Dunkler Beton, abgeplatzte Kanten, Rost und Salzkristalle an der Oberfläche, rohe Schalungsbretter als Schatten einer lange zurückliegenden Errichtungszeit, zwischen den betonierten Balken und Säulen schließlich eine Ausfachung mit nicht immer sortenrein geschichtetem Mörtel und Ziegelmauerwerk. Was Adolf Hitler in den Jahren 1936 bis 1941 beim Berliner Luftwaffe-Architekten und aktiven NSDAP-Mitglied Ernst Sagebiel in Auftrag gegeben hatte, war nichts Geringeres als das damals größte Gebäude der Welt – und ist mit 300.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche heute das größte Baudenkmal Europas.

Der zwischen 1936 und 1941 von Ernst Sagebiel errichtete Flughafen Tempelhof ist eine Collage aus nationalsozialistischem Rohbau und Ausbau durch die US-Alliierten.
Wojciech Czaja

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ändern sich die Prioritäten. Noch vor Fertigstellung der Bauarbeiten mutiert der Flughafen am Tempelhofer Feld zum Montagewerk für Radargeräte und Sturzkampfbomber des Typs Junkers Ju 87 und Focke-Wulf Fw 190. Bis Kriegsende werden fast 2200 Flieger gefertigt und in den Kampf geschickt. Während der Blockade Westberlins durch die Sowjetunion zwischen Juni 1948 und Mai 1949 dient der Flughafen den Westalliierten als Luftbrücke. Der zivile Flugverkehr wird erst in den Fünfzigerjahren aufgenommen. Am 9. Juli 1951 heben die ersten Passagiermaschinen der Pan Am, Air France und BEA British European Airways ab.

Klarheit und Radikalität

"Der Flughafen Tempelhof hat eine dunkle Geschichte", sagt Fabian Schmitz-Grethlein, Geschäftsführer der Tempelhof Projekt GmbH, "und zwar nicht nur in Hinsicht auf die Nazis, die hier den größten und prächtigsten Zivilflughafen der Welt errichten wollten, sondern auch durch den Einsatz von tausenden Zwangsarbeitern aus dem Berliner KZ Columbia. Das sind Fakten, die man nicht ignorieren, nicht schönreden und auch nicht verputzen und verspachteln kann. Wir haben uns daher entschieden, die Geschichte in aller Klarheit und Radikalität sichtbar zu machen."

Nachdem der Flugbetrieb im Oktober 2008 für immer geschlossen wurde, stand der Airport Tempelhof jahrelang leer. Belebt wurden die verwaisten Hallen, Korridore und Flugsteige lediglich im Rahmen von täglichen Besucherführungen. Bis eines Tages der Wunsch aufkam, den Tower am Kopfbau West zugänglich zu machen und für Ausstellungen und Veranstaltungen zu nutzen. Im Sommer 2016 wurde ein zweistufiger Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren ausgeschrieben. Aus den insgesamt 54 Bewerbungen wurden 15 Büros zu einem Entwurf geladen. Der Sieg ging an das Schweizer Architekturkollektiv :mlzd.

Neutralere Position

"Als Nichtberliner hat man eine gewisse Distanz zu Tempelhof und damit auch eine etwas neutralere Position im Umgang mit einem so bedeutenden, aber auch komplexen, vielschichtigen Baudenkmal", sagt Pat Tanner, Gründungspartner bei :mlzd Architekten. "Ich denke, das hat uns die Arbeit erleichtert. Wir waren in der Lage, die architektonischen und städtebaulichen Qualitäten des Gebäudes zu erkennen, die unterschiedlichen Zeitschichten freizulegen und im Rahmen der technischen und baurechtlichen Erfordernisse eine neue, zeitgenössische Schicht hinzuzufügen."

Das Stiegenhaus ist nicht nur ein Spaziergang vom Parterre ins sechste Obergeschoß, sondern auch ein Erklimmen unterschiedlichster Epochen – vom Rohbau der Nazis, die den West-Tower nie fertigstellten, über die räumliche Abtrennung der US-Alliierten, die den im amerikanischen Sektor liegenden Flughafen 1946 zum Militärstützpunkt der US Air Force ausbauten, bis hin zu den nachträglichen Einbauten, die den Flugbetrieb in den Jahren 1951 bis 2008 sicherstellen konnten. Und jeder einzelne Layer davon, so Architekt Tanner, habe Berechtigung.

"Was wir heute vorfinden, ist eine Art Treppenhaus im Treppenhaus, denn die alte Stahlbetonkonstruktion war nicht mehr nutzbar und nach heutigen Belastungswerten und Berechnungsmethoden längst einsturzgefährdet. Doch nachdem sie gleichzeitig unter Denkmalschutz steht, war klar, dass wir diese Bestandsschicht nicht verändern dürfen. Also haben wir uns entschieden, das Gebäude in der obersten Geschoßdecke mit zwei riesigen Stahlträgern zu überspannen und von dort eine neue stählerne, selbsttragende Treppenkonstruktion abzuhängen."

Treppenskulptur

Wie eine dreidimensionale, vielfach um sich selbst gewickelte Marionettenfigur, die von einem gigantischen Marionettenspieler gehalten wird, hängt die 125 Tonnen schwere Treppenskulptur an insgesamt 14 Zugstäben in die düsteren Tiefen hinab. Die Wandflächen der US-Alliierten wurden neu verspachtelt, die Beton- und Ziegelwände der Nazis in keinster Weise angerührt. Tanner: "Wir haben die Oberflächen mit einem Staubwedel geputzt. Und sonst nichts daran verändert. Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar."

Der revitalisierte Tempelhof-Tower samt neuer, begehbarer Dachterrasse (Investitionsvolumen 39,9 Millionen Euro) wäre hierzulande – nach heutigem Stand politischer Aufarbeitungslage – undenkbar. Es reicht ein Blick auf Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn, das zurzeit in eine brave Polizeistation verwandelt und von allen historischen Fakten freigespült wird, um zu verstehen, wie Österreich mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit umgeht. Möge der International Day for Monuments and Sites am 18. April (und auch Hitlers Geburtstag zwei Tage später) zum Nachdenken anregen. (Wojciech Czaja, 14.4.2024)