Friederike Mayröcker mit einem gezeichneten Selbstporträt.
Friederike Mayröcker mit einem gezeichneten Selbstporträt.
ÖNB

Im Literaturmuseum der Nationalbibliothek findet man als Dauereinrichtung das Franz-Grillparzer-Zimmer: Er war im Gebäude als Archivdirektor tätig, sein Arbeitszimmer ist originalgetreu erhalten. Was wäre das gewesen, hätte man für die Sonderschau ich denke in langsamen Blitzen zu Friederike Mayröcker deren "Zettelhöhle", wie sie ihre beiden Wohnungen in der Zentagasse in Wien nannte, nachgebaut. Dort – nach dem Tod Ernst Jandls zog Mayröcker aus ihrer eigenen einen Stock höher in seine – lebte und arbeitete sie für Jahrzehnte bis zu ihrem Tod 2021.

Diese Wohnungen sind jetzt leergeräumt. 400 Umzugskartons voller Manuskripte, Briefe, Zeichnungen ("Spontangedichte" mit dem Filzstift) und Fotos daraus sind aber als Nachlass an die ÖNB gegangen. Man kann nun nicht nur sie in der Schau studieren: Schallplatten von Erik Satie und Miles Davis, die Mayröcker beim Schreiben abspielte, gleich acht der Hermes-Baby-Schreibmaschinen, die sie wie die Farbbänder dafür auf Vorrat kaufte, aus Angst, sie könnten ihr ausgehen, ein Briefwechsel zur Aufnahme in den Suhrkamp-Verlag 1974, überquellende Adressbücher, die von ihrer umfänglichen privaten Korrespondenz zeugen, oder eine Pelzmütze sind auch Teil der Ausstellung.

Natur, Musik, Kunst, Jandl

Man kann hier auch die Wohnungen – Highlight! – besichtigen: mit einer VR-Brille am Kopf und der Stimme der Dichterin im Ohr (über ihren Modegeschmack) als 360-Grad-Rundumschau. Noch zu Lebzeiten hat die Fotokünstlerin Claudia Larcher die Dichterin fotografieren dürfen. Teppiche und Berge aus Zetteln, Wäschekörbe voller Papiere – man hat davon gehört, Fotos gesehen und ist doch baff!

Heuer würde Mayröcker ihren 100. Geburtstag feiern. Geschrieben hat sie ihre vom Surrealismus geprägten Texte mal als Lyrik, mal als Prosa, mal als ein Zwischending, wo Erinnerungen, Natureindrücke, Musik und Kunstbetrachtung, Korrespondenz mit Freunden, oder die Liebe zu Jandl aufeinander zustürmten bis zum Schluss. Ihr erster Text erschien 1956, ihr letztes Buch 2020. Gezählt sind es derer über 120, in der Ausstellung sind sie nach Jahrzehnten aufgetürmt. Biografie und Schreiben lassen sich kaum trennen, Privates offenbarte sie dennoch nur sehr dosiert – Fotos aus dem Familienalbum, aufgenommen vom Vater Franz, sind hier zu sehen.

Blick in Friederike Mayröckers unter Papier verschwindende Wohnung.
Blick in Friederike Mayröckers unter Papier verschwindender Wohnung.
Claudia Larcher

Bereits 2019 begann die ÖNB, Mayröckers Vorlass "Zettel für Zettel" abzutragen. Die Autorin war diesbezüglich an die ÖNB, wo schon Jandls Nachlass lagerte (schön: Nun liegen ihr Nachlass und der ihres Lebensmenschen auf ewig nebeneinander), herangetreten. Leicht tat sie sich trotzdem nicht damit, hatte Angst, sie könnte noch etwas vom zu Archivierenden fürs Schreiben brauchen. Die ÖNB wird noch auf Jahre beschäftigt sein, alles aufzuarbeiten. Für alle Fans ist das jetzt schon eine entdeckerische Freude. (Michael Wurmitzer, 17.4.2024)