Frau vor einem Laptop mit vier Händen, jede Hand erledigt etwas anderes 
Ständig mehrere To-dos gleichzeitig auf dem Schirm zu haben macht das Gehirn auf Dauer nicht mit.
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Sie kennen das: Eigentlich hat man gerade etwas zu tun, aber dann ploppt plötzlich ein Gedanke auf. "Ach ja, genau, das wollte ich ja auch noch gleich machen." Und dann sitzen wir in Konferenzen, schreiben nebenher ein paar E-Mails, recherchieren Unterkünfte für den nächsten Urlaub und antworten auf Whatsapp noch rasch einer Bekannten.

"Super", denken Sie dann vielleicht. "Direkt so vieles auf einmal erledigt, toll!" Aber das Gefühl, besonders produktiv gewesen zu sein, täuscht Sie. Es wirkt womöglich so, als hätten Sie mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigt, aber tatsächlich wechselt die Aufmerksamkeit im Millisekundenbereich zwischen den Tätigkeiten hin und her.

Klar, es kommt ein bisschen darauf an, welche Aufgaben wir gleichzeitig erledigen. Wir können beispielsweise telefonieren und dabei spazieren gehen, weil wir uns auf das Gehen kaum konzentrieren müssen. "Aber je komplexer die Aufgaben sind, desto schwieriger wird es, nach einer Ablenkung wieder den Faden zu finden", erklärt Jana Stingl-Goldmann. Sie ist klinische Psychologin mit Schwerpunkt Burn-out-Prävention, Stressbewältigung und Erschöpfungszustände. "Multitasking an sich ist also ein Mythos. In Wirklichkeit machen wir dann mehrere Dinge stückchenweise und mit mehr Fehlern", stellt sie klar.

Gleichzeitig geht nicht

Rein neurobiologisch betrachtet gibt es also gar kein Multitasking, da sind sich Neurowissenschafterinnen und Arbeitspsychologen nach jahrelanger Forschung einig. Das Arbeitsgedächtnis hat schlicht nur Kapazität für eine komplexe Aufgabe auf einmal.

Und nein, das ist auch bei Frauen nicht anders, denen man ja gerne nachsagt, sie könnten besonders gut multitasken. Noch immer hält sich dieses Geschlechterklischee hartnäckig. Schließlich sind es die Frauen, die in Beziehungen und Familien den Großteil der mentalen Arbeit übernehmen und mehrere Dinge gleichzeitig auf dem Schirm haben, zeigen zahlreiche Studien zu ebendiesem Mental Load.

Üblicherweise denken immer noch vorwiegend Frauen daran, Arzttermine zu vereinbaren, Urlaubsunterkünfte rechtzeitig zu buchen, Reservierungen zu tätigen, Geschenke für gemeinsame Bekannte zu besorgen und und und. Aber das Thema Dauerbelastung durch vermeintliches Multitasken betrifft genauso auch Männer, nur der Kontext ist ein anderer, berichtet Stingl-Goldmann aus der Praxis. Manche jonglieren im Job mehrere Themen gleichzeitig, andere sind vor allem auf privater Ebene ausgelaugt.

Multitasking macht traurig

Das ist auch keine Frage der Intelligenz, wie eine Studie zeigt, im Rahmen derer die Multitasking-Fähigkeiten von Harvard-Studierenden getestet wurden. Selbst unter den hochbegabten Probandinnen und Probanden waren die Ergebnisse schlecht. Bei jenen, die während der Untersuchung immer wieder unterbrochen wurden, fiel die Gedächtnisleistung deutlich ab.

Die Folge: Durch die verminderte Aufmerksamkeit steigt die Fehlerquote, wir arbeiten ungenauer. Außerdem wird das Gehirn und damit auch die Psyche auf Dauer überfordert. "Die täglichen, vermeintlichen Kleinigkeiten auf unserer To-do-Liste sind in Summe eine wahnsinnige Belastung", stellt Stingl-Goldmann klar. Vor allem auf Dauer macht das menschliche Gehirn das nicht mit.

Kein Wunder also, dass Multitasking auch auf die Stimmung schlägt, das zeigen die Ergebnisse einer Studie von Forscherinnen und Forschern der University of Houston deutlich. Dabei hat eine Gruppe eine Reihe E-Mails am Stück konzentriert abgearbeitet, die andere Gruppe wurde immer wieder unterbrochen. Jene Teilnehmenden aus der zweiten Gruppe waren am Ende deutlich gestresster, trauriger und ängstlicher.

Alarmzeichen ernst nehmen

Eine Zeitlang geht es vielleicht gut, wenn wir im Gehirn gefühlt hunderte Tabs gleichzeitig geöffnet haben. "Aber langfristig reagieren der Körper und die Psyche", warnt Stingl-Goldmann. Die ersten Anzeichen sind Gefühle der Überforderung, man schläft schlechter und ist lustloser. "Viele ziehen sich auch sozial zurück und können schöne Erlebnisse nicht mehr so gut genießen. Oft wird das dann als anstrengende Phase abgetan, aber das sollte man ernst nehmen", sagt die klinische Psychologin. Häufig kommt es durch die Dauerbelastung auch zu familiären Problemen. "Wer ausgelaugt ist, hat emotional weniger Kapazitäten und ist leichter reizbar. Oft bringen einen dann schon Kleinigkeiten in Rage, dadurch kommt es schneller zu Streitigkeiten", beschreibt Stingl-Goldmann.

Oft neigen Betroffene in einem ersten Schritt dazu, Strategien zu suchen, die die Situation kurzfristig entschleunigen – ein Glas Wein am Abend, eine Zigarette in der Pause, eine Tafel Schokolade als Belohnung. "Kurzfristig hat das einen entlastenden Effekt, das stimmt. Wir machen ja grundsätzlich nicht absichtlich etwas, das uns schadet, aber es hat eben nur einen kurzfristigen Effekt", sagt Stingl-Goldmann. Wenn diese Coping-Mechanismen allerdings überhandnehmen, dann werden sie zum Problem.

Auf Dauer kann sich die ständige Überbelastung in Depressionen oder Angstzuständen manifestieren. Steuert man nicht gegen, kann es beispielsweise zu Panikattacken oder einem Burn-out kommen. Oft suchen Betroffene erst dann Hilfe, wenn der Leidensdruck schon besonders hoch ist. Häufig sind gravierende Alarmzeichen wie eine Panikattacke der Anlass, warum Menschen zu Stingl-Goldmann in die Praxis kommen, berichtet sie: "Es geht im ersten Schritt dann oft einmal darum, akut die Panikattacken in den Griff zu bekommen und den Menschen Sicherheit zurückzugeben. Aber in weiterer Folge ist es natürlich wichtig, sich mit der Ursache zu befassen, wie es überhaupt dazu gekommen ist." Vielen sei nämlich gar nicht bewusst, dass die ständige Überlastung dazu geführt habe.

To-do: Erholung!

So weit sollte es im Idealfall aber natürlich gar nicht kommen – "und nicht jede und jeder braucht bei einer Überforderung professionelle Hilfe", stellt Stingl-Goldmann klar. Am Ende gehe es darum, Strategien zu entwickeln, um belastende Phasen gut zu bewältigen. Was einem dabei hilft, ist individuell. Das kann Sport genauso sein wie Achtsamkeitspraktiken. "Dem einen helfen Entspannungsübungen, die anderen würden aus der Praxis rennen, wenn ich das nur vorschlagen würde", berichtet die klinische Psychologin schmunzelnd. Kurzum, es gibt nicht das eine Ding, das allen hilft. Das Entscheidende ist, herauszufinden, was einem selbst hilft. "Und der Psychologe oder die Psychologin kann dabei helfen, dieses mentale Werkzeug zu erarbeiten", sagt sie.

Dieses mentale Werkzeug muss dabei immer und immer wieder zum Einsatz kommen, es sollte zum täglichen Begleiter werden. Denn viele versuchen die Entspannung immer weiter hinauszuschieben. Man kennt das: Nur noch diese und nächste Woche ist es stressig, dann wird es wieder entspannter, denkt man dann. Oder: Jetzt noch durchbeißen und bald steht dann eh eine Woche Urlaub an.

Aber ein Urlaub hier oder ein freier Tag da können eine ständige Alltagsbelastung nicht ausgleichen, sagt Stingl-Goldmann: "Erholung hinauszuschieben ist extrem problematisch." Umso wichtiger sei es, den Betroffenen zu vermitteln, dass sie sich Zeit für sich nehmen müssen. Und zwar jetzt, nicht erst irgendwann später. Das kann durchaus zur Herausforderung werden, berichtet sie: "Die sehen das als eine zusätzliche Sache, die erledigt gehört. Die haben hundert Dinge auf der To-do-Liste, dann suchen sie bei einer Psychologin Hilfe, und die sagt ihnen dann, dass es eigentlich hundertundein Dinge sind, denn die Erholung gehört auch noch erledigt."

Struktur schaffen

Es sei deshalb wichtig, mit ganz kleinen Dingen wieder mehr Struktur und Erholung zu schaffen. Da könne es schon helfen, die vielen To-dos erst einmal nur aufzuschreiben, rät Stingl-Goldmann. Denn wenn wir die To-dos nur im Arbeitsgedächtnis aufbewahren und dort speichern, statt sie zu Papier zu bringen, melden sie sich immer und immer wieder. "Es ist wie eine Snooze-Funktion vom Wecker, alle paar Minuten poppt etwas auf, und man denkt: ‚Ah ja, das wollte ich ja auch noch machen!‘ Das reißt uns ständig aus dem gedanklichen Prozess, auf den wir eigentlich gerade fokussiert waren, raus", erklärt sie. Durch das Aufschreiben schaltet man quasi die Snooze-Funktion des Gehirns ab. Die To-dos sind dann nicht weg, aber man kann sich später darum kümmern.

Stingl-Goldmann rät außerdem zu einem Vier-Felder-Schema, um die Aufgaben zu priorisieren. "Man teilt ein Blatt Papier in vier Felder ein. Die beiden Spalten stehen für die Kategorien 'dringend' und 'nicht dringend', die Zeilen, also die unteren zwei Felder, für 'wichtig' und 'nicht wichtig'", erklärt sie. Dann kann man die Aufgaben in eines der vier Felder einordnen. Was ist wirklich wichtig und dringend? Und was vielleicht dringend, aber am Ende gar nicht so wichtig? Allermeistens seien nämlich nicht alle Dinge wirklich dringend und wichtig – auch wenn es sich manchmal so anfühlen mag. (Magdalena Pötsch, 2.4.2024)