Gnade uns Gott, die britischen Metaller sind da: Sänger Rob Halford und Gitarrist Richie Faulkner untermauern ihren Anspruch auf bestes Musikhandwerk - es steht im Zeichen der Stahlgewinnung.
Gnade uns Gott, die britischen Metaller sind da: Sänger Rob Halford und Gitarrist Richie Faulkner untermauern ihren Anspruch auf bestes Musikhandwerk – es steht im Zeichen der Stahlgewinnung.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Mag anderswo die Industrie, für unrentabel erkannt, vor die Hunde gehen: In seinen metallverarbeitenden Betrieben steckt Englands ganzer Stolz. Seit mehr als fünf Dekaden hat sich die Band Judas Priest um die musikalische Eisen- und Metallgewinnung hochverdient gemacht.

Priest haben dem Metal das Nietenarmband geschenkt, die Tellerkappe, die parallel geführte Leadgitarre. Sie frönen mit proletarischer Inbrunst der Lebenslust, der sexuellen Entdeckerfreude (Living after Midnight), und sie kommen nach wie vor mit der Harley-Davidson auf den Bühnen dieser Welt als "Monsters of Rock" vorgefahren: vor Hysterie knatternd.

Mit seinem Gekreisch sticht Sänger Rob Halford mit Leichtigkeit jede Werkssirene aus. In der Wiener Stadthalle erschien der "Metal God" im Lurexmantel. Nichts verleiht zudem zuverlässiger den Nimbus der Dauerhaftigkeit als ein vor Vitalität strotzendes, gut geöltes neues Album.

Invincible Shield ist ein panisch ratterndes Vehikel, kaum weniger dringlich als Painkiller (1990), die Platte, mit der Judas Priest ihren etwas verbeulten Metal in die Neuzeit herüberretteten.

Auch heute wieder glänzen die Nieten frisch poliert. Im August wird Halford seinen 73. Geburtstag feiern. Er schlendert wie ein kahler Shakespeare-König außer Dienst über die famos dekorierte Bühne. Man hat viel erlebt, das bürgerliche Gesetzbuch missachtet (Breaking the Law), man hat Heilige und Heuchler in der Hölle braten gesehen. Der monarchische Bart steht Halford ausgezeichnet. Seine Lyrik über Macht und Tod bellt er nach wie vor mit beißender Schärfe ins Mikro: als spucke jemand Unflat in einen Kelch.

Schwarz von Öl

Priest haben den Heavy Metal nicht nur (mit)erfunden, sie haben ihn erfolgreich vergesellschaftet. Wer dieser Tage ein Judas-Priest-Konzert besucht, darf Glückstränen vergießen, schwarz von Motoröl.

Immer noch dominiert die proletarische Herkunft aus Birmingham die Ikonografie der Band. Auf den Videoscreens stampfen ohne Unterlass die Kolben, schießen Rauchfahnen aus den Schloten. Mülltrennung und Alt-Eisen-Entsorgung stehen auf Judas Priests To-do-Liste bestimmt nicht obenan. Dafür besitzen sie die messerschärfsten Riffs. Sie bauen lauter Brücken, die aus dem Operetten-Land des Lächelns schnurstracks zu den gebellten Refrains hinüberführen: "Sinner!"

Judas Priest - Sinner (Official Audio)
JudasPriestVEVO

Gitarrist Richie Faulkner – er ersetzte in den Zehnerjahren KK Downing – ist ein brillanter "musical director" an der Gibson Flying V. Das Stampfen seiner fünfköpfigen Horde ist ein ohrenbetäubender Hochgenuss. Und noch etwas wird klar: Priest haben in den späten 1970ern ein Stück Punk-Ethos in den Hardrock hinübergerettet. Auf den Spuren der Band von Rob Halford schlossen sich Massen von Arbeiterkindern zu fortschrittlichen Musiziervereinen zusammen.

Gestandene Oldies

In der sogenannten New Wave of British Heavy Metal (NWOBHM) wurde der Härte des Erwerbslebens mit maximal witterungsbeständiger Lärmmusik Kontra gegeben. Punk und New Wave waren ja auch bloß Steckenpferde für Kunststudenten.

In der Wiener Stadthalle ließ sich der Mehrstufenplan der britischen Metal-Geschichte jetzt sinnfällig überprüfen. Mit den Veteranen von Uriah Heep fiel gestandenen Oldies das Glück des Auftakts zu. Die Mannen rund um Gründungsgitarrist Mick Box lärmten amtlich; ein Heuler wie Gypsy ist auch durch Jahrmarktsmusiker nicht totzukriegen.

Uriah Heep - Gypsy (Official Audio)
Uriah Heep Official Video

Für den logischen Zwischenschritt sorgten Saxon. Sänger Biff Byford mag von Weitem einem geschassten Zauberer aus Mittelerde gleichen. Sein mit allerlei Jungspunden aufgefrischtes Kollektiv sägte inbrünstig durch ein Repertoire voller Denim & Leather. Wer Muße fand, konnte sogar über die versteckten Glamrockanteile in der DNA von Saxon nachdenken, vom Riff-Geprügel der Stooges zu schweigen.

Auf dem Thron Platz genommen haben Judas Priest, und von ihm steigen sie nicht mehr herunter. Sie sind versessen auf Leder (Hell Bent for Leather) – und sie besitzen die schönsten Wappenornamente seit Erfindung von Jesu Christi Kreuz. So hört sich der Triumph von "British Steel" an. (Ronald Pohl, 2.4.2024)