Eine Parade der Huthis im Jemen. 
Eine Parade der Huthis in der Hauptstadt Sanaa anlässlich des Jubiläums ihrer Machtübernahme.
REUTERS/HOUTHI MEDIA OFFICE

Noch vor wenigen Jahren waren sie außerhalb der Welt der Nahostexperten kaum jemandem ein Begriff. Die Rede ist von den Huthi-Rebellen, die den strategisch wichtigsten und bevölkerungsreichsten Teil des Jemen kontrollieren.

Im Zuge des Nahostkonflikts haben sie jedoch das "Licht der breiten Öffentlichkeit erblickt", sagen Stephan Reiner vom österreichischen Bundesheer und der Jemen-Experte Alexander Weissenburger vom Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Reiner und Weissenburger waren am Mittwochabend im Bruno-Kreisky-Forum in Wien zu Gast, wo sie den ersten Jemen-Sammelband des Instituts der österreichischen Landesverteidigungsakademie vorstellten.

Nahost-Expertin Gudrun Harrer vom STANDARD hat das Gespräch kuratiert und moderiert.
Nahost-Expertin Gudrun Harrer vom STANDARD hat das Gespräch kuratiert und moderiert.

Die Huthis, die vor rund zehn Jahren signifikante Teile des Landes eroberten und damit einen Angriff Saudi-Arabiens provozierten, verstehen sich als Teil der iranischen "Achse des Widerstands". Sie versuchen seit Ausbruch des blutigen Gazakriegs mit ihren bisher mehr als 50 Angriffen auf Containerschiffe im Roten Meer, Druck auf den Westen und Israel zu machen und damit in der arabischen Öffentlichkeit zu punkten. Für Reiner gibt es jedoch schon mindestens seit 2019 für das österreichische Verteidigungsministerium mehrere gute Gründe, den Huthis im kriegsgebeutelten Jemen eine besondere Aufmerksamkeit einzuräumen.

Damals wurde die UN-Mission zur Stabilisierung und zum Aufbau einer Regierung des Jemen namens UNMHA ins Leben gerufen. Auch Österreich, das etwa die Blauhelme im Libanon (Unifil) unterstützt, habe erwogen, Personal in den Jemen zu entsenden. Wegen der "wahnsinnigen Distanzen" in dem großen und zerklüfteten Land, der Tatsache, dass nur die Huthis selbst die Sicherheit des UNMHA-Personals garantieren, und fehlender medizinischer Versorgung entschied man sich jedoch letztlich dagegen, so Reiner.

Gefahren für den Wohlstand

Doch der aktuelle Nahostkonflikt liefere genügend weitere Gründe, den Jemen aus österreichischer Sicht nicht außer Acht zu lassen. "Bruchlinien gefährden den Welthandel, was wiederum den Wohlstand gefährdet, und Österreich ist von diesen Entwicklungen sehr abhängig", so Reiner mit Blick auf die aktuellen Angriffe der Huthis auf die Schifffahrt, die er als "massives Problem" für Österreich wertet.

Immerhin werden rund zwölf Prozent der globalen Fracht durch den Suezkanal geführt. Und jedes Schiff, das diesen durchquert, muss auch die Meeresenge Bab al-Mandab (übersetzt: Tor der Tränen) vor dem Jemen passieren. Laut Reiner sind es täglich 500 Schiffe und jährlich insgesamt 19.000 Schiffe, die durch diese Meeresstraße fahren. Er sieht ein globales Interesse daran, dass diese Schiffe ihre Waren nicht erst Wochen später in Hamburg entladen, weil sie die Route rund um Afrika wählen müssen. Bei internationalen Transportfirmen hätten also rasch alle Alarmglocken geklingelt, und es seien sogleich Erinnerungen an das im Suezkanal querstehende Frachtschiff Evergreen wach geworden, erinnert Reiner an die ersten Wochen der Krise im Roten Meer.

Doch nicht nur diese Veränderungen hätten einen Einfluss auf Österreich und die EU: So hätten sich die Arabische Halbinsel und der Nahe Osten mit ihrer "Scharnierfunktion" im Konkurrenzkampf zwischen Asien und Europa für das stark wachsende China entschieden. Das sei auch daran zu erkennen, dass der Seeweg der neuen Seidenstraße – Chinas geostrategisches Großprojekt – durch das Rote Meer und damit am Jemen vorbeiführe. China und die Arabischen Emirate hätten sich in der Region in den Hafeneigentümerstrukturen erfolgreich verankert. Reiner sieht in diesen Wirtschaftsfaktoren und der chinesischen Investmentstrategie in Nahost einen "Gamechanger" für Europa.

Das sei auch für das österreichische Bundesheer relevant. Immerhin hätte ein massives Erodieren der österreichischen Handelsrouten auf die Republik und die Bevölkerung eine große Auswirkung. Sollte beispielsweise eines Tages klimawandelbedingt die Nordwestpassage in der Arktis auftauen, würde der Suezkanal seine Bedeutung verlieren. Das sei eine "existenzielle Bedrohung" für Ägypten und in der Folge auch für Europa.

Indes warnt Jemen-Experte Weissenburger davor, die Huthis zu unterschätzen. Sie seien keineswegs einfache, sandalentragende Stammesmänner mit Kalaschnikows, wie oft in den Medien abgebildet. Es handelt sich bei der im Westen als terroristisch eingestuften Gruppe um eine hochgerüstete Miliz, so Weissenburger mit Verweis auf Videos von Huthi-Paraden.

Gleichzeitig seien die Huthis auch dafür bekannt, in ihrer Propaganda ihre militärischen Fähigkeiten aufzublasen. Weissenburger verweist auf ein jüngstes Statement der Rebellen, wonach sie nun auch Schiffe im Indischen Ozean beschossen hätten. Laut Weissenburger seien die Frachter jedoch nicht getroffen worden. Dennoch sei wichtig zu betonen, dass die Huthis mit ihren Schiffen und Waffensystemen nunmehr eine beachtliche Reichweite hätten.

Huthis und Kalaschnikows.
Solidaritätskundgebung der Huthis für das palästinensische Volk – mit Kalaschnikows.
EPA/YAHYA ARHAB

Im Zuge des Nahostkonflikts hätten die Rebellen mit Schiffsangriffen und ihrem antisemitischen und antiimperialistischen Gehabe es auch geschafft, sich als Verteidiger der Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen darzustellen und damit den "Nerv der arabischen Straße" zu treffen. Ein Beispiel sei der Slogan "Yemen, Yemen, make us proud. Turn another ship around", der immer wieder bei propalästinensischen Demonstrationen im Westen skandiert werde. (Flora Mory, 12.4.2024)