Was macht der Kerl auf dem Foto? Xmal Deutschland anno 1982, als sie begannen, britische Schöngeister für ihren rüden hanseatischen Rumpelrock zu begeistern. In der Mitte: Anja Huwe.
Was macht der Kerl auf dem Foto? Xmal Deutschland anno 1982, als sie begannen, britische Schöngeister für ihren rüden hanseatischen Rumpelrock zu begeistern. In der Mitte: Anja Huwe.
Ilse Ruppert

Für ihre Bilder – Sterngeschwader aus grellen Punkten – taucht die Hamburger Gothic-Ikone Anja Huwe ihren Pinsel tief in die Buntlackdose. Wirklich berühmt geworden ist Huwe aber für die Farbe, an der man in den 1980ern alle Gothic-Jünger – ungeachtet ihres Geschlechtsbekenntnisses – erkannte, und die war unübersehbar Schwarz.

"schwarzer nebel / über dir über mir über uns überall", gellte Huwe auf der ersten Single der Frauenband Xmal Deutschland – zum nervtötenden Geklopfe des Standtomtoms, während Manuela Rickers die Gitarre als Kreissäge anwarf.

Weniger ist noch zu viel

In ihren Hamburger Kellerjahren reduzierten Xmal Deutschland den bunt lackierten Popsong auf sein Skelett. Weniger war nicht mehr, sondern immer noch zu viel. Zum Knirschen eines Korg-Synthesizers, der Dampf ausstieß oder zischend die Extraktion eines Stockzahns untermalte, bekundete Sängerin Huwe Verständnis für das Ende der Welt, wie wir sie gekannt hatten: "es ist einfach zu wissen / dass die welt tot ist".

Doch ehe die Letzte das Licht in Hamburg-St. Pauli ausmachen konnte, gab es noch eine Galgenfrist. Man durfte reuelos für den Umsturz der Herrschaftsverhältnisse plädieren. Indigenen und allen übrigen Zukurzgekommenen rieten Huwe und Kolleginnen zur Selbsthilfe: "großstadtindianer jagen durch die stadt / und knallen alle cowboys ab". "Cowboys" war anno 1980 ein Deckbegriff für "Spießer".

Master Of Puppet

Die jetzt auf dem New Yorker Sacred-Bones-Label wiederveröffentlichten frühen Singles von Xmal Deutschland werfen einen Scheinwerferstrahl zurück durch laue Gothic-Dünste. Frauen ermächtigten sich selbst. Die strikte Do-it-yourself-Attitüde der Hamburgerinnen erregte in Großbritannien derartiges Wohlgefallen, dass die New-Wave-Feinspitze vom 4AD-Label die Deutschen unter Vertrag nahmen. BBC-Radio-DJ John Peel spielte die Hexenpolkas von Xmal Deutschland rauf und runter. Man fuchtelte – als Vorband – den bonbonbunten Äther der Cocteau Twins von den Bühnen des Königreichs. Dort zählten Dilettanten eben etwas.

Anja Huwe genoss eine gewisse Popularität im Ausland – mit akuter Verdünnungstendenz gegen Ende hin. Etwa gegen 1990 riet man dem bundesdeutschen Siouxsie-Sioux-Pendant zur Solokarriere. Ergrimmt schüttelte Huwe das Zuckerwattehaar, sie ging nach New York und machte Kunst.

Zeugnisse des Überlebenswillens

So würden Xmal Deutschland eine wunderbare Randnotiz der deutschen Punk-Geschichte abgegeben haben, neben anderen Frauen-Acts wie Camouflage, Malaria! oder Östro430. Dass es jetzt besser gekommen ist, verdankt man einem israelischen Heavy-Metaller namens Yishai Sweartz. Der las Huwe via Telefon die Tagebuchnotizen eines jungen jüdischen Partisanen vor: Zeugnisse des Überlebenswillens, der Moshe Shnitzki, den Widerstandskämpfer, anno 1942 in die Tiefen der Wälder Weißrusslands führte. (Shnitzki wanderte nach dem Krieg nach Israel aus.)

Aus Huwes Adaption der Shnitzki-Notate ist das Album Codes entstanden. Ihre zuletzt verschwenderisch genützte Farbpalette hat die Künstlerin vor Betreten des Berliner Studios vorsorglich abgegeben.

Sacred Bones Records

Die Keyboards klingen satter als vor 40 Jahren, Huwes ohrenbetäubende Sirenenstimme ist todtraurig geworden – besungen wird im Sounddesign von Mona Mur das Unterkriechen im Wald. Gelegentlich wähnt man sich an den Industrial Metal von Ministry oder Nine Inch Nails erinnert. Die unvergleichliche Manuela Rickers schrubbt wie ehedem die Gitarre. Gemeinsam klopft man an die Bunkertür.

Das knappe, gelegentlich Depeche Mode evozierende Album stellt ein wichtiges Update der Kunst von Huwe und Co dar. Früher, zu den Zeiten von Xmal Deutschland, rosteten die Industrieparks im Westen wie im Osten nebeneinander um die Wette. Wegen Gestalten wie Putin bringt Altmetall neues Elend über die Welt. Huwes Musik enthält den Widerspruch dazu. (Ronald Pohl, 17.4.2024)