Clutch 1993: Während Grunge die Freude an der Räude feierte, sezierten sie mit Präzision und Wucht den amerikanischen Albtraum.
Clutch 1993: Während Grunge die Freude an der Räude feierte, sezierten sie mit Präzision und Wucht den amerikanischen Albtraum.
Warner Music

Härte und Präzision, ein dünnes Männchen mit dickem Hals, zähe Langsamkeit statt hektischer Sprints. Als 1993 die Band Clutch ihr geschwätzig betiteltes Debütalbum Transnational Speedway League: Anthems, Anecdotes and Undeniable Truths veröffentlichte, hielten die Chronisten kurz den Atem an, weil: What! Tha! Fuck! Inflationär wurde damals im Rock schnell und laut gespielt, Grunge hatte gerade eine neue Zeitrechnung eingeläutet, die Musikindustrie graste gierig alles ab, was im Windschatten des Seattle-Booms einen schnellen Schilling versprach. Den Euro gab's noch nicht.

Warner Music holte sich das noch gänzlich unbekannte Quartett Clutch aus Germantown im US-Bundesstaat Maryland. Die vier sahen aus wie gewaltbereite Mopedmechaniker auf Bewährung, hörten Musik von Acts wie Swans, Prong oder Helmet. Daraus formten sie einen Bastard, den sie auf ihrem Debüt auf eine Art verdichteten, dass viele Fans es bis heute für ihr bestes Album halten. Nach schnell verflogenen 30 Jahren Wartezeit erhielten Clutch die Rechte an den Aufnahmen im Vorjahr zurück und veröffentlichten Transnational Speedway League nun erstmals auf Vinyl. Es ist gut gealtert.

A Giant Sloar

Das Werk gleicht einem akustischen Watschenbaum, der austeilt, ohne gerüttelt werden zu müssen. Es umfasst elf Songs, einer fieser als der andere, einer besser als der andere. Clutch waren damals grüne Jungs, die mit einer USA-Straßenkarte von der Tankstelle und einem Van vom Schrottplatz quer durchs Land nach San Francisco aufbrachen, um ihr Debüt im Razor's Edge Studio einzuspielen. Die Melvins hatten dort aufgenommen, Clutch mochten deren Sound, und mit Jonathan Burnside produzierte einen Gutteil des Albums jemand, der schon bei den Melvins die Regler kontrolliert hatte. Er leistete ganze Arbeit.

Inferior Interior

Clutch waren damals und sind heute Neil Fallon (Gebrüll), Dan Maines (Bass), Tim Sult (Gitarre), Jean-Paul Gaster (Fellsammlung). Fallon war der dünnste der vier. Im Booklet der CD sieht man sie ausdruckslos in einem Ambiente, in das die Coen-Brüder einen Psychopathen zum Durchatmen vor dem nächsten Anfall setzen würden. Das Titelbild ziert eine Nachttischlampe mit einem Hirschen, der Fuß der Lampe wurde von einem ebensolchen Tier gewonnen: Inferior Interior.

Clutch - Topic

Anders als die räudigen Kollegen drüben beim Grunge richteten Clutch ihre Songs mit chirurgischer Präzision an. So sauber, wie es der Tresen in einem Truckstopp zwischen Dosenbier und Nacho-Resten zulässt. Riffs wie jene des Openers A Shogun Named Marcus kredenzt Gitarrist Sult mit antiker Stoik, das Schlagzeug könnte den Ruderschlag jeder Strafgaleere dirigieren.

Die ewige Nacht

Das abgebremste Tempo in vielen Songs räumt Fallon viel Platz ein. Den nützt er, um kontrolliert die Kontrolle zu verlieren. Das führt zu zäh mahlenden, zwischen den Stühlen von Metal, Sludge und Stoner-Rock berserkernden Songs, die wie der oft beschworene amerikanische Albtraum um die Ecke biegen. Höhepunkt ist der Song Binge and Purge, mit dem sich bis heute jeder der Kunst des Serienmords gewidmete Beuschlreißer im Kino untermalen ließe, so wie er langsam anschwillt, das Weiß in den Augen des Sängers hervortreten lässt, bevor für jemanden die ewige Nacht anbricht.

Thomas Tyson

Ein ähnlicher Freudenspender ist Milk of Human Kindness mit seinen verschleppten Tempi, der nicht anders als geil zu nennenden Gitarre Sults und Fallon am Anschlag seiner Bronchien. Feingeistiges Liedgut wie Bacchanal trifft Elogen auf Monstertrucks. Man ahnt es: Der Humor dieser Kunst erschließt sich am leichtesten Menschen mit Humor.

Wiewohl Transnational Speedway League kein großer kommerzieller Erfolg war, brachte es der Band eine ergebene Fangemeinde, die 1995 mit einem Folgewerk ähnlicher Güte beglückt wurde. Dann begannen Clutch zu experimentieren, spielten mit Trompeten, landeten gar beim Bluesrock, von dem sie sich aber wieder erholt haben. Längst eine global erfolgreiche Band, schließt diese Wiederveröffentlichung auf Platte Fan-seitig ein lange blutendes Loch in der Mördergrube. Ein originäres Meisterwerk – und dabei wurde der Song Rats noch gar nicht erwähnt. Ein (Alb)traum! (Karl Fluch, 13.4.2024)