Hermann Becker vor dem GTI Clubsport mit 300 PS vor der grandiosen Ferdinand-Porsche-Erlebniswelt fahr(T)raum in Mattsee. "300 PS? Hatte 1974 nicht einmal ein Porsche 911."
Stockinger

Ich sitze im GTI Clubsport, am Steuer konzentriert Hermann Becker, wir fahren rüber zum Museum fahr(T) raum nach Mattsee, ich aktiviere kurz den Sportmodus. Das Rrroaarr unterschlage ich Ihnen, das kann heute leicht als unschicklich gelten. Dann Posieren vorm Museum für die Fotos, ab ins Museumscafé.

Kurzes GTI-Fazit, "fantastisches Auto. 300 PS, das hatte vor 50 Jahren nicht mal ein Porsche. Der 911 Carrera von 1974 hatte 210", und: "Wir waren schon stolz, als das Auto 70 PS hatte", schon tauchen wir ein in die Erinnerungen des Porsche-Austria-Urgesteins, der vor der Pensionierung 25 Jahre lang Leiter der Öffentlichkeitsarbeit war.

Strengste Geheimhaltung

"Meine ersten Eindrücke? 1973. Ich war da in der Marktforschung. Der Chef führte uns, zehn Mann hoch, unter Gebot strengster Geheimhaltung in ein Kämmerchen. Dort projizierte er zwei Dias an die Wand – Golf und Scirocco. Der Eindruck hat sich mir auf ewig eingebrannt. Das war so weit weg von bisherigen VWs, dass allen klar war: Das ist der Beginn einer neuen Zeit. Kurzum, wir waren hingerissen."

Einmal rasch posieren, dann geht's rüber nach Mattsee.
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Alles neu, alles ganz anders – welche Konsequenzen hatte das? "Für die Mechaniker gab es vorauslaufend jede Menge Schulungen. Die Käfertechnik hatten alle intus, die vom Golf war völlig neu. Ein Paradigmenwechsel, eine enorme Herausforderung, vom Vertrieb über den Kundendienst bis in die Werkstätten. Mit Bravour gemeistert." Ohne Kollateralschäden ging das aber nicht: "Altgediente Mitarbeiter und Führungskräfte warfen frühzeitig das Handtuch und sagten: ,Nein, das tue ich mir nicht mehr an.‘"

Marktführer

Bei den Neuzulassungen in Österreich hatte der Käfer ein Rang-eins-Dauerabo von 1953 bis 1974 – auch in dem Punkt löste ihn der Golf ab, ab 1978 bis 2018. Die drei Jahre dazwischen gehörten dem Kadett, dem ewigen Zweiten. Becker schmunzelnd: "Als der Käfer auslief und der Kadett vorn lag, schaltete Opel eine Werbung: 'Die neue Nummer eins: Kadett.'"

Becker weiter: "Das schmerzte, aber wir wussten, das ist nur vorübergehend. Der Golf verkaufte sich dann jährlich zwischen 20.000- und 30.000-mal, stärkstes Jahr aller Zeiten war 1992 mit 30.844 Stück (Anm.: Golf III)." Zum Vergleich: 2023 waren es nur mehr 4232, die goldenen Zeiten sind vorbei und kommen wohl nie wieder.

Zwischen ewig VW Käfer und ewig VW Golf hatte Opel mit dem Kadett C seinen großen Auftritt: Drei Mal Nummer Eins in Österreich, 1975, 1976, 1977.

Jedenfalls, Golf und Kadett, dann der Nachfolger Astra: Das war eine Rivalität um Rang eins und zwei über viele Jahre. Warum der Golf stets vorn lag? "Es war einfach das modernere Auto." Dass Porsche Austrias Vertriebsmacht die Sache begünstigte, räumt er aber gerne ein. "Es war ja auch der Auftrag von Louise Piëch: 'VW muss in Österreich Nummer eins sein.' Da gab es keine Diskussion."

Der VW Golf begründete eine ganze, nach ihm benannte Klasse, jeder Hersteller musste ins lukrative Segment. Was dabei der GTI bewirkte, der 1976 hinzukam? "Der trieb das Image des Golfs in lichte Höhen. So ein kleines Auto mit 110 PS – ja bist du ... Das war für die damalige Zeit ganz außergewöhnlich. Der Volks-Sportwagen war geboren. Er fuhr sich wie ein Rennwagen."

1976 kam mit dem Golf GTI der Volkssportwagen hinzu, hier zu sehen im erlauchten Kreise der Ausstellung "Classics Gallery: 100 Years of Icons" am diesjährigen Genfer Salon.
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Doch das war Becker zufolge noch gar nicht der markanteste Schritt in den 50 Jahren. Der war mit der Ära Ferdinand Piëch – Stichwort: Fugen-Ferdl (© Horst Kahlert) – verbunden, Konzernchef 1993 bis 2002. "Mit dem Golf IV kam die Höherpositionierung. Das war ein Meilenstein, bei den Spaltmaßen, bei der Anmutung im Innenraum, überall eine ganz neue Ebene. Das bis dahin gültige Paradigma des kleinen Autos mit wenig Ausstattung und Komfort und schlechterer Qualität war damit durchbrochen. Im Golf fanden sich plötzlich technische Inhalte, die der Oberklasse vorbehalten waren. Heute ist das bis runter zum Kleinwagen gang und gäbe."

Eine Folgeerscheinung auch, dass die Japaner in dem Punkt die europäischen Hersteller vor sich hergetrieben haben? "Schon. Die waren uns, insbesondere Mazda mit dem 323, lange bei den Ausstattungen weit voraus. Aber der Golf IV war aus meiner Sicht der Markstein für besagte Entwicklung."

Der "Vierer" (1997 bis 2003), die Golf-Generation der Ära Ferdinand Piëch. Hatte einerseits durchaus Qualitätsprobleme, bot andererseits plötzlich technische Inhalte, die bisher höheren Fahrzeugklassen vorbehalten waren.
Volkswagen

Die Mehrausstattung der japanischen Hersteller war legendär und hat ihren Markterfolg mitbegründet, die hohe Qualität ebenfalls. Becker erinnerts sich: "1974, da drängten die Japaner schon stark in den Markt herein. Damals war die gängige Meinung: technisch noch nicht auf Augenhöhe, aber voll ausgestattet, viel besser als bei allen europäischen Herstellern, mit Radio serienmäßig, zwei Außenspiegeln, bald Schiebedach etc." Das schlug sich auch auf die Nachfrage an Extras bei VW nieder: "Was die Leute an Zusatzausstattung beim Golf begehrten? Radio. Kassettenrecorder. Felgen."

Ein anderer Punkt, über den VW nach dem Dieselskandal nicht gern spricht: Anfang der 1990er kam der Dieselmotor modernen Zuschnitts. Über viele Jahre hinweg war der 1,9 TDI mit zunächst 90 PS die Standardmotorisierung in Österreich. Sportliche Fahrwerte, sparsamer Verbrauch, so kam der Dieselboom in Bewegung. Becker launig: "Der Motor war ein echter Akzelerator." Der Konzern setzte erst auf Pumpe-Düse, dann auf Common-Rail – "Ich persönlich bin immer noch vom Diesel überzeugt."

Zum Auftakt der Elektromobilität und vor Anbranden der ID-Welle wurde der Golf sogar elektrisch - der solide e-Golf auf Basis des 7ers war 2014 bis 2020 im Angebot.
Volkswagen

Bevor die IDs kamen, gab es noch einen Elektro-Golf. "Das dokumentierte die zentrale Bedeutung des Golfs: Er war der Volkswagen, der in jeder Antriebstechnologie produziert wurde."

Ob es noch Golf IX und X geben werde oder die Baureihe bald Geschichte sei? "Ich glaube, es wäre ein großer Fehler, wenn man einen über Jahrzehnte so enorm starken Produktnamen zugunsten eines Kunstnamens (ID, Anm.) aufgäbe. Der Golf ist der Golf, und als solcher trifft er den Geschmack und die Bedürfnisse der meisten Leute. Immer schon."

Episode Iltis

VW Iltis, in Weiß einmal ein Stein des Anstoßes
Wikipedia / Gunther E. Biernat

Zuletzt kurz die Episode vom weißen Iltis, die vom 2022 erschienen Golf-Rabbit-Bericht her noch aussteht. Zur Erläuterung: Der VW Iltis war ein kompakter (eigentlich militärischer) Geländewagen, gebaut 1978 bis 1988.

Eines Tages steht in der Firmengarage ein weißes Exemplar. "Welcher Volltrottel hat den weißen Iltis bestellt? Den schmeiß ich hinaus!", schallt die mächtige Stimme des damaligen Porsche-Austria-Chefs Gerhard Schneider-Manns Au von oben in den Hof. Becker wird in sein Büro zitiert. "Waren Sie das? Ja wissen Sie denn nicht, das ist ein Auto für die Jäger. Ein weißes Auto im Wald verscheucht jedes Wild." Schlagfertig rettet sich Becker aus der Affäre: "Ja, aber wir haben viele Monate Winter mit Schnee."

Und warum jetzt echt in Weiß? "Das war damals eine Modefarbe. Und den Iltis haben wir bestellt, weil sich ein erster Hauch von SUV-Trend abzeichnete." Geländewagen in der Stadt waren plötzlich modern. Doch das ist ein anderes Thema. (Andreas Stockinger, 7.4.2024)