Ein Schritt vom Wiener Naschmarkt ins Geschäft der Ed. Witte Handels GmbH, und schon ist man Donald Trump, Wednesday Addams, Arzt oder Prinzessin. Hier und in den Kellern unten lagern tausend Kostüme, hunderte Scherzartikel, Feuerwerk und allerlei Partyzubehör. Und Günther Haas ist mittendrin.

Günther Haas in seinem Geschäft, er hält Dinosaurier-, Hasen- und Schweinemasken in den Händen.
Seit einem Jahr verkauft Günther Haas Faschingskostüme, Masken und Partyzubehör, zu Halloween auch literweise Kunstblut. Im Hauptberuf ist er Geschäftsführer der niederösterreichischen Kinderfreunde.
Regine Hendrich

STANDARD: Wie begrüße ich Sie richtig? Mit Lei Lei?

Haas: Es gibt verschiedene Narrensprüche, das deutsche Helau zum Beispiel. Die Faschingsgilde in Döbling sagt Dö-Dö-Bling-Bling, die in Meidling Mei-Mei.

STANDARD: Sind Sie da Mitglied? Sie wohnen ja in Meidling und verkaufen Faschingskostüme, Scherzartikel, Partyzubehör und Feuerwerke.

Haas: Nein, ich bin in keiner Faschingsgilde. Ich bin Quereinsteiger.

STANDARD: Im Hauptberuf sind Sie Geschäftsführer der niederösterreichischen Kinderfreunde. Da haben Sie die Vorbesitzerin von Ed. Witte kennengelernt – warum haben Sie das Geschäft, das es seit 161 Jahren gibt und das in Wien jeder kennt, 2023 übernommen?

Haas: Die Vorbesitzerin, Susanne Schmid, hat schon länger einen Nachfolger gesucht, und es wäre einfach schade gewesen, nicht zu versuchen, es weiterleben zu lassen. Ich wollte etwas Neues ausprobieren.

STANDARD: Das erste Jahr ist gut gelaufen?

Haas: Ja, ich bin sehr zufrieden. Aber es war schon sehr herausfordernd, weil ich weder vom Einkauf noch vom Verkauf wirklich Ahnung hatte. War sehr turbulent.

STANDARD: Was hat Sie am meisten gefordert?

Haas: Das Finanzielle: Wir brauchen viel Ware, denn die Kunden erwarten auch bei sehr niedrigpreisigen Artikeln eine große Auswahl. Es reicht nicht, wie in einer netten Boutique drei T-Shirts in vier Farben zu haben. Wir müssen die richtigen Waren in der richtigen Menge kaufen und die richtigen neuen Akzente setzen. Voriges Jahr hatten wir hin und wieder zu wenig – aber daraus lernt man.

STANDARD: Im Firmenbuch steht bei Ihren Produkten neben Christbaumschmuck und Lametta auch Glaswolle. Was sucht die bei Ihnen?

Haas: Engelshaar für den Christbaum.

STANDARD: Verkaufen Sie das heute noch?

Haas: Ja, wir bieten auch noch ein wenig Christbaumschmuck an.

STANDARD: Ihre Schwerpunkte aber sind Fasching, Pride Parade, Halloween und Silvester. Womit machen Sie am meisten Umsatz?

Haas: Das ist recht ausgeglichen. Das Geschäft verteilt sich nur anders: Das Faschingsgeschäft läuft über Wochen, die Pride und Halloween konzentrieren sich auf ein paar wenige Tage. Zu Halloween ist die Bude wirklich voll, man kauft Schminke, Masken, Accessoires. Da stehen die Leute Schlange vor der Tür, weil wir nicht alle gleichzeitig ins Geschäft lassen, weil sie sich sonst hier nicht umschauen könnten.

STANDARD: Die warten geduldig?

Haas: Ja, das ist der Vorteil an unserem Geschäft: Wer bei uns einkauft, braucht nichts. Kein Mensch braucht diese Dinge, die wir haben. Die Leute wollen sie gern, sie wollen Spaß haben, Party machen. Sie sind geduldig, auch wenn sie zehn Minuten an der Kasse warten müssen. Wir haben die idealen Kunden, ein Luxus. Wenn sie Kostüme suchen, sind sie bis zu eineinhalb Stunden im Geschäft, probieren das eine und das andere. Das ist unser Vorteil, das geht hier.

Rosa Hüte in allen Schattierungen und Formen in einem Verkaufsregal
Auch abseits von Hüten ist Rosa heuer die Faschingsfarbe schlechthin: Barbie!
Regine Hendrich

STANDARD: Die Kostüme, die Sie verkaufen, sind nicht sehr teuer.

Haas: Ja, denn die meisten Kunden ziehen das ein- oder zweimal in ihrem Leben an, dafür gibt man nicht viel Geld aus. Unser teuerstes Kostüm? Die Nikoläuse, das volle Outfit kostet um die 140 Euro. Ein Kinderkostüm um die 20 Euro.

STANDARD: Es gibt in Wien zehn Geschäfte Ihrer Art, Ihre größte Konkurrenz sind aber die Diskonter, oder?

Haas: Nein, das Internet, Amazon und Co. Mit den anderen Einzelhändlern arbeiten wir zusammen, schauen, dass wir eine unterschiedliche Produktpalette haben, weil es überhaupt nichts bringt, wenn wir uns bekriegen.

STANDARD: Was war denn der ausgefallenste Kundenwunsch im ersten Jahr?

Haas: Letztens wollte ein Herr als Kartoffel gehen. Wir konnten nur einen Nikolaussack als Kartoffelsack zum Selbst-Umnähen anbieten. Und zu Halloween wollte ein junges Paar als Autounfall gehen, makaber. Sie verkleidete sich dann als Reh, und er bekam ein Lenkrad in die Hand.

STANDARD: Pfff. Zu Halloween verkaufen Sie auch literweise Kunstblut?

Haas: Blut in rauen Mengen, Gebisse, Wunden.

STANDARD: Verkleiden Sie sich gern?

Haas: Ja, aber zu Halloween bin ich am Abend tot und leg mich nieder.

STANDARD: Wie viel setzen Sie zu Halloween um?

Haas: Bis zu 10.000 Euro an einem Tag. Wir haben aber auch wirklich schlechte Tage, vor allem im Sommer. Da sind es manchmal auch nur 300 Euro Tagesumsatz. Genau das wollen wir ändern und schauen, dass wir künftig auch im Sommer besser sind, mit Zubehör für Motto- oder Junggesellinnen-Partys.

STANDARD: Und was lassen die Kunden für Feuerwerke für die Silvesterparty so springen?

Haas: Das beginnt bei 50 Euro, aber unlängst hat eine Kundin innerhalb von 20 Minuten 700 Euro für ihr Silvesterfeuerwerk ausgegeben. Das war beeindruckend, aber mir wäre es das nicht wert.

Witte-Chef Günther Haas in Verkleidung, mit Maske in der Hand
"Natürlich ist kulturelle Aneignung ein Thema bei uns. Aber wir bieten die Kostüme an, die es gibt – entscheiden müssen die Konsumenten", sagt Haas.
Regine Hendrich

STANDARD: Ihr Werbemotto ist "Sei, wer du sein möchtest". Wie gehen Sie mit dem Thema kulturelle Aneignung um? Verkaufen Sie noch Indianerkostüme?

Haas: Natürlich ist das ein Thema bei uns. Aber wir bieten die Kostüme an, die es gibt – entscheiden müssen die Konsumentinnen und Konsumenten. Wenn die Indianerin, der Indianer im Regal bleibt, wird es diese Kostüme irgendwann nicht mehr geben. Ich tue mir mit dieser Diskussion sehr schwer, weil fast alles, mit dem man sich verkleidet, jemand anderem etwas wegnimmt. Wenn man sich eine Trump-Perücke aufsetzt, ist der vielleicht auch beleidigt. Ich habe für mich noch keine Lösung gefunden, aber sicher geht es darum, dass man sich nicht über jemand anderen lustig macht, sondern für sich selbst den Spaß hat, in eine andere Rolle zu schlüpfen.

STANDARD: Apropos: Wer verkleidet sich als Zahnarzt?

Haas: Viele, zu Halloween, da soll es gruselig sein (lacht). Ärzte und Mönche sind zu Halloween das Thema.

STANDARD: Firmengründer Eduard Witte war der größte Versandhändler der Monarchie. Sie haben seit einem Jahr einen Webshop, bringt er viel Umsatz?

Haas: Nein. Aber unser Online-Auftritt mit 2000 Produkten ist wichtig, denn oft kommen die Leute mit Handy in der Hand ins Geschäft und sagen schon, was sie wollen.

Alte Illustrierte, mit Werbung für Produkte von Eduard Witte
Der aus Deutschland stammende Unternehmensgründer Eduard Witte gab eine Illustrierte heraus, in der er seine Produkte in der ganzen Monarchie bewarb.
Regine Hendrich

STANDARD: Den Zauberer, der früher hier aufgetreten ist, gibt es nicht mehr?

Haas: Nein, Zaubern ist nicht mehr so gefragt. Wobei wir unlängst einen Zauberworkshop veranstaltet haben, und der war mit rund 20 Leuten gut besucht.

STANDARD: Ich würde schon gern zaubern können, manchmal.

Haas: Die Kunststücke, die wir alle können wollen, werden da leider nicht angeboten.

STANDARD: Feiern Sie selbst viele rauschende Faschingsfeste?

Haas: Ja, bei den Kinderfreunden. Mein achtjähriger Sohn ist liebend gern im Geschäft, aber hasst es, sich zu verkleiden. Da unterscheiden wir uns. Aber es kommen viele zu uns, die sagen: "Ich möchte mich nicht verkleiden, aber ich muss. Was können Sie mir anbieten?" Ihnen verkaufen wir dann eben kleine Accessoires wie Hüte oder Haarreifen. Aber es kommt auch vor, dass sich wer gar nicht verkleiden will – und dann geht er als Zirkusdirektor raus.

STANDARD: Sie verkaufen auch an die 200 Scherzartikel. Gibt es Juck- und Niespulver noch, oder ist das schon verboten?

Haas: Gibt es noch, ist nur schwer zu bekommen. Verboten ist alles, was mit Lebensmitteln zu tun hat, wie der Würfelzucker, aus dem Plastikfliegen oder -spinnen rauskamen.

STANDARD: Ein Gröscherlgeschäft, oder?

Haas: Das meiste hier ist Gröscherlgeschäft, wir leben von der Masse.

STANDARD: Weil Sie vorher bei Trump waren: Masken oder Perücken von österreichischen Politikern gibt es nicht, wär’ das nicht was?

Haas: Wir haben unzählige Perücken, aus denen man auch österreichische Politiker zusammenbasteln kann.

STANDARD: Könnten Sie auch einen Sebastian Kurz zusammenbasteln?

Haas: Einen Sebastian Kurz könnten wir zusammenbasteln, ich denke schon. (Renate Graber, 3.2.2024)