Ekrem İmamoğlu, der Sieger von Istanbul, ist spätestens seit Montagmorgen der kommende Mann der Türkei. Der erst 53-jährige Oberbürgermeister der mit Abstand größten Metropole des Landes, hat sich durch seine überzeugende Wiederwahl endgültig in die erste Reihe der türkischen Politik etabliert. Da in der zentralistischen Türkei keine Bundesländer existieren, sind die Oberbürgermeister der größten Metropolen so etwas wie die Landesfürsten in Österreich und İmamoğlu ist nun der Mächtigste unter ihnen.

Ekrem İmamoğlu durfte sich Sonntagabend über einen womöglich historischen Sieg freuen.
EPA/ERDEM SAHIN

Bevor er vor fünf Jahren erstmals als Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters für Istanbul antrat, war er politisch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Er war Bezirksbürgermeister von Beylikdüzü, einem unbedeutenden Vorort im Westen der Metropole und selbst in seiner Partei, der sozialdemokratischen CHP, noch weitgehend unbekannt. Die damalige Istanbuler Parteivorsitzende Canan Kaftancıoğlu schlug ihn als Kandidaten vor, weil er als praktizierender Muslim der dennoch für die Werte der säkularen Republik eintrat, für die Mitte der Gesellschaft wählbar schien.

Menschenfänger von Istanbul

İmamoğlu schaffte das schier unglaubliche und konnte der AKP trotz eines direkten Eingreifens von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, der mit juristischen Wineklzügen eine Wiederholungswahl erzwang, die wichtigste Stadt der Türkei abnehmen.

İmamoğlu, der mit der Wissenschaftlerin Dilek İmamoğlu verheiratet ist und mit ihr drei Kinder hat, erwies sich in den Kämpfen im Frühjahr 2019 als begnadeter Wahlkämpfer, furchtloser Politiker und Menschenfänger. Auch nachdem Erdogan zähneknirschend den Wahlsieg İmamoğlus akzeptieren musste, setzte er seine Kampagne gegen den neuen Bürgermeister fort. Er sperrte Istanbul das Geld aus dem Staatshaushalt, stoppte Investitionen und sorgte dafür, dass die AKP-Fraktion im Stadtparlament, die immer noch eine Mehrheit hatte, dem Oberbürgermeister viele Knüppel zwischen die Beine warf. Außerdem wurde İmamoğlu von Ankara aus ein offensichtlich politisch motiviertes Strafverfahren angehängt, in dem in erster Instanz verurteilt wurde.

Kandidat für 2028

Doch İmamoğlu wehrte das alles ab und konnte nun gestern die Früchte seiner erfolgreichen Arbeit einfahren. Sein Wahlsieg ist so hoch, dass es keine Zweifel mehr geben konnte und auch im Stadtrat hat die CHP jetzt die Mehrheit. İmamoğlu ist damit zum wichtigsten Herausforderer Erdogans geworden. Bei den Präsidentschaftswahlen im Mai letzten Jahres verwehrte der damalige CHP Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu dem Istanbuler Oberbürgermeister es noch, gegen Erdoğan anzutreten. In vier Jahren, bei den Präsidentschaftswahlen 2028 wird İmamoğlu die Opposition aber wohl gegen ihn vertreten. Wenn der alternde Patriarch Erdoğan dann überhaupt noch mal antritt. (Jürgen Gottschlich, 1.4.2024)