Die zweite Hälfte des vergangenen Jahrzehnts war geprägt vom "Streamingkrieg". Filme und Serien für ein überschaubares Monatsentgelt waren ein junger, boomender Markt, an dem viele versuchten, sich ein Stück zu sichern. Auch Facebook, heute Meta, roch eine Chance und stellte 2017 "Facebook Watch" vor. Nach einer Testphase wurde der in das soziale Netzwerk integrierte Video-on-Demand-Service schließlich im August 2018 weltweit verfügbar. Die Pläne waren ursprünglich umfangreich. Mit allerlei Eigenproduktionen, Stars und Live-Baseballspielen wollte man Netflix und Co die Stirn bieten.

Sehr erfolgreich war man damit am Ende allerdings nicht. Vor einem Jahr drehte man die Produktion eigener Shows ab, als eigene App ist das Portal auch längst nicht mehr verfügbar. Ein guter Teil des Personals, inklusive der ehemaligen Chefin, wurde in den vergangenen Jahren vor die Tür gesetzt. Offiziell beerdigt wurde Facebook Watch zwar noch nicht, faktisch ist es aber tot.

Hinter den Kulissen dürfte sich aber einiges abgespielt haben, denn Facebook fand sich mit dem Streaming-Vorstoß auf einmal in der Rolle als Netflix-Konkurrent, während besagter Streaminganbieter gleichzeitig zu den größten Werbekunden des Netzwerks zählte. Quasi als Appeasement, so zitieren "Ars Technica" und "Gizmodo" aus kürzlich freigegebenen Gerichtsunterlagen (PDF) aus dem April 2023, soll Facebook Netflix umfassenden Datenzugriff eingeräumt haben – darunter auch auf private Nachrichten von Nutzern.

Die Produktion von eigenen Videoinhalten für "Watch" hat Facebook bereits vor geraumer Zeit eingestellt.
DER STANDARD/Pichler

Zugriff auf "Titan API"

Dabei geht es um ein von Meta-Kunden angestrengtes Kartellverfahren, das seit 2020 läuft, aber auch behauptete Verstöße aus deutlich früheren Jahren abdeckt. Schon 2013 sollen mehrere Vereinbarungen zwischen Facebook und Netflix bezüglich eines erweiterten Zugriffs auf die Programmierschnittstellen des Netzwerks ("Facebook Extended API") bestanden haben. Im August besagten Jahres sei eine Freigabe für die "Titan API" hinzugekommen, die auch das Auslesen von privaten Nachrichten an Facebook-Freunde inner- und außerhalb des Facebook Messengers erlauben soll.

Der Vorwurf ist nicht ganz neu. 2018 zitierte die "New York Times" aus internen Dokumenten, aus denen hervorgehen soll, dass Facebook einer Reihe von Firmen derlei Zugriffsrechte und auch Einblick in die Freundeslisten eingeräumt habe, darunter Spotify und Netflix. Netflix soll laut den frisch offengelegten Unterlagen im Gegenzug alle zwei Wochen einen Bericht über den Einfluss von Facebook-Empfehlungen auf die Netflix-Nutzung vorlegen.

Meta: Kein Einblick in beliebige Nachrichten

Meta weist die Vorwürfe entschieden zurück. "Meta hat keine privaten Nachrichten von Nutzern mit Netflix geteilt", schreibt Kommunikationschef Andy Stone auf X (vormals Twitter). Die Behauptung sei "schockierend falsch". Die Vereinbarung habe es lediglich Netflix ermöglicht, Facebook-Freunde direkt aus der Netflix-App heraus darüber zu informieren, was sie gerade schauen. Derlei Abkommen seien "in der Branche üblich".

In einem Blogpost von 2018 erklärte man, dass man den Partnerfirmen "Schreibzugriff" eingeräumt habe, damit man aus der Netflix- oder Spotify-App direkt Facebook-Freunde anschreiben konnte, "Lesezugriff", um Antworten ansehen zu können, und "Löschzugriff", um diese Nachrichten gegebenenfalls sowohl in der externen App als auch auf Facebook entfernen zu können. Die Unternehmen sollen aber nicht in der Lage gewesen sein, beliebig Einblick in private Chats zu nehmen. "Keine dritte Partei hat eure privaten Nachrichten gelesen oder ohne eure Erlaubnis an eure Freunde geschrieben", so der Eintrag weiter.

Prozess um radikale Strategieänderung bei Facebook Watch

Die Unterlagen geben darüber hinaus auch Hinweise darauf, dass Mark Zuckerberg aus Sorge um die Werbegelder von Netflix die Pläne für Facebook Watch schon 2018 radikal geändert hat. Nachdem man Milliarden in den Aufbau und die Produktion eigener Inhalte investiert und viel Geld für den Einkauf potenziell publikumsträchtiger Serien reserviert haben soll, wurde das Budget auf einmal drastisch gekürzt und die Ambitionen für eigenproduzierten Content zurückgefahren. Im selben Zeitraum stiegen die Werbeausgaben des Streamingriesen auf Facebook stark an.

Das laufende Verfahren wurde als Folge dieser abrupten Abkehr von den ursprünglichen Vorhaben angestrengt. Meta wird vorgeworfen, mit "antikompetitiven Praktiken" dem Wettbewerb im Social-Media-Bereich und den Konsumenten geschadet zu haben. Der Netflix-Gründer und ehemalige CEO Reed Hastings wurde in dem jüngst öffentlich gewordenen Schreiben aufgefordert, Dokumente vorzulegen, die nach Ansicht der Kläger relevant für die Urteilsfindung sind. Ihm selbst wird zur Last gelegt, federführend hinter Verhandlungen mit Facebook gewirkt zu haben, die darauf abzielten, Konkurrenz im Streaminggeschäft zu verhindern. (gpi, 3.4.2024)