Schwarze Löcher sind kosmische Objekte, die sich für Normalsterbliche jeglicher Vorstellungskraft entziehen. Vom Rest des Universums grenzen sie sich durch den sogenannten Schwarzschild-Radius ab. Jenseits davon ist die Gravitationskraft so groß, dass nicht einmal Licht daraus wieder entrinnen kann. Daher kann auch niemand hinter den Ereignishorizont blicken. Was dort geschieht, lässt sich allenfalls berechnen, und die Modelle lassen Exotisches vermuten: Laut der vorherrschenden Theorie lauert unterhalb des Ereignishorizonts so etwas wie ein Riss im Raum-Zeit-Gefüge, eine Singularität.

Dreimal so schwer wie der Durchschnitt

Schwarze Löcher kommen in verschiedenen Größen daher. Die Giganten unter ihnen sitzen in den Zentren von elliptischen und spiralförmigen Galaxien und können die millionen- bis milliardenfache Masse unserer Sonne erreichen. Wie sie entstehen, ist noch immer Gegenstand von Spekulationen. Wie herkömmliche sogenannte stellare Schwarze Löcher geboren werden, weiß man dagegen recht gut: Sie bilden das Ende von großen Sternen. Besaß ein Stern zu "Lebzeiten" die 25-fache bis 40-fache Masse unserer Sonne, bleibt nach der finalen Supernova-Explosion genug Masse übrig, um ein Schwarzes Loch zu erzeugen. Die bisher in der Milchstraße nachgewiesenen Schwarzen Löcher haben im Durchschnitt etwa die zehnfache Masse der Sonne.

Stern taumelt um das Schwarze Loch Gaia BH3
Künstlerische Darstellung des Systems mit dem massereichsten stellaren Schwarzen Loch in unserer Galaxie. Entdeckt wurde es, weil es den Begleitstern, der es umkreist, in eine auffällige Taumelbewegung versetzt.
Illustr.: ESO/L. Calçada

Nun haben Forschende im Sternbild Aquila ein solches stellares Schwarzes Loch entdeckt, das alle bisher bekannten Vertreter dieser Klasse in unserer Heimatgalaxie massemäßig weit in den Schatten stellt. Gefunden wurde das Schwerkraftmonster in den Daten der Gaia-Mission der Europäischen Weltraumorganisation Esa, weil es seinen Begleitstern, der es umkreist, auffällig zum Taumeln bringt. Für die genaue Bestimmung der Masse dieses Schwarzen Lochs nutzen die Fachleute das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) und anderer bodengestützter Observatorien. Sie beziffern die Masse des Gaia BH3 getauften Schwarzen Lochs auf das 33-Fache der Sonne.

Zweitnächstes Schwarzes Loch

Der bisherige Rekordhalter unter den stellaren Schwarzen Löchern der Milchstraße heißt Cygnus X-1 und erreicht nur 21 Sonnenmassen, ist also um ein ganzes Drittel kleiner. Ungewöhnlich an der Neuentdeckung ist auch seine große Nähe zur Erde: Mit einer Entfernung von nur 2.000 Lichtjahren ist Gaia BH3 das zweitnächste Schwarze Loch. Es wurde entdeckt, als das Forschungsteam die Gaia-Beobachtungen zur Vorbereitung einer bevorstehenden Datenfreigabe überprüfte.

"Niemand hat damit gerechnet, ein massereiches Schwarzes Loch zu finden, das in der Nähe lauert und bisher unentdeckt geblieben ist", sagt Pasquale Panuzzo, Astronom am Observatoire de Paris, das zum französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS) gehört. "Diese Art von Entdeckung macht man nur einmal in seinem Forscherleben."

Zur Bestätigung ihrer Entdeckung nutzte die Gaia-Kollaboration Daten von bodengestützten Observatorien, unter anderem vom Ultraviolet-and-Visual-Echelle-Spectrograph-Instrument am VLT der ESO in der chilenischen Atacama-Wüste. Diese Beobachtungen ergaben wichtige Eigenschaften des Begleitsterns, die es den Astronominnen und Astronomen in Verbindung mit den Gaia-Daten ermöglichten, die Masse von Gaia BH3 genau zu bestimmen.

Schwarze Löcher im Vergleich
Die Illustration zeigt einen Vergleich dreier stellarer Schwarzer Löcher in unserer Galaxie: Gaia BH1 (links) ist das nächstgelegene Schwarze Loch, Cygnus X-1 (Mitte) war der bisherige Rekordhalter, und Gaia BH3 ist der neue Spitzenreiter, was die Masse betrifft.
Illustr.: ESO/M. Kornmesser

Metallarme Sterne

Ähnlich massereiche Schwarze Löcher wurden bereits außerhalb unserer Galaxie gefunden. Die Forschenden vermuten, dass sie aus dem Kollaps von Sternen entstehen, die in ihrer chemischen Zusammensetzung nur wenige Elemente enthalten, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium. Es wird angenommen, dass diese sogenannten metallarmen Sterne im Laufe ihres Lebens weniger Masse verlieren und daher mehr Material übrig bleibt, aus dem nach ihrem Tod massereiche Schwarze Löcher entstehen. Bisher gab es jedoch keine direkten Beweise für den Zusammenhang zwischen metallarmen Sternen und massereichen Schwarzen Löchern.

Sterne in Paaren neigen allerdings dazu, eine ähnliche Zusammensetzung zu haben, was bedeutet, dass der Begleiter von Gaia BH3 wichtige Hinweise auf den Stern enthält, der kollabierte, um dieses außergewöhnliche Schwarze Loch zu bilden. Die nun im Fachjournal "Astronomy & Astrophysics" präsentierten Daten zeigten, dass der Begleiter ein sehr metallarmer Stern war, was darauf hindeutet, dass der Stern, der zur Bildung von Gaia BH3 kollabierte, ebenfalls metallarm war – genau wie vorhergesagt.

Weitere Untersuchungen

"In Anbetracht der Einzigartigkeit der Entdeckung haben wir den außergewöhnlichen Schritt unternommen, diese auf vorläufigen Daten basierende Arbeit vor der bevorstehenden Ausgabe der Gaia-Daten zu veröffentlichen", sagt Mitautorin Elisabetta Caffau, ebenfalls Mitglied der Gaia-Kollaboration am CNRS Observatoire de Paris. Die frühzeitige Bereitstellung der Daten ermöglicht es anderen Astronominnen und Astronomen, dieses Schwarze Loch bereits jetzt zu untersuchen, ohne auf die Veröffentlichung der vollständigen Daten zu warten, die frühestens Ende 2025 erfolgen soll.

Weitere Beobachtungen dieses Systems könnten mehr über seine Geschichte und über das Schwarze Loch selbst verraten. Das Gravity-Instrument am VLT-Interferometer der ESO könnte Astronominnen und Astronomen beispielsweise dabei helfen, herauszufinden, ob dieses Schwarze Loch Materie aus seiner Umgebung anzieht – und dieses spannende Objekt besser zu verstehen. (tberg, red, 16.4.2024)