Daniel Harding und Renaud Capuçon mit den Münchner Philharmonikern im Musikverein.
Daniel Harding (Bild) und Renaud Capuçon mit den Münchner Philharmonikern im Musikverein.
Amar Mehmedinovic / Musikverein

Wenn es für Europa auch wirtschaftlich nicht mehr so richtig rund läuft: Als Freiluftmuseum ist die Alte Welt beliebter denn je. Auch Wien quillt über vor Touristen, die vor den k. u. k. Kulissen der Stadt Selfies machen und diese sofort ins Netz stellen wollen. Wie schön, wenn in einer vergangenheitsseligen Institution wie dem Musikverein kontrapunktisch auch immer wieder Neues geboten wird, wie etwa das zweite Violinkonzert von Thierry Escaich. Zum Auftakt des ersten von zwei Gastspielabenden brachten die Münchner Philharmoniker Au-delà du rêve, so dessen Titel, zu Gehör. Als Solist des effektvollen, abwechslungsreichen und klangsinnlichen Konzerts hatte Renaud Capuçon immer etwas zu ackern, die Daueraction in dem 25-minütigen Werk nutzte sich gegen Ende hin etwas ab.

Am Uraufführungsort interpretierten die Bayern dann die vierte Symphonie Anton Bruckners – wie Escaich ein Komponist, der auch als Organist tätig war. Das hörte man dem Werk in der Interpretation von Daniel Harding aber nicht an: Abrupte Registerwechsel vermied der Brite, statt schroffer Kanten waren sanfte Bögen angesagt. Eine Deutung im Zeichen frühlingsweicher, floraler Zärtlichkeit, bedächtig, feinfühlig und biegsam vorgetragen. Die Münchner Philharmoniker agierten – das ist ein echtes Kunststück! – engagiert und gelassen zugleich sowie minimal fehleranfälliger als ihre Stadtkollegen vom BR-Symphonieorchester. Der langsame Satz wurde mitunter zur Geduldsprobe, zartgliedrig der Beginn des Jagdscherzos. Der letzte Höhepunkt des Finalsatzes war von gleißender Pracht. Jubel am Samstagabend im Musikverein für diese zarte Wiederbelebung von Bruckners Hörenswürdigkeit. (Stefan Ender, 15.4.2024)