Gasaufbereitungsanlage im russischen Orenburg im Sonnenuntergang.
Gasaufbereitungsanlage im russischen Orenburg: Inwieweit die Abhängigkeit von russischem Gas in der neuen Sicherheitsstrategie als Gefahr benannt werden soll, ist in Österreich wild umstritten.
REUTERS/Alexander Manzyuk

Dieses Dokument ist nicht gut gealtert. In der österreichischen Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2013, dem grundlegenden Papier heimischer Sicherheitspolitik, ist davon die Rede, dass "konventionelle Angriffe gegen Österreich unwahrscheinlich geworden sind" – während heute nur wenige Hundert Kilometer von Österreichs Grenze entfernt ein konventioneller Krieg infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine stattfindet. Ebenjenes Russland sei ein "strategischer Partner im Bereich innere Sicherheit", liest man weiter – während aktuell die Spionagecausa um Egisto Ott für Debatten sorgt. Partnerschaften mit Russland würden "eine weitere signifikante Aufwertung" erfahren, heißt es außerdem in der Sicherheitsstrategie.

Kein Wunder, dass angesichts solcher Passage Konsens bei ÖVP und Grünen besteht, dass es eine Neuformulierung der Strategie braucht: Darüber verhandeln die Regierungsparteien unter der Ägide des Bundeskanzleramts von Karl Nehammer (ÖVP) bereits seit Monaten. Doch die Gespräche sind festgefahren. Zuletzt kündigte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) Anfang Dezember 2023 an, dass die neue Strategie noch bis Jahresende fertig werden würde. Seither jedoch hat man nichts mehr davon gehört.

Dem STANDARD wurden Entwürfe aus den Verhandlungen zugespielt. Sie zeigen, woran es bisher konkret scheitert. Es ist etwas, worüber schon länger spekuliert wird: die Frage, inwieweit die Abhängigkeit Österreichs vom russischen Gas als Sicherheitsrisiko definiert wird.

Gaslieferstopp

Dass sie ein Risiko ist, das haben die vergangenen Jahre zwar gezeigt – man denke an die Angst vor einem russischen Gaslieferstopp 2022 infolge des Ukrainekriegs. Doch in Regierungskreisen ist man sich nicht einig, ob dies eine Rolle in der Sicherheitsstrategie spielen soll.

Im Vorschlag, wie ihn das Kanzleramt gern hätte, findet sich die Gefahr aus Russland nur in allgemeiner und abstrakter Form wieder. So ist etwa in einem Entwurf von Anfang März die Rede davon, dass es infolge von "einseitigen Abhängigkeiten von spezifischen Rohstoffen" zu "ausländischer wirtschaftlicher Einflussnahme" kommen könne, die "auch als Teil von hybriden Konflikten" stattfinden könne. Daher brauche es die "Gewährleistung widerstandsfähiger und sicherer kritischer Infrastruktur".

Energie als Waffe

Die Grünen hingegen hätten es gern viel expliziter. Laut den Dokumenten, die dem STANDARD vorliegen, versuchte das Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne) konkretere Passagen in die Strategie hineinzubekommen. Man wünschte sich etwa die Formulierung: "Russland setzt Energie als wirksame Waffe ein." Und weiter: Weil Russland "bestehende Abhängigkeit" genutzt habe, sei Österreich "im Herbst 2022 durch das Risiko eines plötzlichen Gaslieferstopps vor einer sozialen und wirtschaftlichen Katastrophe gestanden". Im Sektor Energie sei deshalb "der Einsatz des netzgebundenen Energieträgers Gas in allen Sektoren so rasch wie möglich zu reduzieren" und "die Abhängigkeit von russischem Pipeline-Gas spätestens bis 2027 zu beenden".

Gas aus dem Norden

Im Gegenzug sollen die bestehenden Gasimporte aus dem Norden – also jene, die nicht aus Russland kommen – "ertüchtigt" werden, so Gewesslers Entwurf weiter. Einzig im Heizungssektor will man den "Einsatz von importierten gasförmigen Energieträgern schnellstmöglich beenden". Denn: "Wohnungen (...) können bei einem Lieferstoff nicht mehr beheizt werden."

Bei all diesen Passagen handelt es sich um grüne Änderungswünsche, mit denen der Juniorpartner offenbar bei der ÖVP nicht durchdringt. Warum? Immerhin resultierten keine potenziellen Rechtsfolgen aus den Inhalten der Sicherheitsstrategie – es handelt sich lediglich um politische Bekenntnisse. Ein möglicher Grund für den Widerstand der ÖVP könnte sein, dass es ihre eigene Politik der Vergangenheit in ein schlechtes Licht rücken würde – wie auch übrigens jene der SPÖ. Man denke etwa an die Verlängerung der Gasverträge mit Russland, die im Jahr 2018 unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) feierlich paktiert wurde.

DER STANDARD hätte gern von den Parteien erfahren, wo aus ihrer Sicht das Problem liegt. Aus dem Kanzleramt kam trotz mehrmaligen Versuchs keine Rückmeldung.

Auskunftsfreudiger zeigen sich die Grünen. "Es ist für mich nicht erklärbar und nicht nachvollziehbar, warum man in einer Situation wie der jetzigen kein Interesse an einer neuen Sicherheitsstrategie zeigt", sagt der grüne Sicherheitssprecher David Stögmüller in Richtung des Koalitionspartners. Die Verantwortung liege "beim Bundeskanzleramt". Russland "kann kein seriöser strategischer Partner einer Demokratie wie Österreich sein", sagt Stögmüller. "Deshalb ist es notwendig und unumgänglich, dass wir unsere Sicherheitsstrategie überarbeiten." Wann das endlich gelungen sein wird, ist offen. (Joseph Gepp, 15.4.2024)