmacherinnen 50 bis 55 Minuten für einen Hut, bei maßgefertigten Kopfbedeckungen für besonderes Anlässe können es auch acht Stunden werden.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Was war der auffälligste Hut, den Sie je gemacht haben?

Mühlbauer: In unserer nächsten Kollektion haben wir Hüte, die mit handgehäkeltem Glitzergarn überzogen sind: recht speziell.

STANDARD: Sie häkeln hier auch?

Mühlbauer: Handgestricktes und Handgehäkeltes erzeugen wir in Sarajevo. Dort haben wir vor 15 Jahren ein Strickerinnen-Netzwerk aufgebaut, aus einer NGO, die Kriegswitwen Arbeit gegeben hatte. Das ist eine super Produktionsstätte für uns geworden.

STANDARD: Können Sie häkeln?

Mühlbauer: Nein, aber ich kenne mich ganz gut aus. Ich kann Hüte machen und designe sie auch selbst, mit zwei Kolleginnen. Das macht mir Spaß, deswegen mache ich das hier alles, sonst hätte ich schon den Hut draufgehaut. (lacht) Wir haben auch sehr viele Kooperationen mit anderen Designern und arbeiten für Theater, Film, Museen: Fürs Freud-Museum haben wir gerade ein Freud-Hut-Remake gemacht, das wird im Museumsshop verkauft.

Der britische Premier Winston Churchill mit Hut und Zigarre in seinem Garten sitzend
Der britische Premier Winston Churchill, hier auf seinem Anwesen in Chartwell, trug Borsalino. Zu seiner Zeit (er starb 1965) erzeugte man bei Mühlbauer noch keine Herrenhüte.
Foto: IMAGO/Pond5 Images

STANDARD: Churchill und Roosevelt trugen Borsalino. Welche Politiker kaufen bei Ihnen?

Mühlbauer: Van der Bellen dürfte etwas von uns haben, und seine Frau Doris Schmidauer war zweimal da. Einmal hat sie einen Trauerhut fürs Begräbnis der Queen gekauft und ein halbes Jahr später einen Krönungshut für Charles’ Krönung. Sie sah sehr würdig aus. (zeigt ein Foto)

STANDARD: Was machen Sie von 18. bis 22. Juni?

Mühlbauer: Ist da irgendwas?

STANDARD: Ascot.

Mühlbauer: Gut, dass Sie das fragen. Das ist von der Idee her so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir hier machen. Es ist zwar auch ein Hutfestival, aber es geht um ein royales Event, für das sich alle auf schrägste und verrückteste Art herausputzen. Uns interessiert aber der modische Alltag, dafür machen wir unsere Hüte. Wir produzieren zwar auch festliche Outfits, aber Bananenstauden am Hut sind nicht unseres. Das ist Kostümierung, wir machen Mode. (Renate Graber, 31.3.2024)