Über die Folgen der Nationalratswahl lässt sich trefflich spekulieren. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass die FPÖ wohl stärkste Partei werden dürfte – und wie es jetzt aussieht, werden ÖVP und SPÖ um den zweiten Platz rittern. Mit 21 beziehungsweise 22 Prozent in der März-Umfrage des Linzer Market-Instituts würde sich eine ehemals "groß" genannte Zweierkoalition erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik nicht ausgehen. Was wiederum Ideen des taktischen Wählens beflügelt – denn viele Wähler wollen mit ihrer Stimme ja nicht nur ihre liebste Partei stärken, sondern womöglich die eine oder andere Wahlfolge verhindern.

Erst die Nationalratswahl – und dann? Die nächste Regierung soll jedenfalls stabild sein und fünf Jahre halten, findet die Hälfte der Befragten.
IMAGO/Bianca Otero

Vor jeder Nationalratswahl lässt DER STANDARD daher die Frage stellen, welche Wahlfolgen die Österreicherinnen und Österreicher denn mit ihrer Stimmabgabe erzielen wollen. Zwei Forderungen werden von jeweils gut der Hälfte der Befragten unterstützt: Die nächste Regierung soll stabil sein und fünf Jahre halten. Und sie soll Reformen zügig angehen. Beide Themen waren schon in den Wahljahren 2017 und 2019 hoch oben auf der Wunschliste – sie werden aber von den Wählerschaften der Parteien unterschiedlich stark geteilt. In der Gefolgschaft von ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos ist der Wunsch nach Stabilität besonders hoch; besonders Neos-, Bierpartei-, ÖVP- und SPÖ-Anhänger wünschen sich auch mit großer Mehrheit Reformen.

FPÖ polarisiert

Interessanterweise sind FPÖ-Wähler eher wenig für Reformen oder eine stabile Regierung zu begeistern, obwohl diese Wählergruppe eine besonders hohe Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierung bekundet: 44 Prozent der blauen Wähler (gegenüber 33 Prozent im Schnitt aller Wähler) wollen, dass die ÖVP einen Denkzettel bekommt. Aber das wünschen die blauen Wähler auch der SPÖ (33 Prozent gegenüber 16 Prozent im Bundesschnitt) und besonders den Grünen, die sie am liebsten in Opposition oder gar aus dem Parlament draußen haben wollen.

"Sehr viele Wahlberechtigte haben Wünsche, die sich vor allem gegen die wahrgenommenen politischen Gegner richten – und da steht die FPÖ-Wählerschaft auf der einen und große Teile der anderen Parteiwählerschaften auf der anderen Seite. 29 Prozent erhoffen sich ein klares Signal gegen rechts; das ist nicht anders als vor fünf Jahren. 24 Prozent, also etwa jeder vierte Wahlberechtigte und etwa doppelt so viele wie 2019, wünschen sich die FPÖ in der nächsten Bundesregierung. Aber da muss man schauen, wer genau das will: Vier von fünf FPÖ-Wählern wollen ihre Partei auch regieren sehen – in den Wählerschaften der anderen Parteien ist die Zustimmung dazu aber verschwindend gering", liest Market-Wahlforscher David Pfarrhofer aus den Daten.

Zu der immer wieder diskutierten türkis-blauen Koalitionsvariante, die 2017 und 2019 noch von 16 bis 17 Prozent favorisiert worden ist, bekennen sich aktuell nur neun Prozent. In der blauen Wählerschaft sind 24 Prozent dafür, in jener der ÖVP nur 13 Prozent. Eine blau-rote Regierung, die sich möglicherweise rechnerisch ausgeht, ist ähnlich unbeliebt – 26 Prozent der blauen Wählerschaft könnten sich dafür erwärmen, die Gegenliebe in der roten Wählerschaft ist dagegen gleich null.

Nur 15 Prozent sind dafür, dass die ÖVP in der Bundesregierung bleibt. Bei den Grünen sind es sogar nur 14 Prozent.
EPA/CHRISTIAN BRUNA

Die "große" SPÖ-ÖVP-Koalition gefiele jedem zweiten Befragten aus der deklarierten ÖVP-Wählerschaft, aber nur jedem Fünften in der SPÖ-Wählerschaft. Überhaupt sind nur 15 Prozent explizit dafür, dass die ÖVP in der Bundesregierung bleibt – beim derzeitigen Koalitionspartner Grüne lautet der Wert 14 Prozent. Ausdrücklich wollen 19 Prozent die ÖVP, 20 Prozent die Grünen künftig in Opposition sehen. 24 Prozent – besonders Grünen-, Neos-, SPÖ- und mit deutlichem Abstand ÖVP-Wähler – wünschen sich ausdrücklich, dass die FPÖ in Opposition bleibt.

Hoffnung auf Kleinparteien

Auffallend stark ist der Wunsch nach parlamentarischer Beteiligung von Kleinparteien wie Bierpartei und KPÖ. 20 Prozent wünschen sich die Bierpartei im Nationalrat, 13 Prozent halten sie sogar geeignet für eine Regierungsbeteiligung. 16 Prozent wünschen sich die KPÖ im Nationalrat, neun Prozent als Regierungspartner.

Pfarrhofer: "Das sind natürlich Träumereien. Die tatsächliche Bereitschaft, entsprechend zu wählen, liegt in anderen Fragestellungen deutlich darunter. Man sieht aber, dass sich die Menschen gefühlsmäßig starke Veränderungen wünschen. Wie sich diese auswirken würden, wird dabei derzeit kaum bedacht. Und wenn man nicht direkt die Kanzlerfrage stellt, sinkt auch die Zustimmung zum Wunsch, dass dieser oder jener Kandidat Kanzler werden soll – das ist ganz anders als vor fünf oder sieben Jahren, als es einen von 25 bis 30 Prozent getragenen Wunsch gegeben hat, dass Sebastian Kurz Bundeskanzler wird. Kurz war damals ein starkes Wahlmotiv, daran kommt immer noch keiner heran."

Die ehemalige Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein führte die Beamtenregierung an. Jeder vierte will, dass Österreichs nächste Regierung ohne Parteien auskommt.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Was deutlich wird, ist ein breites Misstrauen gegenüber dem Parteiensystem – und dieses Misstrauen findet sich nicht nur unter den Parteigängern der FPÖ. So sagen besonders viele Anhängerinnen und Anhänger der Grünen, der Bierpartei und der SPÖ sowie derzeit politisch Unentschlossene, dass sie sich eine "Expertenregierung ohne Einbindung der Parteien" wünschen – in den Kreisen um FPÖ, Neos und ÖVP ist dieses (nach Abwahl der Regierung Kurz 2019 erprobte) Modell besonders wenig beliebt. Insgesamt liebäugelt ein Viertel der Wahlberechtigten mit einer Regierung ohne politische Parteien.

Unklare Programmatik

DER STANDARD ließ daher erheben, welche Inhalte die Wahlberechtigten den Parteien zutrauen. Zunächst wurde erhoben, bei welchen Parteien ein klares Bild für die Zukunft Österreichs vermutet wird. Hier liegt die FPÖ vorn – ihr traut jeder Zweite ein klares Zukunftskonzept zu. Bei den anderen Parteien wird mehrheitlich eher kein klares Bild, wie es in Österreich weitergehen soll, vermutet.

Politikforscher Pfarrhofer: "Man muss ja mit einer Partei nicht übereinstimmen – aber wenn sie allgemein vermitteln kann, klare Vorstellungen zu haben, dann ist das in einem Wahlkampf ein wichtiger Punkt, das macht auch beim politischen Gegner und bei Unentschlossenen Eindruck – und es hilft, die bereits aufgebaute Gefolgschaft zu mobilisieren." Bemerkenswert sei, dass den Grünen, die seit ihrem ersten Landtagseinzug (in Vorarlberg 1984) als Umweltpartei allgemein bekannt sind, mehrheitlich ein klares Bild für die Zukunft abgesprochen wird: "Die Grünen sagen ähnlich deutlich wie die FPÖ, was sie wollen, es kommt aber nicht so deutlich an – bei den Freiheitlichen sagen deutlich mehr Leute, dass man schon wisse, was von denen zu erwarten ist."

Und das muss nichts Gutes sein. Nur die Hälfte derjenigen, die der FPÖ eine klare Zukunftsvision zutrauen, geben an, dass diese freiheitliche Positionierung alles in allem ihren eigenen Vorstellungen entspricht. Nur in der ÖVP-Wählerschaft gibt es eine zahlenmäßig relevante Gruppe, die zu wissen glaubt, was die Freiheitlichen wollen – und das auch gut findet. Umgekehrt gibt es auch etliche bekennende FPÖ-Wähler, die die ÖVP-Ziele kennen und gutheißen. Besonders die SPÖ kann mit ihren wahrgenommenen oder vermuteten Zielen breit punkten – über die eigene Wählerschaft hinaus vor allem bei den (wenigen) deklarierten Wählerinnen und Wählern der Grünen und der noch geringeren Anzahl von erklärten Bierpartei- und KPÖ-Präferenten. (Conrad Seidl, 8.4.2024)