Vista Mare
Das Filmteam nimmt sich in "Vista Mare" zurück und hält die Gespräche der Arbeitenden fest.
© Viennale

Eiskaltes Granita schlürfen und fette Pizza samt malerischem Meeresblick genießen oder doch eher einen Swimmingpool putzen und endlos Bettdecken aufschütteln? Damit die einen Urlaub machen können, müssen die anderen arbeiten. Dies veranschaulicht die österreichisch-italienische Dokumentation Vista Mare von Julia Gutweniger und Florian Kofler eindringlich. Das Südtiroler Filmgespann richtet einen glasklaren Blick hinter die Kulissen des Massentourismus in begehrten Ferienparadiesen zwischen Rimini und Jesolo.

Der Zugang ist gewissermaßen diskret: Das Duo verzichtet auf eine kommentierende Stimme und vorschnelle Schnitte. Aus der Beobachterrolle folgen es etwa den Baggern und hält lange drauf, wenn diese frischen Sand zu den Stränden karren, bevor der sommerliche Spaß für die einen losgeht: Sobald sich die Autokolonnen im gleißenden Sonnenlicht über den Brenner geschoben haben, wird zu Aqua-Aerobic im Meer aufgerufen, die Greifautomaten erhalten plüschigen Zuwachs, und der Strandverkäufer verteilt erfrischende "Cocco Bello".

Kontrastmalerei

Werden die Palmen dann aber weggerollt, die Hüpfburgen der Luft beraubt und die Sonnenschirme mit dem Schlauch abgespritzt, wünschen die Arbeitenden zum Saisonende einander einen schönen Winter.

Zwischen Februar und September 2022 hoben Gutweniger und Kofler besonders sie, all jene also aufs Podest, die den Urlaubenden das Dolce Vita überhaupt erst ermöglichen. Sie zeigen die aufreibende Realität, von der die Cocktails schlürfende Mehrheit in den meisten Fällen dann doch nichts mitbekommt.

"Besser" als jede Medizin

Konsequente Diskretion verstärkt die Eindrücke: Das Filmteam bleibt schließlich die ganze Laufzeit über im Hintergrund, zeichnet die Gespräche zwischen den Angestellten auf, greift jedoch nicht in die Abläufe ein.

Deutliche Kritik am Massentourismus kommt dabei nicht zu kurz. So stehen die Proteste der Saisonarbeitenden, die für bessere Arbeitsbedingungen und faire Entlohnung auf die Straße gehen, im Kontrast zu den Animateurinnen und Animateuren, die ihre Tanzperformance zum Songtext "Das sind Oma Pinas Tagliatelle. Viel besser als jede Medizin" einstudieren.

Die Rückseite der Nostalgie

Man könnte das alles als langweilig bezeichnen, als Film ohne Handlung und Spannungsaufbau. Das wäre jedoch eine vorschnelle Abkanzelung einer gelungenen Dokumentation, die der rosaroten Adria-Nostalgie Realität entgegensetzt.(Patricia Kornfeld, 2.4.2024)