Auf X gibt es eine deutliche Tendenz nach rechts, auf Tiktok nur teilweise. Das ist das Ergebnis einer Indiziensammlung in zwei Experimenten des STANDARD. Nun ist es an der Zeit, eine weitere Plattform unter die Lupe zu nehmen. Nämlich das Portal, das Onlinevideos überhaupt erst groß gemacht hat: Youtube. Immerhin hat die zu Google gehörende Seite geschätzt 2,7 Milliarden monatlich aktive Nutzer, die insgesamt täglich rund eine Milliarde Stunden an Content ansehen. Eine politische Schlagseite im Algorithmus könnte potenziell große Wirkung entfalten.

Aufbau

Für die Erörterung wurde der Versuchsaufbau der ersten beiden Prüfungen soweit möglich übernommen. Allerdings sei auch an dieser Stelle explizit erwähnt, dass es sich nicht um eine Überprüfung in wissenschaftlicher Qualität handelt.

Mit einem neu angelegten Account – Youtube benötigt dafür Name, Geburtsdatum, eine Mailadresse sowie eine Telefonnummer – und unter Verwendung des Inkognito-Modus des Browsers wurden an drei aufeinanderfolgenden Tagen die jeweils ersten 20 Videos gesichtet, die für die Suchbegriffe "Ukraine", "Russland", "Biden" und "Trump" angezeigt wurden. Neben Clips im üblichen Format mit variierender Länge wurden dabei auch die zwischendrin immer wieder eingereihten Kurzvideos ("Shorts") berücksichtigt, hier allerdings nur die jeweils im Suchergebnis 5 sicht- und klickbaren je Block. Die ursprüngliche Idee, aufgrund besserer Vergleichbarkeit zu Tiktok ausschließlich Shorts zu sichten, scheiterte an dem Umstand, dass Youtube für diese gar keine eigene Suchfunktion anbietet. Jeder Clip wurde zumindest einmal kurz geöffnet, um dem Algorithmus eine einigermaßen "ausgewogene" Streuung zu präsentieren.

Die Videos wurden anschließend in drei Kategorien eingeteilt: positiv, neutral und negativ. Erstere Schublade betrifft Inhalte, die eine klar positive Aussage zum oder im Zusammenhang mit dem Suchbegriff liefern, etwa Wahlempfehlungen für einen der beiden Politiker, Verächtlichmachung seines Kontrahenten, Unterstützungsaufrufe für die Ukraine oder Lob für Wladimir Putin. Negativ eingestuft wurden Clips, die eine klar abwertende Aussage zum Suchbegriff transportierten. Unter "neutral" fallen Videos, die keine explizite Schlagseite aufweisen, etwa von Medien veröffentlichte, unkommentierte oder nicht wertend kommentierte Aufnahmen aus dem Krieg oder von Reden. Eine Ausnahme stellen hier von bekannten Medien veröffentlichte politische Kommentare dar, die deutlich Position beziehen. Ebenfalls neutral sind Clips, die unter den ersten 20 Suchergebnissen liegen, aber mit dem Thema eigentlich nichts zu tun haben.

Zu "Russland" und "Ukraine" wurde fast ausschließlich News-Content geliefert.
Screenshot/Youtube

Leerer Feed nach Anmeldung

Was nach der Anmeldung auffiel, war die wortwörtlich leere Startseite. Youtube erzeugt zunächst überhaupt keine Empfehlungen. Der Feed wird erst sichtbar, sobald man das erste Mal nach etwas gesucht hat. Für die Shorts-Kategorie, wenn man diese separat auswählt, gilt das allerdings nicht, hier waren zum Start Clips von zweifelhafter Qualität und offenbar großer Viralität zu finden.

Während bei Tiktok bei allen Suchbegriffen viele alte Videos in die Top-Auswahl eingereiht wurden – in Bezug auf die Ukraine mitunter Clips, die kurz nach Beginn des russischen Überfalls im Februar 2022 veröffentlicht worden waren –, sind diese in den Youtube-Ergebnissen eher selten anzutreffen. Die meisten Suchergebnisse sind in der Regel wenige Stunden bis Wochen alt, der Großteil kaum mehr als eine Woche. Mehrere Jahre alte Inhalte sind seltene Ausnahmen. Immer wieder kommen aber Doppelungen vor, also Clips, die schon am Vortag in den Top-20-Suchergebnissen waren.

Screenshot/Youtube

News, News, News

Zu den Begriffen "Ukraine" und "Russland" servierte Youtube am ersten Tag fast ausschließlich Nachrichtenmaterial. Ein beträchtlicher Teil davon war – warum auch immer – von "Welt TV", gepaart mit vorwiegend anderen deutschen und angloamerikanischen Medien. Zum Begriff "Ukraine" war neben 19 neutralen auch noch ein Clip mit auf Russland schimpfenden ukrainischen Soldatinnen zu sehen. Bei "Russland" hingegen ein Putin-kritisches Meme.

Diese "Balance" veränderte sich auch in den beiden folgenden Tagen kaum, es blieb bei fast ausschließlich "nachrichtlichem" Content, wobei für "Russland" kein einziger "positiv" konnotierter Clip auftauchte. Gesamtergebnis Ukraine: 6 positiv, 53 neutral, 1 negativ. Russland: 0 positiv, 56 neutral, 4 negativ.

Algorithmische Selbstkorrektur

Interessanter wurde es beim Suchbegriff "Biden". Dort hielten sich positive (9) und neutrale (10) am ersten Tag fast die Waage. Die erkennbare Ursache dafür war, dass ein guter Teil der Suchergebnisse aus Clips des offiziellen Biden-Harris-Kontos bestand. Dazu kam erneut viel Nachrichtencontent und einzelne themenfremde Videos. Gerade bei den Shorts sind die Ergebnisse allerdings mit Vorsicht zu genießen. Denn dort tauchten zahlreiche von bekannteren Medien veröffentlichte Sturzaufnahmen von Joe Biden auf, die zwar nicht wertend beschrieben oder kommentiert waren – und daher als "neutral" gewertet wurden –, das US-Staatsoberhaupt aber nicht unbedingt im besten Licht darstellen.

Ab dem zweiten Tag "korrigierte" sich der Algorithmus. Die Clips des offiziellen Biden-Kontos waren verschwunden, dafür der Anteil an News-Clips sprunghaft auf 17 bis 18 angestiegen. Gesamtbilanz: 11 positiv, 45 neutral, 4 negativ.

Screenshot/Youtube

Trump-Talkshow-Mania

Aus der Norm hingegen fallen die Ergebnisse für "Donald Trump". Am ersten Tag fiel das Ergebnis noch nicht signifikant anders aus, 15 Beiträge fielen in die Kategorie nachrichtlich oder themenfremd, sprich: neutral. In einem Video legte ein Anhänger erregt dar, warum er im November Trump wählen will. Negative Standpunkte stammten samt und sonders aus Ausschnitten von US-Late-Night-Shows mit progressiver Ausrichtung.

Und an diesen sollte sich der Suchalgorithmus "verschlucken". Über die beiden Folgetage nahmen diese nämlich deutlich auf Kosten der "neutralen" Beiträge zu. Nicht jeder der Auszüge aus der "Late Show", "Saturday Night Live", "Jimmy Kimmel Live" et al enthielt tatsächlich Seitenhiebe auf Trump oder seine Partei, der Großteil allerdings schon. Dazu tauchten in den Ergebnissen auch vereinzelt Clips von politischen Aktivisten mit pro-demokratischer Ausrichtung ("Brian Tyler Cohen", "Meidas Touch") auf. Am dritten Tag überflügelten die "negativen" Videos schließlich das "neutrale" Segment mit 13 zu 7.

Der Grund für diesen Wandel ist schwer festzumachen. Womöglich war der Zeitaufwand (sprich: die Betrachtungszeit der Videos) für die Einstufung der Talkshow-Auszüge höher als bei anderen Clips, was der Algorithmus als Interesse interpretierte. Vielleicht sorgte aber auch einfach nur das Anklicken des schon zu Beginn relativ großen Aufkommens für eine Art "selbsterfüllende Prophezeihung". Oder die tendenziell sehr beliebten Showausschnitte genießen bereits allgemein einen "Viralitätsbonus". Nach böswilliger Absicht sieht es eher nicht aus.

Das Endergebnis.
DER STANDARD/Pichler

Fazit

Hatte sich schon bei Tiktok unter den vier Schlagworten bereits eine gewisse Tendenz zu nachrichtlichen Inhalten abgezeichnet, geht Youtube hier in die Vollen. Der Suchalgorithmus scheint recht stark darauf getrimmt zu sein, neuen Nutzern zumindest zu diesen Begriffen vorwiegend "News" bekannterer Medien zu servieren. Daran ändert auch die Abweichung am ersten Tag der "Biden"-Suche nichts.

Außerhalb der Norm liegen aber die Ergebnisse für "Trump", die zunehmend mit Ausschnitten progressiver Late-Night-Talker durchzogen waren. Dafür gibt es aber plausible Erklärungsmodelle und wenig Grund zur Annahme, dass Googles Videoplattform hier absichtliche Manipulation betreibt. Trotz dieser Abweichung waren 187 der insgesamt 240 gesichteten Videos "neutraler" und hier meist nachrichtlicher Natur. Nur 53 waren klar positiv oder negativ konnotiert, was stark dafür spricht, dass man bei Youtube zumindest bei neuen Nutzern vermeidet, viel polarisierende Inhalte zu den vier Themen auszuspielen. (gpi, 21.4.2024)