Oberösterreich, Mitte des 18. Jahrhunderts. Eine Frau hält ein Baby in ihren Armen, während sie am Rande eines Wasserfalls steht. Sie küsst und streichelt das Kind. Wer auch nur einen Trailer für Monika Franz' und Severin Fialas neuen Film "Des Teufels Bad" gesehen hat, erahnt bereits, was als Nächstes geschieht. Der Film befasst sich auf eindrückliche Art und Weise mit einem wenig bekannten historischen Phänomen. An der Schwelle zur Aufklärung, insbesondere ab 1650, häufen sich im deutschsprachigen Raum Fälle von dem, was Juristen des 18. Jahrhunderts als "mittelbaren Selbstmord" bezeichneten: Morde, die begangen werden, um die eigene Hinrichtung herbeizuführen und damit der ewigen Verdammnis eines direkten Selbstmordes zu entgehen. Besonders viele dieser über 400 dokumentierten Fälle betrafen Frauen, die Opfer waren oftmals Kinder.

Historischer Horror

Der dritte Langspielfilm von Veronika Franz und Severin Fiala greift also wieder das Thema Mutterschaft prominent auf, das bereits im Debüt des Regieduos 2014, dem Horrorfilm "Ich seh, ich seh", eine tragende Rolle einnahm. Die Idee zu "Des Teufels Bad" kam mit einer Podcast-Folge und entwickelte sich über zehn Jahre hinweg. Der im Februar 2024 auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären und kürzlich auch auf der Diagonale mehrfach ausgezeichnete Film ist nicht nur aufgrund der beeindruckenden Kameraarbeit von Martin Gschlacht und den grandiosen schauspielerischen Performances von Anja Plaschg, Maria Hofstätter und David Scheid sehenswert, sondern vor allem wegen der großen Detailverliebtheit in der religions- und justizgeschichtlichen Recherchearbeit.

Im Zentrum des Films steht die frisch vermählte junge Agnes (Anja Plaschg). Sie fühlt sich fremd in der Welt ihres neuen Mannes Wolf (David Scheid). Es ist eine Welt ohne Zärtlichkeit, voll harter Arbeit unter den wachsamen Augen ihrer strengen Schwiegermutter (Maria Hofstätter) und ohne Verständnis für die sensible und tiefgläubige junge Frau. Agnes zieht sich zunehmend aus der Realität zurück, eine Abwärtsspirale beginnt. Schließlich sieht sie keinen Ausweg mehr, genauso wie die am Hügel als Mahnmal zur Schau gestellte Hingerichtete.

Trailer zu "Des Teufels Bad"
Filmladen

"Suicide by proxy": Das Phänomen des mittelbaren Selbstmordes

Einen zentralen Platz in der historischen Recherche zu "Des Teufels Bad" nahm die Forschung der Historikerin Kathy Stuart ein. In ihrem 2023 erschienenen Werk Suicide by Proxy in Early Modern Germany: Crime, Sin and Salvation1 befasst sie sich unter anderem auch mit dem Fall der oberösterreichischen Ewa Lizlfellner, auf deren Geschichte "Des Teufels Bad" großteils aufbaut. Wie Gerichtsakten aus dem oberösterreichischen Landesarchiv berichten, wirft die junge oberösterreichische Bäuerin Ewa Lizlfellner im November 1761 einen zweijährigen Jungen in die Strömung der Traun. Daraufhin gesteht sie ihr Verbrechen und verlangt nach ihrer Hinrichtung. Den Akten ist auch zu entnehmen, dass Lizlfellner bereits seit Monaten ihrer Familie wiederholt von ihrem Lebensunwillen erzählt hatte.2

"Mord aus Lebens-Überdruss" nannte man dieses Phänomen auch im 18. Jahrhundert.3 Stuart verwendet den Begriff "suicide by proxy", um die transaktionelle Natur dieser Verbrechen zu betonen.4 Diese Morde wurden begangen mit der spezifischen Intention, den eigenen Tod zu "verdienen". Dass Kinder dabei die häufigsten Opfer waren liegt laut Stuart an der Überzeugung, dass ein Kind, das noch nicht gesündigt habe, nach seinem Tod zum Heil gelangen werde. Es wirkt nicht besonders intuitiv, dass der Mord an einem unschuldigen Kind und die darauffolgende Hinrichtung weniger sündig sein sollen als ein Suizid. Seit der Kirchenvater Augustinus Selbstmord mit dem fünften biblischen Verbot "Du sollst nicht töten" direkt in Verbindung setzte, gilt Suizid in der katholischen Doktrin als Todsünde.

Die Logik hinter Taten wie denen von Lizlfellner lag also insbesondere in der Möglichkeit der Beichte. Wie Stuart erklärt: "No matter how heinous the crime, repentance brought absolution. This religious framing of the execution ritual meant that the poor sinner’s death was a good death, even a blessed death in Christian eschatology."5 Während auf Suizid unweigerlich die ewige Verdammnis folgte, da diese Todsünde nicht mehr gebeichtet werden kann, bot ein solcher "mittelbarer Selbstmord" also die Möglichkeit zur Absolution.

Anja Plaschg als Agnes in
Anja Plaschg als Agnes in "Des Teufels Bad".
©Ulrich Seidl Filmproduktion, Heimatfilm

Ein katholisches (Frauen-)Phänomen?

Die Fälle, die Stuart in ihrem Buch aufarbeitet, sind keineswegs auf den katholischen Raum beschränkt. In protestantischen Gegenden finden sich sogar frühere und auch mehr dokumentierte Fälle derartiger Kindermorde mit suizidaler Absicht.6 Interessant ist auch, dass alle diese Fälle insbesondere erst gegen oder nach Ende der Hexenverfolgungen vermehrt auftauchen. Wie Stuart erläutert: "When courts were no longer occupied with mythical crimes, their dockets filled with these new Christian ritual murders. Narratives of mythical murders provided a cultural template for suicidal child killers."7 Auch wenn die europäischen Hexenverfolgungen zu dem Zeitpunkt also bereits weitgehend vorbei waren, sei ihre Geschichte untrennbar verbunden mit jener suizidaler Kindermörder:innen.

Zum einen wurde Hexen ebenso wie anderen von der Kirche als dem Christentum feindlich deklarierten Personengruppen, wie etwa Juden, häufig Kindermord zugeschrieben. Zum anderen lässt sich auch im Zuge der europäischen Hexenverfolgungen das Phänomen des mittelbaren Selbstmordes beobachten, wie Stuart erklärt. Die Selbstanschuldigung der Hexerei war bis ins ausgehende 17. Jahrhundert insbesondere für Frauen ein Mittel, die eigene Hinrichtung herbeizuführen. Laut Stuart wurden diese nicht-gewalttätigen Formen des mittelbaren Selbstmordes jedoch im späten 17. Jahrhundert durch Kindermord in suizidaler Absicht verdrängt, nicht zuletzt, da die Gerichte häufig Selbstanschuldigungen ohne Beweise nicht mehr akzeptierten.8 Ein ermordetes Kind hingegen war durchaus ein handfester Beweis, der in jedem Fall zu einer Hinrichtung führte.

Kindermord in suizidaler Absicht war zwar kein rein weibliches Phänomen, betraf aber unverhältnismäßig viele Frauen. Auch die Opfer unter den Kindern waren überwiegend Mädchen, wie die Dokumente zeigen. Stuart weist darauf hin, dass ab Mitte des 16. Jahrhunderts besonders Frauen einer überaus "strenge[n] Sozialdisziplinierung von Seiten der Obrigkeit"9 unterlagen. Das in der historischen Forschung wenig beachtete Phänomen des "suicide by proxy" stellt also eine überaus komplexe Verbindung aus religiöser Doktrin, einer starken kulturellen Feindlichkeit gegenüber Gefühlen der Depression10 und einer ungewöhnlichen Aneignung der Strafjustiz durch das gemeine Volk dar11.

Der Teufel liegt im Detail

Die historische Quellenarbeit für "Des Teufels Bad" erschöpfte sich nicht nur in der Aufarbeitung jener Fälle des "suicide by proxy". Es ist eine außergewöhnliche Liebe zum historischen Detail, die den Film so besonders und damit gleichzeitig so bedrückend macht. Scheinbare Kleinigkeiten wie das Vaterunser-Beten als Zeitmaß beim Kochen sind ebenfalls wichtige Bausteine für ein atmosphärisch dichtes Bild einer düsteren historischen Epoche. Franz und Fiala erzählen außerdem in "Des Teufels Bad" nicht nur die Geschichte eines in der historischen Forschung wenig bekannten Phänomens. Sie tun dies auch aus einer bestimmten Perspektive. Dadurch geben sie "Frauen aus dem bäuerlichen Milieu, den Unsichtbaren und Ungehörten jener Zeit, eine Stimme".12 (Kathrin Trattner, 12.4.2024)