Alte Welt, am Beispiel Citroën C6 (2005 bis 2012 gebaut, griffen nur 23.384 avantgardistisch fühlende Kunden zu): Um Motoren und Getriebe unterzubringen, mussten oft stilistisch bedenkliche Verrenkungen gemacht werden.
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Die Elektroautos, die auf einer sogenannten Surfbrettarchitektur aufbauen, also die Batterien zwischen den Vorder- und Hinterrädern gleichmäßig über den Wagen verteilt haben, zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie sehr geringe Überhänge vorn wie hinten aufweisen.

Das kommt naturgemäß daher, dass das Batteriepaket umso größer und flacher zugleich sein kann, wenn zwischen den Rädern möglichst viel Platz ist. So haben wir schon wieder einen Designtrend, der eine handfeste technische Tatsache als Hintergrund aufweist und nicht bloß eine geschmäcklerische Modeströmung verfolgt.

Der Alfa Brera (2005 bis 2010) wäre ein weiteres Fallbeispiel.
Alfa Romeo

Ähnlich ist es mit dem Gegenteil, den Autos mit mächtigen Überhängen an der Vorderachse. Dieser Designtrend ist ebenfalls auf besondere technische Rahmenbedingungen zurückzuführen.

Doch viel vordringlicher gilt es, eine Grundsatzfrage zu klären: die lange Motorhaube. Allen voran haben Hobbypsychologinnen die einfachste Erklärung: Penis. Männlicher Penis. Je länger die Motorhaube ... Je kürzer, umso ... und so weiter ...

Ebenso der Phaeton (2001 bis 2016), mit dem VW in die Oberklasse vorstoßen wollte.
Volkswagen

An dieser Stelle sei an die erwiesene evolutionäre Tatsache der Rauchschwalbenmännchen verwiesen, die mit einem längeren Schwanz den Weibchen besser gefallen und damit ihre Fortpflanzungschancen erhöhen. Aber irgendwann hindert ein zu langer Schwanz am Fliegen, die Evolution rudert wieder zurück. Vielleicht ist das bei den Autos eh auch so.

Wir sind jetzt also in einer Epoche angelangt, in der Motorhauben wieder schrumpfen. Lange Motorhauben hatten wohl ihre Wurzeln in den amerikanischen Vorstellungen von Kraft und Herrlichkeit, um nicht zu sagen Männlichkeit. Erinnern wir uns an die 50er- und 60er-Jahre. So ein V8-Motor, die Idealvorstellung eines Fahrzeugantriebs, brauchte seinen Platz und prägte so auch äußerlich die Wertvorstellungen. Versuche, die Motorhaube oder gar auch noch den Kühlergrill abzuschaffen, endeten fast immer in einem Flop.

Neue Welt, am Beispiel VW ID.3: Autos auf E-Plattformen haben nur kurze Überhänge und stimmigere Proportionen. Die Formen folgen aber dem Diktat der Aerodynamik.
Volkswagen

Doch zurück zu den technischen Hintergründen: Am augenscheinlichsten zelebrierte Audi Anfang der 1980er-Jahre den Überhang vorn. Hartmuth Warkuß, der Designer des Audi 100 mit dem damaligen Rekord-cw-Wert von 0,3, betonte seinerzeit, dass der längs eingebaute Frontmotor mit dem dahinterliegenden Getriebe eine Herausforderung für die Gestaltung sein.

Dieses Layout neigte auch sehr zur Kopflastigkeit. Denn der Motor hing immer zur Gänze über die Vorderachse hinaus, während die Premiumkonkurrenz mit Hinterradantrieb, damals praktisch nur BMW und Mercedes, die volle Freiheit hatte, den Motor-Getriebe-Block zu platzieren. Audi war es deshalb auch versagt, mehr als fünf Zylinder in einer Reihe einzubauen. Das heißt, dem samtigen Reihensechszylinder von BMW und Mercedes konnte nur ein weniger sanfter V6 gegenübergestellt werden.

Weiteres Fallbeispiel für den Gegentrend auf Basis einer Surfbrettarchitektur: Jaguar I-Pace.
Jaguar

Einzig Renault entzog sich diesem Diktat, indem man beim R4 die ganze Sache umdrehte und den Motor hinter dem Getriebe platzierte. Das ermöglichte eine relativ lange Motorhaube mit sehr kurzem Überhang. Sicherheit war damals nicht so ein großes Thema. Das Schaltgestänge der "Revolverschaltung" ragte nämlich weit nach vorn bis knapp hinter die Stoßstange, was zur Folge hatte, dass beim geringsten Crash der Schalthebel in den Innenraum schoss, glücklicherweise meist zwischen Fahrerin und Beifahrer hindurch.

Interessant auch der Alfa Romeo Brera. Trotz quer eingebauten Motors mit Antrieb vorn zeigte er einen mächtigen Überhang. Und zwar deshalb, weil diese Karosserie als Designstudie mit Maserati-Chassis, Kohlefaserkarosserie und V8-Motor geboren wurde. Jahre später erst, nämlich 2005, wurde das hübsche Coupé auf technischer Basis der konventionellen Frontantriebslimousine Alfa 159 in Serie gebaut. Sportwagenfreaks kritisierten stets das hohe Gewicht und die daraus folgende nicht sonderlich ausgeprägte Spritzigkeit.

Noch rasch ein Stupsnasenrepräsentant aus der Schrankklasse, der Kia EV9.
Kia

Aufgrund der geringen Energiemenge, die man in einem Elektroauto speichern kann, spielt die Aerodynamik eine Schlüsselrolle für die Reichweite. Das heißt, der Übergang zwischen Motorhaube und Windschutzscheibe sollte besonders harmonisch gestaltet sein. Das bedeutet, zum kurzen Überhang gesellt sich auch noch eine kurze Motorhaube.

Ein zusätzlicher Grund für die Schrumpfung der Motorhaube ist auch, dass der Elektromotor samt Leistungselektronik, aber ohne Stufengetriebe weniger Platz benötigt als ein Verbrennungsmotor mit Abgasreinigung und Getriebe. Das heißt, der Vorderwagen verliert zusehends an Bedeutung. Die Evolution rudert zurück.

Und das hier ist der Namensgeber: VW 411 (1968 bis 1972) vulgo Nasenbär.
Volkswagen

Übrigens: Nasenbär hieß auch jenes Auto, das den VW Käfer als letzte Neukonstruktion mit Heckmotor erfolgreich ablösen sollte. Ein ausgeprägter Pfrnak des 411ers sollte wenigstens vorn ein bisschen Kofferraum bieten, weil sich hinten ja hauptsächlich der Motor breitmachte. Zu dieser Zeit hatte aber etwa Renault längst den kompakten Fronttriebler erfunden, von R4 bis R16. (Rudolf Skarics, 5.4.2024)