Regisseurin und Hauptdarstellerin Paola Cortellesi
Regisseurin und Hauptdarstellerin Paola Cortellesi.
IMAGO/Eventpress Fuhr

Das Jahr 1946 in Italien stand im Zeichen eines großen Worts: Freiheit. Der Zweite Weltkrieg war zu Ende gegangen, der Faschismus überwunden, die Nazis vertrieben. Das Leben konnte neu beginnen. Für eine Frau namens Delia stellt sich das mit der Freiheit aber ziemlich relativ dar. Sie lebt mit ihrem Mann Ivano und drei Kindern in einer Souterrainwohnung im schönen Rom.

Die Tage sind angefüllt mit Pflichten, und wenn abends der Mann nach Hause kommt, muss sie ihn bedienen. Und auch der pflegebedürftige Schwiegervater, der in einem eigenen Zimmer das Bett hütet, ruft ständig nach ihr. Die Familie schlägt sich so schlecht und recht durch, man ist nicht reich, aber anständig. Und als die älteste Tochter Marcella einen jungen Mann aus besseren Verhältnissen kennenlernt, gibt es zumindest eine positive Perspektive. Wäre da nicht das traditionelle Essen, bei dem sich die Familien treffen müssen, um die Verlobung förmlich in die Wege zu leiten. Diese Begegnung droht peinlich zu werden, zu groß sind die sozialen Unterschiede.

Ein Riesenerfolg

Delia ist die zentrale Figur in Morgen ist auch noch ein Tag (C’e ancora domani) von Paola Cortellesi. In Italien war der Film im Vorjahr ein Riesenerfolg, und man versteht auch sofort, warum: Politik aus der Perspektive von Frauen, das ist immer noch eine Marktlücke, und selten sieht man das Patriarchat und erste Schritte zur Befreiung daraus so prägnant in eine Erzählung übersetzt wie hier.

Für die Regisseurin ist es das Regiedebüt – "mit fast fünfzig Jahren", wie sie beim Gespräch im Berlin hervorhebt. Paola Cortellesi war aber schon davor keine Unbekannte. Sie ist in Italien – als Schauspielerin, als Moderatorin von Prime-Time-Fernsehshows – ein großer Star.

Nun aber hat sie etwas ganz Neues probiert, und sie spielt auch gleich noch die Hauptrolle – die einer konsequent unterdrückten Frau. "Ich wollte einen Film über Frauenrechte erzählen", legt Paola Cortellesi ihre Motivation dar, "und gehe dabei von toxischen Dynamiken in einer Paarbeziehung aus. Im Jahr 1946 durften Frauen in Italien zum ersten Mal wählen, das wird für Delia zu einem wichtigen Anstoß."

Der Neorealismus

Das Jahr 1946 war auch für das italienische Kino entscheidend. Damals begann die Bewegung des Neorealismus: Den Klassiker Paisà von Roberto Rossellini zitiert Cortellesi ausdrücklich, und auch die Figur von Delia hat viel mit Frauengestalten zu tun, wie sie von Anna Magnani während des Aufbruchs nach Krieg und Faschismus verkörpert wurden. Morgen ist auch noch ein Tag beschwört diese Zeit aber nicht nostalgisch herauf. Cortellesi hebt durchaus auf die Differenz zwischen damals und heute ab. "Mein Film ist Schwarz-Weiß, weil ich mir diese Zeit immer so vorgestellt habe. Wenn meine Großmütter mir etwas erzählt haben, war das für mich auch wie Kino."

Jon Spencer Blues Explosion am Anfang

Nicht zuletzt mit der Musik, die zum Teil deutlich später als 1946 entstand, sorgt Cortellesi aber auch für Distanz zu dem Ethos der Kargheit, das für den Neorealismus wichtig war. Delia wird mit einem Stück der Jon Spencer Blues Explosion eingeführt. Ausgerechnet eine Schlüsselszene, in der die Gewalt, die Ivano in die Familie bringt, eskaliert, ist beinahe wie eine Musicalnummer inszeniert.

"Alle Songs standen schon im Drehbuch, die Produktionsfirma hat sich gleich zu Beginn um die Rechte gekümmert, damit wir überhaupt weitermachen können", erzählt Paola Cortellesi. "Musik ist für mich oft die Grundlage von Szenen oder die einzige Möglichkeit, das auszudrücken, was ich erzählen möchte."

Schritte zur Befreiung

Der Film ist von der Frage bestimmt, wie lange Delia es in ihrer Rolle als unterdrückte Frau aushält. Oder umgekehrt: Wann wird sie Schritte zu ihrer Befreiung unternehmen, und wie könnten diese aussehen? Schließlich hat sie zwei kleine Buben, und die Tochter Marcella wird gerade erwachsen. Delia hat Verantwortung. Davon kann sie sich nicht so ohne weiteres lösen. Morgen ist auch noch ein Tag löst dieses dramaturgische Problem elegant. "Wir haben das Drehbuch vom Ende her geschrieben", so Cortellesi. Ohne zu viel zu verraten, kann man doch sagen, dass der Film auf eine politische Pointe setzt.

Unweigerlich drängen sich auch Fragen nach der italienischen Gegenwart auf. Kann das Kino vielleicht eine zerstrittene Nation wie die italienische ein wenig einen? "Das wäre mein Traum."

Paola Cortellesi setzt auf ein populäres Kino, wie es in Italien eine lange Tradition hat. "Immerhin haben beide Seiten des politischen Spektrums bekundet, dass ihnen der Film gefallen hat." Die neofaschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihre Gegnerin Elly Schlein von der Linken könnten zumindest bei diesem Thema etwas Gemeinsames erkennen, so Cortellesi. "Und es wäre schön, wenn wir die Menschen ermutigen könnten, ihre Würde wieder mehr wahrzunehmen. Wir sind alle Tropfen in einem Meer, also sollten wir zusammen das Meer bilden."

Sie empfiehlt Scola

Zum Ende des Gesprächs gibt es von Paola Cortellesi noch einen Filmtipp. Was könnten wir uns anschauen, wenn wir wissen wollen, was für sie das Beste am italienischen Kino ist? Sie empfiehlt C’eravamo tanto amati (Wir waren so verliebt) von Ettore Scola aus dem Jahr 1974. Humor mischt sich dort mit Drama: "Das macht die Wahrheit des Lebens aus." Und daran möchte sie auch ihren zweiten Film messen, für den sie nun nach dem großen Erfolg ihres ersten viele Freiheiten haben wird, mit dem sie sich aber Zeit lassen möchte. "Es geht mir nicht um Erfolg, ich möchte möglichst viele Menschen ansprechen." (Bert Rebhandl, 2.4.224)