Der Minipanzer Ljut ist nur eine von dutzenden Bodendrohnen, die aktuell in der Ukraine in Entwicklung sind.
Militarnyi/Screenshot

Optisch erinnert der neue Minipanzer der ukrainischen Armee ein wenig an ein selbstgebautes ferngesteuertes Rennauto. Ein Spielzeug ist der Ljut allerdings nicht, auch wenn er so aussieht. Ljut heißt so viel wie Wut oder Zorn, bewaffnet ist die unbemannte Bodendrohne mit einem Maschinengewehr im Kaliber 7,62 Millimeter, einem PKT, dem leichten Standard-MG der ukrainischen und auch russischen Armee. Der Ljut soll als eine Art mobile Feuerplattform in hochintensiven Gefechten eingesetzt werden. Er dient auch der Ablenkung und soll Angriffe auf russische Stellungen vortäuschen, wo der Einsatz von Soldaten zu riskant wäre. Außerdem steckt in dem Minipanzer ein Spion, denn natürlich ist er mit Kamerasystemen ausgestattet, mit denen feindliche Positionen aufgeklärt werden sollen, wie die ukrainische Zeitschrift "Militarnyi" berichtet.

Der Ljut entstand aufgrund einer Anforderung der ukrainischen Armee. Diese gab zur Abwehr des russischen Angriffs die Entwicklung von von kampffähigen Robotern in Auftrag. Mittlerweile soll die ferngesteuerte Bodendrohne ihren 30. Test zur Präzision und Geländetauglichkeit erfolgreich absolviert haben.

Militarnyi

Ein Bericht von "The Defense Post" legt nahe, dass im Inneren des Ljut Komponenten ziviler Drohnen verbaut sind. Das wäre nicht weiter verwunderlich, sind doch auch viele Flugdrohnen modifizierte Modelle, wie man sie in diversen Onlineshops bekommt. Mittlerweile werden die Drohnen aber auch in Heimarbeit von Freiwilligen aus den einzelnen Komponenten gefertigt.

Der neue ukrainische Roboter soll eine Reichweite von bis zu zwei Kilometern haben, in flachem Terrain, ohne Hindernisse. Tests haben gezeigt, dass der Minipanzer in Umgebungen mit natürlichen und künstlichen Hindernissen die Verbindung zum Operator auf eine Distanz von bis zu 700 Metern aufrechterhalten kann. Darüber hinaus ist das Maschinengewehr der unbemannten Plattform mit Zielkameras ausgestattet und kann Feinde in einer Entfernung von bis zu 800 Metern treffen, was in etwa der effektiven Reichweite eines PKT entspricht. Der Ljut soll denkbar einfach zu steuern sein, weshalb Soldatinnen und Soldaten der ukrainischen Armee, die bereits Erfahrung mit Drohnen gesammelt haben, auch den Ljut beherrschen sollten.

Der Ljut ist aber nur ein Produkt, das von Brave 1, dem staatlichen Zentrum für Verteidigungstechnologie, evaluiert wurde. Nachdem die ukrainische Armee ihr Interesse an Kampfrobotern bekundete, wurden 50 derartige Systeme zur Überprüfung eingereicht. Dazu kommen noch einmal 140 unbemannte Bodenfahrzeuge hinzu.

Ukraine hofft auf "Game Changer"

Beamte von Brave 1, einem staatlichen Zentrum für Verteidigungstechnologie, das neue Fähigkeiten zur Einsatzreife bringen soll, gaben bekannt, dass mehr als 50 Bodenrobotersysteme und mehr als 140 unbemannte Bodenfahrzeuge zur Bewertung eingereicht wurden. Bei Brave 1 ist man davon überzeugt, dass Bodendrohnen schon bald einen ähnlich großen Einfluss auf die Kämpfe haben werden wie die fliegenden Modelle. Schon in wenigen Monaten sollten hunderte sogenannte UGVs – also Unmanned Ground Vehicles – beschafft werden. Von einem "Gamechanger" sprach man bei der staatlichen Organisation Mitte März in einem Posting auf Linkedin.

"Der Einsatz von Hightech-Lösungen, die dem Feind in puncto Effizienz, Innovation und Preis voraus sind, verschafft der Ukraine einen Vorteil auf dem Schlachtfeld – solche Hard- und Softwareprodukte sind asymmetrische Antworten, die in der Lage sind, die Konfrontation mit den überwältigenden Ressourcen des Feindes zu verändern", erklärte Natalija Kuschnerska, Projektleiterin bei Brave 1, gegenüber "Defense News". "Die Ukraine hat sich zu einem globalen Zentrum für Verteidigungstechnologie entwickelt, und das Wachstum dieses Sektors wird in den kommenden Jahrzehnten eine entscheidende Rolle in der ukrainischen Verteidigungspolitik spielen", fügte sie hinzu.

Evakuierung mit der Drohne

Schon jetzt übernehmen Bodendrohnen Aufgaben, die besonders arbeitsintensiv und gefährlich sind. Dazu gehört etwa die Räumung von Antipanzerminen. Zum Einsatz kommt dabei der Themis von Milrem Robotics aus Estland. 14 Themis-Roboter sind in der Ukraine bereits im Einsatz, wobei sieben Stück so konfiguriert wurden, dass sie Fracht transportieren und Verletzte evakuieren können.

"Die Evakuierung von Verletzten und die Räumung von Wegen sind zwei arbeitsintensive Tätigkeiten, bei denen die Soldaten, die diese Aufgaben ausführen, sofort zur Zielscheibe für den Feind werden. UGVs hingegen können aus der Ferne bedient werden, sodass die Soldaten an einem sicheren Ort bleiben", so Jüri Pajuste von Milrem Robotics.

Themis kann Nachschub an die Front liefern und Verwundete evakuieren.
Milrem Robotics

Mehr noch: Die Roboter haben sich während der Schlammsaison der "Besdorischschja" bewährt. Herkömmliche Nachschubfahrzeuge, also Lkws oder Geländefahrzeuge, blieben zu oft stecken, während die Roboter keine Probleme hatten, durch den Schlamm zu kommen. Wo und wie genau die Roboter aktuell eingesetzt werden, ist geheim.

Die ukrainische Armee hat eine Vereinbarung mit Milrem Robotics getroffen, wonach Themis auch für Kampfeinsätze zur Verfügung stehen soll. So wird der Roboter mit schweren Maschinengewehren und Lenkwaffen zur Panzerabwehr ausgestattet.

Drohnenkrieg wörtlich genommen

Kurz vor Ostern ging ein Video einer bemerkenswerten Szene durch die einschlägigen Militärkanäle: Eine russische Bodendrohne, ein Kettenfahrzeug mit einem Maschinengewehr, wird von einer ukrainischen Flugdrohne zerstört. Man hat zwar schon Gefechte zwischen Flugdrohnen gesehen, aber nicht zwischen einem Roboter am Boden und einem in der Luft.

Derartige Szenen werden in Zukunft noch häufiger zu beobachten sein, so der Militärexperte Mick Ryan auf X, vormals Twitter. Der pensionierte General der australischen Armee ist davon überzeugt, dass unbemannte Bodenfahrzeuge bald schon eine deutlich wichtigere Rolle im Krieg spielen werden, das sei der "natürliche Anpassungszyklus des Gefechtsfelds".

UGVs werden künftig nicht nur deutlich geringere visuelle und elektronische Signaturen aufweisen, sondern auch in deutlich größerer Zahl eingesetzt werden, ist Ryan überzeugt. Und zwar auf beiden Seiten: Russland könnte mit Bodendrohnen die enorm verlustreichen Angriffswellen seiner Soldaten verstärken. Die Ukraine könnte mit derartigen Robotern den Personalmangel der eigenen Streitkräfte zumindest zum Teil ausgleichen.

"Es gibt allen Grund zu der Annahme, dass es zu einer größeren autonomen Zusammenarbeit zwischen UAVs (Unmanned Aerial Vehicles, Flugdrohnen, Anm.) und UGVs kommen könnte. Ich kann mir vorstellen, dass sowohl UGVs als auch UAVs als 'Mutterschiffe' für den jeweils anderen in verschiedenen Einsatzbereichen eingesetzt werden", so Ryan. Das wiederum setze aber voraus, dass sich die Armeen der Welt immer schneller an die technologische Entwicklung anpassen müssen, so die Schlussfolgerung des Australiers.

Ziel: Menschen rausnehmen

Ähnlich sieht das auch Samuel Bendett, Sicherheitsforscher und Militäranalyst aus den USA. Entwicklungen wie den russischen Marker-Roboter hält er für verfehlt. Zu groß, zu schwer, zu teuer sind derartige autonome Panzer. Man werde eher Massen von kleinen, billigen und womöglich selbstgebauten Bodendrohnen sehen, ganz so, wie es beim Drohnenkrieg in der Luft gerade passiert. "Die Schlüsseltaktik wird darin bestehen, diese Kampffahrzeuge vor oder anstelle von Soldaten einzusetzen, um Menschen weniger gefährlichen Situationen aussetzen zu müssen – das ist der Sinn der Entwicklung solcher Systeme."

Dass solche Systeme bald völlig autonom agieren können, glaub Bendett nicht: Noch sind KI-Anwendungen für ein modernes Kriegsgebiet ungeeignet, außerdem fehle es an Trainingsdaten über komplexe Schlachtfeldoperationen. Die Betonung liegt aber auf "noch". (Peter Zellinger, 4.4.2024)