Er machte deutlich zu lange Pausen – offensichtlich um noch mehr Dramatik in seine Rede einzubauen. Aus diesem Grund blickte er wohl auch nicht in die Kameras, sondern nach unten. "Ich habe schlechte Nachrichten für dieses Kind, für unsere Danka aus Bor", sagte der serbische Präsident Aleksandar Vučić schließlich bei einer extra einberufenen Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag. Die Polizei habe die zwei Personen festgenommen, die Danka ermordet hätten, erklärte der Staatschef, der nun offenbar auch die Rolle des Polizeipräsidenten übernommen hatte. Man sehe nun, "mit welchen Monstern wir es zu tun haben", fügte er hinzu.

In diesem Zusammenhang wurde auch der Bruder und der Vater eines mutmaßlichen Täters festgenommen. Den Männern wird geworfen, dabei geholfen zu haben, das Kind nach dessen Tod zu verscharren. Nachdem der 40-jährige Bruder in der Haft über Übelkeit geklagt hatte, starb er in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Der zuständige Arzt stellte eine natürliche Todesursache fest, die Staatsanwaltschaft ordnete die Obduktion der Leiche an, wie der TV-Sender N1 berichtete.

Für Vučić ist der Fall Danka auch ein konkreter Anlass, um erneut auf eine Wiedereinführung der Todesstrafe in seinem Land zu pochen. Er werde seine Forderung der neuen Regierung unterbreiten, sobald sich diese gebildet habe, zitierte die Presseagentur Beta den serbischen Präsidenten am Samstagabend.

Vucic
Alexander Vućič in der Rolle als Übervater?
Andrej ISAKOVIC / AFP

Serbischen Boulevard-Medien hatten die Öffentlichkeit zehn Tage lang mittels allerlei Falschmeldungen auf die gemeinsame Suche nach "unserer kleinen Danka" geschickt, die am 26. März in der Nähe der Bergbau-Stadt Bor verschwunden war. Die Medien missachteten dabei jegliches Recht auf Privatsphäre der Familie. Als die mutmaßlichen Täter gefasst wurden, agierten sie noch unzivilisierter.

Doch nicht nur die Presse in Serbien, sondern auch die Medien in Nachbarstaaten veröffentlichten Fotos des Mädchens, ihrer Familie, der mutmaßlichen Täter, mitsamt ihrer vollen Namen. Die zweijährige Danka wurde zum "öffentlichen Gut" gemacht.

Schicksal ausgeschlachtet

Ein jeder schien sich ihres Schicksals zu bedienen, das ausgeschlachtet wurde, als sei ein Kind, das von zwei Männern mit dem Auto angefahren und dann getötet wurde, plötzlich aller Menschen Kind. Mit theatralisch vorgetragenem Schein-Mitgefühl wurde die Auflösung aller Persönlichkeitsrechte der betroffenen Menschen "gerechtfertigt". Der mediale Missbrauch der Familie, die sich nicht wehren konnte, wurde als solcher jedoch nicht wahrgenommen oder debattiert.

Im Gegenteil: In der emotionalen Aufwallung schienen sich die Leute irgendwie „gut“ und "auf der richtigen Seite" zu fühlen – ohne freilich zu bemerken, wie stark sie manipuliert wurden und wie sehr die Betroffenen litten. Die Stadt Bor eine Kraterlandschaft mit Schuttbergen, Kränen und Schloten, über die der Wind vergiftete Luft weht, bildet die Kulisse für die Geschichte von Danka, die vergraben und noch nicht gefunden wurde.

In der Stadt Bor wurde für die tote Danka Kerzen aufgestellt.
IMAGO/Davor Javorovic/PIXSELL

Wenn es um Kinder, insbesondere Kleinkinder, geht, löst dies bei vielen Menschen starke Schutz- und Versorgungsbedürfnisse aus, denn sie können eben nicht ohne Erwachsene überleben. Sie sind sowohl symbolische Figuren für Unschuld als auch für Abhängigkeit. Für Familien ist der Tod eines Kindes, noch dazu dessen gewaltsamer Tod, extrem belastend. Deshalb sollte die Gesellschaft diesen Familien möglichst viel Schutz gewähren, Respekt zollen und die betroffenen Menschen nicht weiter traumatisieren. Doch Danka und ihre Familie wurden und werden noch immer benutzt. Die Reporter buddeln unbarmherzig weiter, und der Präsident hat sich zum „Erzähler“ der Geschichte aufgeschwungen.

„Der Staat bin ich“

Vučić war es auch, der im Mai des Vorjahres, als in einer Schule und danach in einem Ort Menschen erschossen wurden, die Ergebnisse der Polizeiarbeit der Öffentlichkeit vermittelte. "Er macht das jedes Mal, wenn er die Möglichkeit hat", erklärt Aleksandra Tomanić vom European Fund for the Balkans. Vučić agiere nach dem Prinzip "L´etat - c'est moi" – der Staat bin ich. "Alle anderen Institutionen oder Prozesse werden nicht gebraucht", so Tomanić. Wenn man einen Präsidenten hat, der alles weiß, kontrolliert und seinem Volke diese Weisheiten zuliefert – wozu braucht man dann noch eine Staatsanwaltschaft?

Der Staatschef, der betont sonor und leise spricht, so als würde er die Last der Welt tragen müssen, könnte möglicherweise gerade Angst vor Kontrollverlust haben. Diese Angst zeigte sich zuletzt im Vorjahr, als Zehntausende von Serbinnen und Serben nach den Massenschießereien gegen eine Kultur der Gewalt auf die Straße gingen. Vučić fürchtet diese selbstbestimmten Bürgerinnen und Bürger. Er sieht in ihnen Leute, die an seiner Macht rütteln und sein Regime stürzen könnten. Deshalb reißt er in Situationen hoher Emotionen lieber gleich ganz das Ruder an sich.

Suchaktion in der Stadt Bor.
IMAGO/Davor Javorovic/PIXSELL

Das hat auch damit zu tun, dass Vučić sich seit Jahren als einzigen Garanten für Sicherheit darstellt. Doch der Fall Danka wühlt nun auf. Plötzlich scheint vieles nicht mehr so sicher. Man denkt nun: Vielleicht gibt es doch nicht nur Außenfeinde, die an allem Schuld sind? Vielleicht ist doch etwas faul in dieser Gesellschaft, in der man die Herrschenden nur loben darf?

Wackelt die Macht?

Wenn das Sicherheitsgefühl erodiert, wird ein System, das derart stark auf eine Person zugeschnitten ist, wie das autokratische Regime in Serbien, wackelig. Angst darf eigentlich nur der Autokrat selbst verbreiten, um die Leute zu kontrollieren – doch wenn die Angst plötzlich mitten unter den Menschen aus dem Boden kriecht, wenn jeder für jeden eine Bedrohung darstellen kann, dann hilft es auch nichts, wenn der Präsident jede Stunde mit seinen Beschwörungen im Radio zu hören ist.

Der Erzähler Vučić, der angeblich besorgte und immer leidende "Übervater", der alles in Händen hält und nur das Beste will, machte die "Monster" deshalb gleich dingfest. Diese "Monster" und ihre Gesichter wurden in der Folge von den Regime-Medien „Informera, „Blic“ und „Alo!“ vorgeführt wie Tiere im Zoo. Der Staatschef hatte in kurzem Prozess die Schuldigen ausgemacht und verbannte sie aus der Gesellschaft, um wieder die Angst-Kontrolle zu übernehmen und sich selbst abzusichern.

Er begrub dabei die Ideen einer aufgeklärten Demokratie, in der auch mutmaßliche Verbrecher Anspruch auf einen fairen Prozess haben, in der unabhängige Institutionen selbstbewusst für sich selbst sprechen – und in der auch Eltern, wie jene von Danka, nicht einem Politiker zuhören müssen, wenn es um den Tod ihres Kindes geht. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 7.4.2024)