Der Zsolnay-Verlag verfügt über viel Geschichte.
Der Zsolnay-Verlag verfügt über viel Geschichte.
Paul Zsolnay Archiv

Seit 100 Jahren residiert der Zsolnay-Verlag in denselben Räumlichkeiten in der Prinz-Eugen-Straße mit Blick über den Belvedere-Garten. "Es müffelt ein bisschen nach altem Buch und Papier", kokettiert Verleger Herbert Ohrlinger. Trotzdem ist seit Ewigkeiten niemand auf die Idee gekommen, in ein Schränkchen hinten in den Eingeweiden, da, wo die gerammelt vollen Kammerln sind, zu schauen. Jüngst hat man dort also eine Entdeckung gemacht: alte Sujetbücher mit Titelblättern fast aller Publikationen des Verlags von dessen Gründung 1924 bis zum Februar 1945. Anfang April stapeln sie sich noch auf dem langen Tisch im gutbürgerlichen Besprechungsraum des Verlags. À la longue haben sich die dicken A3-Bände aber einen Ehrenplatz verdient.

Wie auch Ohrlinger. Er leitet den Verlag seit 28 Jahren, seit er Mitte 30 war. Viele Verleger, die nicht zugleich Eigentümer sind und so lange im Sattel sitzen, gibt es heutzutage nicht, zumindest fällt ihm spontan keiner ein. Vermutlich ließe sich der 100er von Zsolnay – am 8. Juni wird im Belvedere 21 bei freiem Eintritt mit Leserinnen und Lesern gefeiert – ohne das unrunde Jubiläum Ohrlingers gar nicht begehen. Dazu später. Es scheint jedenfalls nicht die einfachste Zeit für Bücher, um zu feiern. Papierpreise sind zwar wieder gesunken, aber weiter höher als vor Corona, Leserzahlen fallen … "Erzählen Sie mir, wann gute Zeiten für den Buchhandel waren!", sagt er.

Verlagsleiter Herbert Ohrlinger leitet Zsolnay seit 1996.
Herbert Ohrlinger leitet Zsolnay seit 1996.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Und kann die Aufzählung fortsetzen: die Konzentration auf große Buchhandelsketten, die höhere Rabatte für sich verhandeln, was die Gewinne der Verlage anknabbert, das Zusperren inhabergeführter Buchhandlungen auf dem Land, Papierfabriken, die lieber Kartons produzieren, Taschenbuchverlage, die immer mehr Originaltitel produzieren, statt Lizenzen einzukaufen. "Dass das Thema Inflation in Österreich so niedrig gehalten wird, finde ich ein politisches Versagen auch der Opposition". Trotzdem: "Es ist toll, Bücher zu verlegen." Aber: "Nicht leicht. Sonst könnte ja jeder einen Verlag aufmachen."

"Es war sehr ernüchternd"

Was in den 1920ern auch viele getan haben, wie die im März und mit dem Placet des Hauses erschienene Verlagsbiografie Welt in Wien darlegt. Es ließe sich an dieser Stelle viel erzählen, etwa wie die allermeisten damals gegründeten Verlage nicht lange überlebten, Paul von Zsonlay aber bessere Startbedingungen hatte: Sein Verlag musste nicht nur keinen Gewinn schreiben, er konnte es sich als Industriellensohn und Blumenzüchter zudem leisten, viel Geld in etablierte Namen und Werbung zu stecken. Oder wie der noch immer bei Lizenzen starke Verlag sich schon einst einen Ruf als "Literaturministerium für Äußeres" erwarb. Oder wie Zsolnay in den 1930ern versuchte, seinen Verlag, der als "Judenverlag" galt, mittels NS-Autoren zu bewahren. Es half nichts, er musste fliehen, kehrte zurück, baute den Verlag wieder auf, bis er 1961 starb. Man kann das alles genauer nachlesen. Dann dämmerte Zsolnay dahin, bis 1994 ein Journalist schrieb, er sei "in Bedeutungslosigkeit versunken".

Dieser Journalist war Ohrlinger. Trotzdem: Als 1996 der deutsche Verlag Hanser das darniederliegende Haus kaufte, bot Michael Krüger Ohrlinger an, dessen Geschicke zu leiten. "Es war sehr ernüchternd. Es gab keine Infrastruktur. Sehen Sie diese Holzkisten? Das war die Pressedatei. Alles war völlig aus der Zeit gefallen." Von dem, was sich seither getan hat, zeugt in Ohrlingers Büro auch eine einst offenbar eilig über eine Wand gezogene Elektroinstallationsleiste.

Einst waren alle Umschläge von Zsolnay-Büchern so gestreift. Neben Titel und Autor wurden am Cover zudem der Inhalte kurz wiedergegeben oder Rezensentenlob ausgestellt.
Einst waren alle Umschläge von Zsolnay-Büchern so gestreift. Neben Titel und Autor wurde auf dem Cover zudem der Inhalt kurz wiedergegeben oder Rezensentenlob ausgestellt.
Paul Zsolnay Archiv

Dass er neben dem Büchermachen einen Wirtschaftsbetrieb aufrechterhalten müsste, war ihm nicht klar. Wo sich der studierte Historiker aber mit Krüger inhaltlich traf, das war das Interesse für Mitteleuropa. In Österreich saßen Verlage wie Ritter in Klagenfurt oder Haymon in Innsbruck, die Hauptstadt war leer. Die Vision: "Wien ist die zweitgrößte deutschsprachige Stadt, mit großem kulturellen Einfluss seit der Monarchie. Wir müssen Autorinnen und Autoren haben, die hier leben, hier schreiben." Dazu kam ein Interesse für Südosteuropa. Auch hierzu ließe sich viel erzählen, das sich aber ebenso nachlesen lässt: wie Ohrlinger sich auf die Backlist mit Krimiautoren wie Graham Greene besann etwa und mit dieser Legitimation im Rücken ("literarische Verlage fassten Krimis damals nicht an") für den größten Erfolg des Hauses sorgte – Henning Mankells Wallander. "So etwas gab es seither nicht mehr."

In die Breite gewachsen

Der Rest ist trotzdem eine Erfolgsgeschichte. Der Slowene Drago Jančar, der Schöngeist André Heller, der Public Intellectual Konrad Paul Liessmann, Ex-Gesundheitsminister Rudi Anschober, die Bestseller Daniel Glattauer und Edmund de Waal veröffentlichen bei Zsolnay. Hubert von Goiserns Debüt 2020 hätte man bei Zsolnay "früher nicht erwartet", da ist der Verlag "zugänglicher" und "breiter" geworden. "Man muss schauen, wo man Chancen hat, Bücher zu verkaufen." Mit Lisa Eckhart, Elias Hirschl oder Toxische Pommes zielt man auf junges Publikum. Letztere kannte Ohrlinger nicht, bis Mitarbeiterinnen ihn aufmerksam machten. Gerade stehen die Social-Media-Comedian und der legendäre Paul Lendvai auf den heimischen Bestsellerlisten für Belletristik und Sachbuch ganz oben.

Bei manchen Autoren ist Ohrlinger bei 100.000 verkauften Exemplaren noch unzufrieden. Das muss in Österreich, wo Auflagen meist um die oder unter 1.000 Stück liegen, erst einer sagen können. Ab 20.000, 30.000 Stück verdient Zsolnay an einem Titel, für schwarze Zahlen muss man im Jahr 250.000 bis 300.000 gedruckte Bücher und E-Books verkaufen. Auch Lizenzerlöse sind wichtig. Der einstige Verkauf an Hanser ist bis heute für beide von Vorteil. Als eigenständiger Verlag unter dem Dach muss Zsolnay Dienste, die Hanser ihm erbringt, bezahlen. Andererseits profitiert Zsolnay, wenn es um gemeinsame Verträge mit Druckereien geht: Mehr Auftragsvolumen senkt Kosten.

Gegen die Blasen

Ist Zsolnay für ihn der wichtigste Verlag des Landes? "Ich gebe keine Superlative. Er soll ein Verlag sein, der in Österreich und darüber hinaus eine Rolle spielt, mit Büchern, die im Gespräch sind. Autoren müssen sich einmischen. Es können die Fetzen fliegen, aber man muss sich unterhalten. Dieses Blasenwesen derzeit … Noch immer denke ich, dass es ohne Bücher keine Form der geistigen Auseinandersetzung gibt."

Keine modernen Großraumbüros für die zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Holzparkett, hohe Decken, Patina und Charme.
Keine modernen Großraumbüros für die zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Holzparkett, hohe Decken, Patina und Charme.
Peter-Andreas Hassiepen

Es sind halt die Wege andere, über die man so weit, in die Bücherregale und Hirne kommt. Was die Zukunft bringt? Wie bei Eckhart hatte man auch bei Toxische Pommes um ein Buch angefragt – wie es heutzutage Verlage eben machen. Unverlangt eingesandte Manuskripte (früher 2.000 im Jahr) bekommt man kaum noch. Was auch daran liegt, dass sich immer öfter Literaturagenturen zwischen Verlag und Autoren schalten. "Jeder glaubt, es ist notwendig, eine zu haben. Ich nicht, aber damit müssen wir umgehen."

Dass Autoren durch Verkäufe und Lesungen in der Lage sind, zu leben, ist noch immer sein Ziel. In den sozialen Medien müsse man also viel stärker werden, um Bücher direkt beim Publikum zu promoten. Mit KI hat man schon erste Cover gemacht. Für KI in Texten? Ist Ohrlinger offen. Ansonsten muss man "halt schauen, was gerade passiert. Das ist das Spannende, jede Saison beginnt das Spiel von neuem. Es gibt keine Garantie, keine Geheimrezepte. Die Herausforderung ist, die richtigen Autoren zum richtigen Zeitpunkt zu finden. Man muss eine Nase für Neuigkeiten haben. Es gibt ja auch ein 101. Jahr Zsolnay." (Michael Wurmitzer, 16.4.2024)